Marco Bülow: "Wir brauchen einen neuen Typus an Parteien."

Die Kuppel des Reichstags verspricht Transparenz und Offenheit. Doch tatsächlich haben darunter die Lobbys das Sagen. Bild: Caniceus / Pixabay

Marco Bülow sagt: Wir werden nur noch von oben beschallt, in Parteien und von Medien. Mit psychologischen Tricks werden Krisenlösungen blockiert. Gibt es Auswege aus der Post-Politik? (Teil 3 und Schluss)

David Goeßmann von Telepolis interviewt den Politiker und Buchautoren Marco Bülow. Er spricht darüber, wie die Klimakrise mit psychologischen Tricks aus der politischen Arena geschoben wird, Parteien förmlich ausbluten und von oben durchregiert werden. Die Proteste der jungen Generation geben ihm Hoffnung. Es brauche aber mehr als ein Update der Demokratie. Ein neuer Typus an Parteien und Bürger:innenräte seien notwendig. Teil 1 und Teil 2 des Interviews analysieren die durch Lobbys gekaufte Demokratie.

Marco Bülow war lange für die SPD im Bundestag und agierte dort u.a. als umweltpolitischer Sprecher der Fraktion. Er ist Autor von "Lobbyland".

Große Teile der Bevölkerung verlangen mehr Klimaschutz, sie sind besorgt über den drohenden Naturkollaps, während Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bewegungen Alarm schlagen, endlich umzusteuern. Wie erklären Sie sich dann aber, dass immer noch große Teile der Bevölkerung, Parteien wählen, die weiter keinen Plan für die Lösung der Klimakrise vorlegen oder sogar, siehe AfD, den Notstand leugnen? Wie kann man diesen Widerspruch auflösen?

Marco Bülow: Es gibt psychologische Hürden, egal wie unglaublich die Faktenlage ist. Bei Corona gab es sicherlich Leugner, aber man hat mehr auf die wissenschaftliche Grundlagen geschaut als in der Klimakrise, obwohl die Faktenlage beim Klima klarer, aussagekräftiger ist. Corona gibt es noch nicht lange, es gibt noch nicht so viele Erkenntnisse, man muss vieles noch gegenchecken.

Beim Weltklimarat IPCC wird hingegen so getan, als ob der eine Meinung ausdrücke. Bei Klimawissenschaftlern wird mittlerweile von Aktivisten gesprochen. Nein, das sind wissenschaftliche Grundlagen. Der IPCC fasst tausende Studien zusammen und checkt die noch mal gegen. Man kontrolliert sich gegenseitig. Die Ergebnisse sind praktisch Gesetz. Trotzdem versucht man immer noch, auch mit psychologischen Tricks, die leider durchaus funktionieren, zu sagen, na ja, das ist doch nicht so schlimm. Es betriff uns auch noch nicht, sondern andere. Wir können sowieso nichts ändern, weil wir ja nur zwei Prozent Anteil am CO2-Ausstoß weltweit haben – es wird zugleich verschwiegen, was wir alles schon verursacht haben. Also: Man versucht mit psychologischen Tricks, die Krise zu verdrängen.

Das funktioniert wie gesagt ganz gut, weil beispielsweise meine Generation, die schon Bescheid wusste, aber nicht gehandelt hat, mitschuldig ist. Aber keiner will schuldig sein. Es wird zudem gesagt, dass Klimaschutz unsozial ist. Wir dürfen zum Beispiel nicht zulassen, dass der Spritpreis steigt. In der SPD sind schnell alle auf dem Baum, fordern umgehend, dass der Preis gesenkt werden muss. Da erkennt man plötzlich sein soziales Herz. Aber das ist totaler Humbug, weil die Kosten immer mehr steigen werden, je länger wir warten.

