Steigende Energiepreise treiben Billiganbieter in den Ruin

Statt des vielfach befürchteten technisch bedingten Blackouts in den Stromnetzen besteht inzwischen die Gefahr eines wirtschaftlichen Blackouts

Dass Strom und Gas derzeit immer teurer werden, merken nicht nur die Kunden, wenn ihr Versorger die nächste Preiserhöhung ankündigt, sondern auch zahlreiche Energie-Discounter, die ihre Kunden aufgrund gestiegener Beschaffungspreise nicht mehr beliefern wollen/können und wie beispielsweise der Billiganbieter Stromio, den Betrieb einstellen oder gleich Insolvenz anmelden. Diese Kunden fallen dann unvermittelt in die Ersatzversorgung des jeweiligen Grundversorgers.

Der Grundversorger ist der Versorger, der in dem jeweiligen Netz die meisten Kunden hat. Das ist nicht der Netzbetreiber und muss nicht einmal zur Firmengruppe des Netzbetreibers gehören. "Grundversorger ist nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG 'das Energieversorgungsunternehmen, das die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert'." Der Grundversorger wird durch den Netzbetreiber ermittelt und für drei Jahre festgelegt.

Das Bundeskartellamt stellt in seinem Jahresbericht 2020/21 fest:

... der Anteil der Haushaltskunden in der relativ teureren Grundversorgung ist – wenn auch leicht rückläufig – weiterhin relativ hoch. Bereits durch einen Tarifwechsel beim gleichen Versorger lassen sich durchaus Einsparpotenziale realisieren.

Der Wechsel in einen günstigeren Tarif ist jedoch für Stromkunden mit einer schlechten Bonität häufig nicht realisierbar.

Wenn billige Energie plötzlich sehr teuer wird

Mit der Liberalisierung der Energiemärkte Ende der 1990er-Jahre und dem sogenannten Unbundling, als Stromnetz und Stromhandel wirtschaftlich getrennt wurden, begann auch das Zeitalter der Billiganbieter. Mit mehr oder weniger seriösen Geschäftsmodellen wurden Kunden geworben und erlebten teilweise ihr blaues Wunder.

Dennoch gibt es zahlreiche Kunden, die auf den einschlägigen Preisvergleichsportalen ihr Glück versuchen und mit Neukundenboni ihren Strompreis zu reduzieren versuchen. Da diese Boni vielfach erst am Ende des ersten Bezugsjahres ausgezahlt werden, darf der Stromanbieter in diesem Zeitraum nicht untergehen, sonst geht der Bonus in der Insolvenzmasse unter.

Für die zuständigen Grundversorger bringen die ungeplanten Neukunden das Problem, dass die zuvor langfristig abgeschlossenen Energielieferverträge für den aktuellen Zusatzbedarf nicht ausreichen. Da die Grundversorger jetzt zusätzlich über ihre Pläne hinaus Energie dazukaufen müssen, ist absehbar, dass diese entweder die Grundversorgungstarife für zugefallene Neukunden drastisch erhöhen müssen oder selbst in wirtschaftliche Probleme zu kommen drohen.

Die Alternative, jetzt die Preise auch für Bestandskunden zu erhöhen, um deutlich höhere Tarifpreise für Neukunden zu vermeiden, dürfte auch nicht als besonders kundenfreundlich beurteilt werden.

Das Dilemma für die zuständigen Grundversorger

Bei verschiedenen Anbietern wie der Badenova in Freiburg hat die aktuelle Marktsituation dazu geführt, dass man bis auf Weiteres für Neukunden nur noch Grundversorgungstarife anbietet und dies auch nur für die Gemeinden, wo man Grundversorger ist. Wann sich diese Situation wieder ändert, ist derzeit nicht abzusehen.

Zur aktuellen Situation der Grundversorger aufgrund des Marktaustritts von Energie-Discountern erklärt Dr. Marie-Luise Wolff, Präsidentin des BDEW:

Die Weigerung von Stromio, ihre Kundinnen und Kunden weiterhin zu beliefern, offenbart einmal mehr eine schwerwiegende Regulierungslücke: Billiganbieter betreiben Geschäftemacherei auf Kosten der Kunden und wälzen das ökonomische Risiko auf die Grundversorger ab. Hier muss die neue Bundesregierung eingreifen. Vor dem Hintergrund der durch externe Faktoren explodierenden Preise an den Energiemärkten kann es nicht weiter angehen, dass Anbieter in Niedrigpreiszeiten Reibach machen und sich bei steigenden Preisen nicht mehr um ihre Kunden kümmern.

