Neue Schwämme braucht die Stadt

Institut für Physik / HU Berlin. Bild: Birgit Gilsenbach

"Schwammstadt" heißt, aus der zentralisierten Ableitung des Regenwassers viele kleine ökologische Kreisläufe zu machen. Damit das Wasser vor Ort gehalten werden kann.

Die alten Griechen benutzten zur Körperreinigung durchwegs Schwämme, die aus dem Tierreich stammen. Es sind Meeresbewohner, die durch Einstrudeln von Wasser Nahrungspartikel herausfiltern und anschließend das Wasser wieder ausstoßen. Das Skelett des dem Meer entnommenen und getrockneten Tieres eignet sich durch seine Saugfähigkeit für den Hausgebrauch.

Die Spezies Mensch, die sich auf festem Boden in Städten ansiedelte, hat jüngst erkannt, dass sie das einfache Meeresprinzip des Einsaugens und Abstoßens von Wasser im Turnus zum eigenen Überleben braucht.

Die "Schwammstadt" nimmt das Niederschlagswasser auf und gibt es mit Verzögerung und wohldosiert wieder ab, wenn die Trockenheit kommt. Sie funktioniert nach einem Grundgesetz: Das Regenwasser wird dort zurückgehalten, wo es anfällt. Es verschwindet nicht ungenutzt in der Kanalisation, sondern wird in der Fläche, auf der es niedergeht, dem natürlichen Kreislauf zugeführt. Dazu gehören Versickerung und Verdunstung. Das nennt sich dezentrale Regenwasserbewirtschaftung in der wassersensiblen Stadt.

Die Fläche muss jedoch geeignet sein, das Wasser aufzunehmen, und wenn nicht, ist sie zur Rückhaltung (Retention) herzurichten. Die erste Aufgabe heißt: eine offensive Strategie für Entsiegelung entwickeln. Stärkere Impulse hierfür setzen. Nur so kann ein dezentraler Kreislauf des Wassers entstehen.

Ein ganzer Werkzeugkasten steht bereit, um die Ziele einer Schwammstadt sukzessiv zu erreichen. Die Bandbreite reicht von der Revitalisierung trocken fallender Auenlandschaften bis zu Rigolen, die einzelne Bäume mit Feuchte versorgen. Das Regenwasser sammelt sich gezielt in Speichern unter der (Straßen-)Oberfläche. Rigolen können mit Mulden gekoppelt sein, und Mulden größeren Ausmaßes sind gut in Parklandschaften zu integrieren.

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Institut für Physik mit Versickerungsfläche. Bild: Birgit Gilsenbach

Solche Mulden und Senken sind nutzungsoffen. Es kann und soll nicht vorherbestimmt werden, welcher Gebrauch von ihnen neben der Hauptfunktion gemacht wird. Bei Absenkung des Wasserspiegels kommt zum Beispiel eine spezifisch begrünte Böschung zum Vorschein oder gar ein Sportplatz oder ein Wasserspielplatz. Einer Funktion entsprechen mehrere Verwendungen. Das Gelände ist "multicodiert" und damit sehr urban.

Wo die Siedlungsdichte größer ist, werden aus Mulden befestigte Wasserbecken. In Berlin-Grünau beträgt die neu angelegte Retentionsfläche 6.000 qm. Sie nimmt das Niederschlagswasser der umliegenden Häuser auf. Die Festlegung, welche Ausdehnung ein Retentionsgebiet hat, muss nicht an der Grundstücksgrenze enden. Wo möglich, kann es ganze Quartiere umfassen.

Für die beliebte, fahrradaffine Bergmannstraße in Berlin wurde die Idee kreiert, den Bordstein zugunsten einer Entwässerungsrinne einzuebnen, die die begleitenden Grünstreifen und Baumscheiben mit Niederschlagswasser versorgt.

Hört sich verwegen an, hat aber sein Vorbild im Mittelalter. Die Altstadt von Freiburg ist heute noch von bis zu 75 cm breiten offenen Kanälen und Rinnen entlang der Gassen durchzogen. Der Gebrauch der "Freiburger Bächle" als Viehtränke oder für Löschwasser dürfte heute nicht mehr aktuell sein, aber im Zeitalter steigender Temperaturen ist jeder Beitrag zur Kühlung durch Verdunstung willkommen. An breiteren Stellen ist Abkühlung auch durch Planschen möglich. Ein Fluss spendet das Wasser für die Bächle.

"Aus Grau mach Grün." Bei diesem Leitbild fehlt noch das Blau. Angespielt wird auf die Konkurrenz dreier Infrastrukturen. Grau steht für stark versiegelte unbebaute Freiflächen wie Straßen und Stellplätze. Grün steht für öffentliche Grünflächen sowie Sport- und Spielplätze. Blau ist die Infrastruktur aus Gewässern und naturnahen Ufern.

Die Einteilung ist simpel, legt jedoch nahe, über die Proportion der drei Kategorien nachzudenken. Grau entwickelte sich seit der "autogerechten Stadt" zur absoluten Dominanz. Wer an sommerlichen Tagen durch die Innenstädte streift, muss feststellen, dass die aufgeheizten Straßenbeläge nicht einfach zur Erderwärmung beitragen, sondern die Erderwärmung sind. Die Städte sind zu Hitze-Inseln geworden und als Aufenthaltsraum temporär untauglich.

Hier haken die "Schwammstädter" ein mit Forderungen nach Entsiegelung, Wasserversickerung und Verdunstung, aber auch nach Frischluftschneisen und Strategien für die Klimaanpassung des Stadtgrüns.