Am meisten wird es die betreffen, auch international, die am wenigsten haben. Geld ist nicht das Problem. Wir geben alleine jedes Jahr 40 bis 60 Milliarden Euro für klima- und gesundheitsschädliche Subventionen aus. Das wird überhaupt nicht diskutiert. Diese Privilegien für Klimaverschmutzungen wie Kerosin-Steuervergünstigungen könnten wir abschaffen. Es ist unfassbar, dass SUVs bezuschusst bzw. steuerlich begünstigt werden durch das Dienstwagenprivileg. Wenn man das Geld nehmen und es vernünftig einsetzen würde, dann könnte man auch den Klimaschutz sozial ausgestalten.

Man könnte sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber es wird einem weiß gemacht: Das kostet alles viel. Wenn man nicht viel hat und denkt, jetzt muss ich auch noch zusätzlich für Klimaschutz bezahlen, dann sind die Grenzen schnell erreicht. Dieses Gemisch mit einer starken Profitlobby, die Geld in Werbe- und PR-Aktionen stecken kann, sorgt im Endeffekt dafür, dass einfach nicht genug getan wird. Die Leute sind verunsichert und sehen nicht die Alternative. Das heißt: Eine Partei, die beides zusammenbringt, das Soziale und den Klimaschutz. Daher sind die Wahlergebnisse heute noch so, wie sie sind.

Interview mit Marco Bülow über die gekaufte Demokratie auf Kontext TV.

Massenmedien in modernen Demokratien haben die Aufgabe, die Bürgerinnen zu informieren über alles Relevante, was in ihrem Namen im Bundestag und in der Regierung entschieden wird. Wie sehen sie die Rolle der Medien in Bezug auf das, was sie gerade beschrieben haben, nämlich dass die notwendige Energiewende nicht stattfindet und über Jahrzehnte blockiert wurde. Haben die Medien die Bürger:innen ausreichend informiert über das was geschieht? Sie haben selbst einmal Talkshows untersucht und es kam dabei heraus, dass in der Zeit von 2015 bis 2017 Klimaschutz nicht einmal vorkam.

Marco Bülow: Wenn wir uns die Medien anschauen, dann muss man sagen, dass sie genauso versagt haben wie die Politik. Sie haben das Thema erst wieder auf die Tagesordnung gesetzt, als die Klimabewegung kam. Sie haben es dann schnell wieder ad acta gelegt. Viele haben der Coronapandemie förmlich gedankt, weil damit das Klimathema nicht mehr explodieren konnte.

Viele Medien berichten nicht differenziert und intensiv genug. Ein Beispiel: Es gibt die Kampagne "Klima vor Acht", die das Thema prominenter platzieren möchte, was ich stark unterstütze. Es ist ein Witz, dass wir jeden Tag über Aktienmärkte sprechen, obwohl die allermeisten Deutschen keine Aktien besitzen. Für die Menschen ist es völlig egal, wie sich der Aktienmarkt entwickelt. Aber was alle betreffen wird, die Entwicklungen und die Folgen des Klimawandels, was wir tun bzw. tun müssten, das kommt nur am Rande vor.

Es gibt gute Sendungen, Dokumentationen, die die Situation verdeutlichen. Aber in der politischen Auseinandersetzung, die medial auch gespiegelt wird, spielt Krise fast keine Rolle. Wenn, dann nur oberflächlich.

In Talkshows hat die Klimakrise ganz lange gar keine Rolle gespielt. Das habe ich untersucht. Selbst das Pariser Klimaabkommen, also der historische Meilenstein, wie allgemein gesagt wurde, hat in keiner Talkshow seinen Niederschlag gefunden.

Das ist ein Versagen. Von den Öffentlich-Rechtlichen erwarte ich, dass sie das ganz anders angehen. Aber auch alle anderen. Es gibt Medien, die machen das. Das sind aber meistens nicht die, die einen hohen Verbreitungsgrad haben. Man muss die Leute ja erreichen, die sich nicht durch das Kleingedruckte durchwühlen, Podcasts anschauen oder bei Social Media unterwegs sind, sondern die sich über die großen Massenmedien informieren. Gerade die müssen bespielt werden.