Ceta: Schmutzige Werte

Die Teersandförderung hinterlässt schwere, langfristige Schäden in der Landschaft. Foto: Howl Arts Collective / CC-BY-2.0

Weltspitze: Fünf von weltweit 25 besonders skandalösen Öl- und Gasprojekten liegen in Kanada; ein weiteres in den USA dient dem Transport kanadischen Teersandöls

Am 7. Februar fand im Bundestag die erste Lesung des von der Ampel-Koalition eingebrachten Zustimmungsgesetzes zu Ceta (BT-Drs. 20/2569), dem umstrittenen EU-Freihandelsabkommen mit Kanada statt, dem auch nach fast fünfjähriger "vorläufiger Anwendung" die Parlamente von zwölf der 27 EU-Staaten noch nicht zugestimmt haben.

Auch die SPD war eigentlich dagegen, solange nicht bestimmte substanzielle Änderungen vorgenommen würden, wie ihr Parteikonvent im September 2016 beschlossen hatte, die Grünen sowieso. Doch nach der lange erwarteten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März – das Ceta zwar gerade keine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt, die Klagen aber aus formalen Gründen zurückgewiesen hatte – machte zuletzt nicht nur die FDP Druck.

Ceta: Zweifelhafte wirtschaftliche Vorteile

Dabei spielte keine Rolle, dass es seinerzeit selbst den offiziellen Studien nicht gelungen war, mehr als marginale (oder gar negative) wirtschaftliche Impulse als Folge von Ceta zu prognostizieren: Das jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU werde sich um rund zwölf Milliarden Euro erhöhen, heißt es im Gesetzentwurf, den die CDU/CSU-Fraktion seit Mitte März sechsmal in den Bundestag eingebracht hat (BT-Drs. 20/1008); und auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Verena Hubertz präsentiert diese Zahl in ihrer Rede freudestrahlend.

Aber zwölf von 15.336 Milliarden Euro (so hoch war das EU-BIP im Jahr 2017, am Beginn der vorläufigen Anwendung von Ceta)? Ja, das sind gerade einmal 0,08 Prozent zusätzlichen Wachstums. Ein einziges Mal. Oder anders gesagt: Geht man davon aus, dass sich die vermeintlich so präzise berechneten Effekte über einen Zeitraum von 15 Jahren entfalten, sind das, während dieser 15 Jahre, pro Jahr durchschnittlich 0,005 Prozent mehr Wachstum als ohne Ceta – wow!

Der Preis sind bleibende demokratische Einschränkungen

Abgesehen davon, dass selbst dieser mickrige Wert immer noch sehr weit am oberen Rand der – Kritiker:innen zufolge sogar noch geschönten – seinerzeitigen Prognosen liegt:1 Lohnt es sich dafür eigentlich, den demokratischen Handlungsspielraum durch strenge Freihandelsregeln und neue Gremien außerhalb der eigenen Verfassungsordnung – die umstrittenen Investitionsgerichte, aber auch mächtige Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen EU und Kanada sowie die Ausschüsse, die verbindliche Beschlüsse fassen können – empfindlich einzuschränken?

Wer hier noch im Ohr hat, dass das doch alles haltlose Falschdarstellungen seien, ist nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Nicht nur ist "seit längerem anerkannt, dass Freihandels- und Investitionsabkommen eine einschränkende Wirkung auf legislative Aktivitäten entfalten können und insofern zu einer faktischen Einschränkung des Spielraums des Gesetzgebers führen können," so Völkerrechtsprofessor Markus Krajewski im Jahr 2017.

Auch die von der EU-Kommission im Februar 2021 vorgelegte "Überprüfung der Handelspolitik" greift zentrale Argumente der Kritiker:innen auf und gelobt Besserung. Freilich – erst in Bezug auf künftige Abkommen. Ceta hingegen möge bitte in der dem alten Konzept entsprechenden Fassung durchgehen.

Ein schlechter Deal also, wie es scheint. Bestensfalls homöopathische (schlechtestenfalls sogar negative) Wirtschaftsimpulse als Gegenleistung für bedeutsame Einschränkungen der Demokratie.

