Grundeinkommen: "Viel besser als Beihilfen im Kampf gegen Armut"

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Die schwere Krise im Zuge der Covid-Pandemie verstärkt die Debatte über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens

Daniel Raventós Pañella lehrt als Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Barcelona. Der Katalane setzt sich als Mitglied und Direktor des Netzwerks Red Renta Básica (RBU) für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Spanien ein. Sein Bruder Sergi leitet nun ein anlaufendes RBU-Pilotprojekt in Katalonien. Telepolis sprach mit Raventós über die soziale Lage und die Chancen für die Einführung eines Grundeinkommens in Spanien.

Wie ist die aktuelle soziale Lage in Spanien? Mit 14,1 Prozent offizieller Arbeitslosenquote weist das Land die höchste Quote in der EU noch vor Griechenland aus.

Daniel Raventós: In wenigen Worten zusammengefasst würde ich sagen: Nach der Krise ab 2008 haben sich die Lebensbedingungen der großen Mehrheit weiter verschlechtert. Sie werden immer schlechter für die einfache Bevölkerung, allerdings nicht für die Reichen. Die Lage hat sich mit der Covid-Pandemie ab März 2020 weiter zugespitzt. In Spanien zeigt sich im Vergleich zu anderen Ländern im Umfeld eine besondere Verschlechterung.

Das hat vor allem damit zu tun, dass die Arbeitslosigkeit hier stets besonders hoch war. In ungefähr 25 Jahren der letzten 30 Jahre war die Quote stets im zweistelligen Bereich. Krisen, wie die ab 2008 oder die infolge der Pandemien, haben deshalb stärkere Auswirkungen als in Ländern mit geringeren Quoten.

Regierung und Arbeitgeberverbände sind jetzt besonders erfreut, dass im vergangenen Jahr wieder viele Stellen geschaffen wurden. Man muss aber keine großen Untersuchungen anstellen, um zu sehen, dass viele davon ungesicherte, prekäre und schlecht bezahlte Jobs sind, meist befristet und oft in Teilzeit. Sie sind meist nicht vergleichbar mit vielen Stellen vor der Krise 2008. Das ist natürlich aber nur ein kleiner Ausschnitt der sozialen Situation.

Ist also das Armuts-Virus pandemisch, wenn mit 12 Millionen Menschen schon 2020 mehr als 26 Prozent an oder unter der Armutsgrenze lagen und 4,5 Millionen sogar von "schwerer Armut" betroffen waren?

Daniel Raventós: Ja. Exakt das ist die Situation.

Daniel Raventós; Foto: Ralf Streck

Die sozialdemokratische Regierung hatte deshalb mit dem "Lebensnotwendigen Mindesteinkommen" (IMV) ein Sozialgeld geschaffen, das laut ihrer Ankündigung ein "qualitativer Sprung im Sozialstaat" und einen der "größten Fortschritte" bedeuten soll. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Guy Standing meinte dagegen, das sei "eine der dümmsten Maßnahmen, die man sich vorstellen kann". Wie kommt er zu dieser Aussage?

Daniel Raventós: Zunächst sei gesagt, dass es mit solchen Beihilfen wie das IMV nicht nur in spanischen Regionen, sondern auch in ganz Europa viele Erfahrungen gibt. Wenn Guy Standing das als eine der dümmsten Maßnahmen bezeichnet, bezieht er sich auch auf diese Erfahrungen.

An der Maßnahme hier ist nur neu, dass damit ein Dekret für das gesamte Staatsgebiet verabschiedet wurde. Alle Regionen hatten schon zuvor irgendeine Art Beihilfe für Arme. Die erste IMV wurde dort eingeführt, wo Sie leben: im Baskenland. Das ist weiterhin die beste und die umfangreichste Unterstützung, während die Beihilfe für Arme in Madrid oder Murcia zu den schlechtesten im Staat gehören. Die Unterschiede sind enorm.

Es ist also schon allein deshalb unsinnig, von einem qualitativen Sprung zu sprechen. Es ist aber auch auffällig, dass im Baskenland, der Region mit den besten Bedingungen, gerade mit 22.000 Unterschriften eine Volksinitiative (ILP) ins Parlament eingebracht wurde. So muss sich jetzt das baskische Parlament mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigen, wie ich es fordere. Die ILP kommt von Menschen, die sich genau mit Beihilfen beschäftigt haben.

Kommen wir aber noch einmal zum spanischen IMV zurück. Als Ziel wurde im Juli 2020 formuliert, die extreme Armut solle beseitigt werden. Achtung, nicht die Armut, sondern nur die "extreme" Armut! Das ist schon interessant. Wir wissen, dass es im spanischen Königreich mindestens 10 Millionen arme Menschen gibt.

Die Maßnahme sollte aber nur 800.000 Familien begünstigen, also höchstens zwei Millionen Menschen. Gut 80 Prozent der Armen werden schon von vorneherein ausgesiebt. Auch darauf bezog sich Guy Standing. Es wurden große bürokratische Hürden geschaffen und eine groteske Situation. Auch schärfste Verfechter des IMV erkennen dies zum Teil inzwischen an.

