Warum es böses und gutes Erdgas gibt

Energie- und Klimawochenschau: Pipelines, sprudelnde Methanquellen, ein Minister, der vor Klimaschutz warnt, Aussichten auf einen nuklearen Winter sowie Verantwortungslosigkeit in Berlin und Washington

Nun wird also das Zertifizierungsverfahren für die fast fertiggestellte Nord-Stream-2-Pipeline gestoppt. Vorerst. Das Genehmigungsverfahren soll neu aufgerollt werden. Und dieses würde sich hinziehen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz laut Tagesschau wissen lassen.

Klimaschützer hatten den Pipeline-Stopp seit langem gefordert, denn das Erdgas gehört zu den fossilen Energieträgern. Bei seiner Verbrennung und bei seiner Verwendung in der chemischen Industrie wird das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) freigesetzt, wenn auch nicht so viel – gemessen an der Energieausbeute – wie bei der Verbrennung von Stein- oder gar Braunkohle.

Wichtiger noch: Es besteht größtenteils aus Methan, aus einem wesentlich potenteren, weiteren Treibhausgas. Jedes Leck bei der Produktion oder beim Transport trägt also zur Klimakrise bei, und zwar nicht nur in Russland, sondern zum Beispiel auch vor der britischen Küste, wo seit 1990 ein außer Kontrolle geratenes Bohrloch munter vor sich hin sprudelt.

Rund 32 Millionen Tonnen Erdgas – 88 bis 90 Prozent davon Methan – entweichen aus einem Krater am Meeresboden in 118 Metern Tiefe. Zum Glück wird der aller größte Teil davon auf dem Weg an die Oberfläche im Wasser gelöst. Weniger als eine Millionen Tonnen jährlich erreicht die Atmosphäre.

Das entspricht allerdings noch immer rund 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Und es ist zwar die größte, aber bei Weitem nicht die einzige Methanquelle am Grunde der Nordsee.

Verschiedene deutsche Expedition haben im vergangenen Jahrzehnt festgestellt, dass aus zahlreichen der insgesamt rund 15.000 Bohrlöchern Methan entweicht. Dieses stammt in der Regel nicht aus den ausgebeuteten Vorkommen, sondern aus kleineren, kommerziell uninteressanten Reservoirs. Mit weniger als 1.000 Metern Tiefe unter dem Meeresboden sind diese vergleichsweise flach und werden bei den tiefer gehenden Bohrungen nur versehentlich angestochen.

Frackinggas als Alternative

Aber zurück zum russischen Gas. Der Stopp für Nord Stream 2 heißt zunächst nicht, dass weniger Gas aus Russland käme. Es wird halt vorerst weiter durch die alten Pipelines fließen und damit Polen, Weißrussland und der Ukraine Einnahmen aus den Durchleitungsgebühren bescheren.

Angesichts der ökonomischen Ungleichgewichte eigentlich keine schlechte Sache. Wie allerdings der Zustand der alten, seit mehreren Jahrzehnten im Betrieb befindlichen Leitungen ist, steht auf einem anderen Blatt.

Mittelfristig sollen nach dem Willen vieler Grüner und anderer Nato-Freunde die russischen Importe durch Einfuhren aus anderen Ländern ersetzt werden. Das Problem: Die europäischen Nachbarn Großbritannien, Niederlande und Norwegen können dauerhaft kaum mehr fördern, als bisher schon.

Auch wenn in London die ersten Rufe erschallen, die Erkundung in der Nordsee wieder aufzunehmen und neue Quellen zu erschließen, bleibt fraglich, wie viel das bringen könnte. Wie die Erdölfelder auch erschöpfen sich die west- und nordeuropäischen Gasvorkommen zunehmend.

Bleibt also nur Flüssiggas, sogenanntes Liquefied Natural Gas (LNG), das für den Transport in speziellen Tankschiffen stark heruntergekühlt werden muss. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte sich vor einigen Wochen für den Bau sogenannter LNG-Terminals an der Küste ausgesprochen.

Voraussichtlich würde das auf diesem Wege importierte Erdgas vor allem aus den USA kommen und aus dem dort betriebenen besonders klimaschädlichen Fracking stammen. Dieses Verfahren ist bei Klimaschützer in Verruf, weil bei ihm größere Mengen des Treibhausgas Methan entweichen.

Der Landesparteitag der schleswig-holsteinischen Grünen hatte sich am vergangenen Wochenende zwar erneut gegen ein solches Terminal ausgesprochen. Allerdings wird die Planung für eine entsprechende Anlage in Brunsbüttel, an der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals in die Unterelbe, von der Kieler Landesregierung bereits seit längeren vorangetrieben, ohne dass die grünen Ministerinnen und Minister interveniert hätten. Auch Robert Habeck nicht, der von 2012 bis 2018 im Land zwischen den Meeren Umweltminister war.

Eine weitere Anlage zur Anlandung von Flüssiggas wird gegenüber von Brunsbüttel am niedersächsischen Elbufer bei Stade geplant. Wie die Tagesschau berichtet, soll im Sommer das Genehmigungsverfahren gestartet werden.

Allerdings ist Deutschland auch nicht unbedingt auf ein eigenes LNG-Terminal angewiesen, wenn es Frackinggas aus den USA beziehen will. Europa ist mit einem Netz von Gaspipelines durchzogen, das sogar bis Zentralasien reicht und von dort letztlich ganz Eurasien verbindet. US-Frackinggas könnte also auch über eines der 26 anderen LNG-Terminals eingeführt werden, über die die EU-Staaten verfügen.

Am Rande bemerkt: Eine neue Untersuchung des Global Energy Monitor spricht davon, dass derzeit weltweit 79.000 Kilometer neuer Pipelines im Bau und weitere 122.500 Kilometer in der Planung seien.

Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass ein erheblicher Teil der hierfür geplanten Investitionen in Höhe von 485,8 Milliarden US-Dollar (429 Milliarden Euro) sich zu sogenannten stranded assets entwickeln werden, also vorzeitig abgeschrieben werden müssten.

Wenn der Himmel sich verdunkelt

Unterdessen wird von allen Seiten kräftig weiter an der Eskalationsspirale gedreht und alle – auch mancher hiesiger Klimaschützer, von denen sich einige nun mit nationalistischen Argumenten gegen den Erdgasbezug aus Russland regelrecht überschlagen – scheinen vergessen zu haben, dass die Nato und Russland über genug Atomwaffen verfügen, um den ganzen Planeten mehrfach in die Steinzeit zurück zu bomben.

In den 1980er-Jahren, als das Wissen um die Gefahren eines Atomkriegs noch weiter verbreitet und die Bedrohung durchaus real war, machten daher der Meldungen von einem nuklearen Winter die Runde.

Geowissenschaftler hatten einmal nachgerechnet, was bei den Explosionen des Arsenals geschehen würde. Das Ergebnis: Die Mengen aufgewirbelten Staubs und Rauchs aus den zahllosen Bränden würde ausreichen, um die Erde für mehrere Jahre erheblich zu verdunkeln.

So sehr, dass es zu einem Kollaps vieler Ökosysteme und dem Ausfall großer Teile der Ernten käme. Was das auf einem Planeten bedeutet, dessen Getreidevorräte (inklusive Reis) nicht einmal für ein ganzes Jahr reichen, kann man sich leicht vorstellen.