Zwar wollen die deutschen Grünen im Herbst nur dann für das von ihnen als Teil der Ampel mit eingebrachte Ceta-Zustimmungsgesetz stimmen, wenn der Investitionsschutz bis dahin entschärft wurde.2 Doch ob das rechtlich tatsächlich so geht, wie sie sich das vorstellen, ist umstritten. Zudem bliebe die einseitige Ausrichtung auf Handelsliberalisierung im Gegensatz zu Arbeitsrechten, Umweltschutz und vielem anderem dennoch in großem Maß erhalten.

Und, ach ja: Wozu braucht man Ceta eigentlich überhaupt noch, wenn es seinen originären Zweck, die Wohlstandsmehrung, so verfehlt?

Weiß die Bundesregierung, warum sie Ceta trotzdem will?

Vielleicht gibt ja der Zustimmungsgesetzentwurf Auskunft. Doch unter dem Titel "Problem und Ziel" wird keine Begründung dafür genannt, warum trotz vielfältiger Investitions- und Handelsbeziehungen "die Möglichkeiten für den Handel und für Investitionen" noch "zu steigern" seien.

Dafür wird im gesamten Text unterschlagen, dass exportierende Unternehmen meist nur dann von den mit Ceta vereinbarten Zollsenkungen profitieren, wenn sie auf der anderen Seite bereit sind, viel Geld für den Nachweis auszugeben, dass weniger als ein bestimmter (in den Ceta-"Ursprungsregeln" festgelegter) Prozentsatz der in einem Produkt verarbeiteten Vorprodukte aus einem Drittland stammt – nicht selten ein Minusgeschäft.

Später am Beginn der "Schlussbemerkung" wird immerhin noch ergänzt, Ceta solle "mögliche Wettbewerbsnachteile für europäische und somit auch deutsche Unternehmen beim Marktzugang gegenüber anderen Ländern ... verhindern", nämlich insbesondere den USA und Mexiko, mit denen Kanada schon seit 1994 in einer Freihandelszone vereint ist (NAFTA, seit 2020 USMCA).

Man strebt also selbst "privilegierte Wirtschaftsbeziehungen" an, will aber dasselbe bei anderen zugleich torpedieren?! Und meint man eigentlich, dabei am längeren Hebel zu sitzen? Für Kanada sind die Beziehungen zu den USA deutlich wichtiger, deshalb darf man sich nicht wundern, wenn es die Ceta-Ausschüsse nutzt, um das europäische Vorsorgeprinzip anzugreifen.

Die großen Linien

Puh. Einmal schütteln, bitte. Ist das nicht alles nur kleines Karo? Müssen wir im Westen, müssen die demokratischen Staaten nun nicht einfach zusammenstehen? Das Argument wurde bereits Anfang 2017, anlässlich des Amtsantritts Donald Trumps und seines polternden Handelskriegs gegen China bemüht. Die seinerzeitigen TTIP- und Ceta-Gegner:innen: nichts als Parteigänger:innen der schlimmsten Populst:innen?!

In diesem Geiste wurde die öffentliche Debatte beendet und man wartete auf das Bundesverfassungsgericht (s. o.), dessen Entscheidung nun freilich mitten in eine dramatische Weltlage fällt: Nach dem verbrecherischen Angriff Russlands auf die Ukraine muss die Abhängigkeit von russischer Energie – aber letztlich auch von China – reduziert werden. Das lässt die bisherige Globalisierung als teilweise naiv erscheinen.

Doch zugleich erzeugt es kurzfristig auch Bedarf nach Ersatzlieferungen durch andere Handelspartner. Und da ist es also wieder, das Argument von den westlichen, demokratischen Freunden, mit denen man die Reihen schließen müsse. Ceta sei "geeignet, die vielfältigen Diversifizierungsbestrebungen der Bundesrepublik Deutschland bzw. der deutschen Wirtschaft zu fördern" und diene "dabei insbesondere dem Ziel, die Kooperation und den Handel mit einem Partner zu fördern, der die grundlegenden Werte der liberalen Demokratie teilt" – so heißt es auf Seite 5 des Zustimmungsgesetzentwurfs.

Also: Ist Kanada nicht allemal besser als Katar? "Wenn wir nicht mal mit Kanada ein Freihandelsabkommen machen können, mit wem dann?" So zitierte CDU-Redner Spahn im Bundestag genüsslich den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Seine Kollegen Cronenberg und Houben von der FDP argumentierten ähnlich.