"Besser im Kampf gegen Armut, weil die Maßnahme nicht allein auf Arme zielt"

Sogar die Regierung gab mit den letzten Zahlen zu, dass mehr als ein Jahr nach Einführung des IMV statt 800.000 Familien nur etwa 800.000 Personen begünstigt werden, von etwa 1,5 Millionen Anträgen nur 340.000 bewilligt wurden. Worin liegt der Unterschied zwischen dem bedingungslosen Grundeinkommen und dieser Beihilfe?

Daniel Raventós: Die großen Unterschiede zu Beihilfen, die immer an viel Bürokratie und Bedingungen geknüpft sind, sind vor allem zwei: Das Grundeinkommen soll bedingungslos gewährt werden. Für Beihilfen müssen immer viele Bedingungen erfüllt werden und sie schließen sich meist gegenseitig aus. Man muss arm sein, nicht über genügend Einkommen verfügen usw..

Wenn Menschen hören, dass das Grundeinkommen uneingeschränkt gewährt werden soll, halten sie es zunächst für eine Absurdität, allen die gleiche Summe auszuhändigen. So werde ich gefragt: Sollen also auch Milliardäre wie Bill Gates oder Amancio Ortega es bekommen? Es ist aber für alle, die das verstehen wollen, gar nicht kompliziert. Es sollen tatsächlich alle erhalten. Aber das heißt nicht, dass auch alle davon profitieren.

Das Geld kommt zunächst zum Einkommen hinzu, aber man muss dieses höhere Einkommen auch versteuern. In Untersuchungen wird ausgeführt, dass im Fall Spaniens die breite Masse profitieren würde, die reichsten 20 Prozent würden aber real verlieren. Sie müssten wie Ortega mehr an Steuern zurückzahlen, als sie an Grundeinkommen erhalten haben.

Klar, die Leute, die sehr wenig haben, würden besonders stark profitieren. Das Grundeinkommen ist deshalb im Kampf gegen die Armut viel besser, weil die Maßnahme nicht allein auf Arme zielt.

Eine soziale Hängematte?

Bedeutsam scheint mir auch, dass der gesamte teure bürokratische Apparat entfällt, der zur Gewährung und Kontrolle von Beihilfen nötig ist. Aber was sagen Sie Leuten, die meinen, dass mit dem Grundeinkommen eine soziale Hängematte geschaffen wird und Leute gar nicht mehr arbeiten wollen?

Daniel Raventós: Bevor ich direkt auf die Frage antworte, möchte ich anmerken, dass die Bürokratie eines der beiden großen Probleme mit den an Bedingungen geknüpften Beihilfen darstellt, obwohl es noch weitere gibt. Allgemeiner würde ich von Verwaltungskosten sprechen. Stellt man Bedingungen auf, braucht man ein Heer von Kontrolleuren, von Angestellten, die zum Beispiel einen Antrag prüfen.

Sie haben recht, die Verwaltungskosten fallen beim Grundeinkommen weg. Doch ein weiteres großes Problem mit den Beihilfen ist, was man die Armutsfalle nennt. Es ist für Bezieher von Beihilfen meist nicht möglich, zusätzlich eine andere Einkommensquelle zu haben. Da fragen sich Leute, warum soll sie für einen schlechten befristeten Job die Beihilfe verlieren, die sie danach wieder aufwendig beantragen müssen. Zudem haben sie trotz der Arbeit dann eigentlich nicht viel mehr in der Tasche.

Um nun auf die Frage zu antworten: Ich glaube in einigen Fällen, dass die Menschen, die von der sozialen Hängematte sprechen, das Grundeinkommen mit Beihilfen verwechseln. Das Grundeinkommen ist nämlich kompatibel mit anderen Einkommensquellen und bietet deshalb die Möglichkeit, sich aus der Armutsfalle zu befreien.

Man zahlt, kommt ein weiteres Einkommen hinzu, dann auch Steuern oder höhere Steuern. Das Grundeinkommen verliert man nicht, hat also insgesamt mehr in der Tasche. Es ist ein Anreiz.

Reicher Erfahrungsschatz aus Pilotprojekten

Wir können auch auf einen reichen Erfahrungsschatz aus Pilotprojekten zurückgreifen, die an verschiedenen Orten dieser Welt gemacht wurden, die zudem sozial, wirtschaftlich und kulturell sehr unterschiedlich waren, wie in Kenia, Finnland, Kanada, Indien... und wir werden jetzt auch eins hier in Katalonien starten.

Alle verliefen unterschiedlich, aber praktisch alle haben gezeigt, dass die Bezieher von Grundeinkommen stärker am Arbeitsmarkt teilnehmen. In Finnland - obschon ich finde, dass das Projekt aus verschiedenen Gründen schlecht angelegt war - kam trotz allem heraus, dass die Bezieher des Grundeinkommens, schließlich mehr gearbeitet haben als die Nicht-Bezieher in der Kontrollgruppe.

Viele Erkenntnisse lassen sich aber aus Pilotprojekten nicht gewinnen. Eindeutig klar wurde aber, dass die Leute nicht aufhören zu arbeiten, sondern eher bereit sind, eine Arbeit aufzunehmen.

Ein weiteres interessantes Ergebnis praktisch aller Pilotprojekte ist, auch wenn ich anders als mein Bruder Sergi darin kein Spezialist bin, dass sich die psychische Gesundheit von Beziehern des Grundeinkommens deutlich verbessert. Die Menschen werden von der ständigen Existenzangst befreit, die enormen Stress und Probleme mit der mentalen Gesundheit erzeugt.