Die Grundversorger übernehmen Verantwortung für ihre Bestandskunden und garantieren die Belieferung neuer Kunden unkompliziert und unterbrechungsfrei. Das muss von der Politik honoriert und unseriösen Geschäftsmodellen in der Daseinsvorsorge Einhalt geboten werden.

Eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingung, damit preisaggressive Energieanbieter, die bei Preissteigerungen im Beschaffungsmarkt die Belieferung der Kunden nicht mehr sicherstellen können, vom Markt verdrängt werden, dürfte mit den bundesdeutschen Vorstellungen von Wettbewerb im Widerspruch stehen. Kurzfristig können die aktuellen Probleme am Endkundenenergiemarkt nur mit staatlicher Unterstützung der Grundversorger sichergestellt werden.

Die frühere MdB der Grünen und heutige Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Kerstin Andreae, fordert nun "Politik muss handeln" und erklärt zu den aktuellen Verwerfungen auf den Energiemärkten:

Mit großer Sorge beobachten wir die aktuellen Verwerfungen an den Energiemärkten und die Preisexplosionen im Strom- und Gasbereich. Unsere Unternehmen stehen vor erheblichen Herausforderungen aufgrund der explodierenden Energiebeschaffungspreise. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass unseriöse Billiganbieter ihre Kunden nicht mehr beliefern, die dann in der Ersatzversorgung landen. Für sie müssen die Unternehmen zu den aktuell extrem hohen Preisen zusätzlich Energie zukaufen – über die von ihnen langfristig für ihren ursprünglich absehbaren Bedarf beschafften Mengen hinaus. Die Bundesregierung sollte daher veranlassen, dass Energieversorger unter bestimmten Voraussetzungen bei Bedarf temporär auf zinslose zweckgebundene Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau zurückgreifen können.

Vor allem braucht es dringend eine gesetzliche Absicherung, dass ein Tarif für die Grundversorgung von Neukunden rechtssicher eingeführt werden kann. Es ist nachvollziehbar, dass die Grundversorger, die die Lieferung vor Ort jederzeit sicherstellen, diesen Weg einschlagen müssen, um ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Zudem ist es im Sinne des Verbraucherschutzes nur fair, wenn Bestandskunden nicht für das Verhalten der Discountunternehmen aufkommen müssen. Außerdem muss die Steuer- und Abgabenlast auf Energie reduziert werden, einkommensschwache Haushalte müssen über sozialpolitische Instrumente entlastet werden.

Die Grundversorger kämpfen derzeit an allen Fronten, um die Versorgung von Kundinnen und Kunden zu sichern. Dafür brauchen sie die Unterstützung der Bundesregierung. Schliesslich gilt es, das Problem an der Wurzel anzupacken. Es muss gewährleistet sein, dass Energieanbieter ihrer Lieferverpflichtung nachkommen. Unseriösen Geschäftsmodellen muss Einhalt geboten werden. Es ist falsch verstandener Verbraucherschutz, immer nur das billigste Angebot zu preisen. Richtig verstandener Verbraucherschutz setzt auf seriöse Anbieter, die die Versorgung gewährleisten.

Wirtschaftlicher Blackout oder Rückkehr zu großen Energiemonopolen

Statt des vielfach befürchteten technisch bedingten Blackouts in den Stromnetzen besteht inzwischen die Gefahr eines wirtschaftlichen Blackouts, der nicht nur die Elektrizitäts-, sondern auch die Gasversorgung in Schwierigkeiten bringen könnte und ziemlich deutlich vor Augen führt, welche Risiken sich entwickeln können, wenn man davon ausgeht, dass man auch die Daseinsvorsorge einem unregulierten Wettbewerb unterwirft.

Hier muss möglichst schnell korrigiert werden, sonst besteht die Gefahr, dass nur die größten und kapitalstärksten Anbieter überleben und der Preiswettbewerb reduziert wird.

Zur Herkules-Aufgabe, die Netzsicherheit zu verbessern, kommt jetzt mit einer Reform des Endkunden-Energiemarktes eine weitere gigantische Aufgabe auf die Politik zu, zu deren Lösung man sich nicht auf die Beratung durch fachfremde Unternehmensberatungen zurückziehen sollte.