Verstaatlichung – verworfen, gefordert, umgesetzt und nun?

Der absolute Frevel an der Marktwirtschaft – der Staat eignet sich privates Unternehmertum an. Das geht gar nicht! Oder doch?

Verstaatlichung ist der Horror jedes Liberalen und sonstigen Parteigängers marktwirtschaftlicher Vernunft. Inzwischen ist sie aber nicht mehr nur eine Forderung der Linken, die mit Verstaatlichung die Übel der Marktwirtschaft beseitigen will (vgl. SZ, 12.9.22). Oder eines Gewerkschaftsvertreters, der wie IG-Metall-Vorstandsmitglied Urban die "Überführung" von Konzernen, die an ihrer Versorgungsaufgabe scheitern, "in die öffentliche Hand" für sinnvoll hält (vgl. konkret, 10/22).

Die Forderung wird auch von anderen Gruppen hierzulande erhoben und hat es in Berlin sogar bis zu einem erfolgreichen Volksentscheid gebracht. Ob es ums Wohnen geht, das Gesundheitswesen oder jetzt die Energieversorgung, immer soll, wenn sich Not bemerkbar macht, letztendlich Verstaatlichung die Versorgung der Bürger sicherstellen. Berufen wird sich dabei auf das Grundgesetz, das diese Möglichkeit vorsieht, und auf das Ziel der Politik, die Versorgungssicherheit der Bürger zu gewährleisten.

Wenn man aber die Praxis dieses gar nicht so ungewöhnlichen Verfahrens betrachtet, zeigt sich schnell, dass es auch nicht für Zufriedenheit im Lande sorgt. Dafür wird deutlich, worum es dem Staat bei Verstaatlichung und Versorgungssicherheit geht.

Marktwirtschaft mit Versorgungssicherheit …

Zur Wahrung der Versorgungssicherheit hat der Staat nicht nur die Regie bei Gazprom Germany übernommen, sondern auch den größten Gasimporteur Uniper verstaatlicht und weitere Verstaatlichungen im Gassektor in Aussicht gestellt. Angekündigt ist zudem ein Gaspreisschirm, der den Gaspreis bezahlbar machen soll. Wie dieser genau ausgestaltet wird, ist noch offen, aber in seinen Grundsätzen bekannt.

Verhindert werden soll durch die Aktion, dass die Höhe der Gaspreise Unternehmen ruiniert, und auch die Bürger sollen mit ihrem beschränkten Budget über die Runden kommen. Der Staat stellt sich mit diesem Programm als Garant für das Funktionieren seiner Wirtschaft und für das Zurechtkommen seiner Bürger dar.

Versorgungssicherheit bedeutet natürlich nicht, dass damit jeder sicher sein kann, dass er das bekommt, was er zu seinem Lebensunterhalt oder zur Durchführung seines Geschäfts braucht. Schließlich soll bei der ganzen Aktion Gas auch weiterhin einen Preis haben und dieser Preis soll zum Energiesparen anreizen, wie es so schön heißt.

Zum Sparen anreizen bedeutet nichts anderes, als dass es einigen schwerfallen wird, diesen Preis zu bezahlen. Das ist dabei fest einkalkuliert. Schließlich erfordert der Wirtschaftskrieg mit Russland Energieeinsparung in der gesamten Nation. Sicherung der Versorgung unter staatlicher Hoheit zielt eben auf die Sicherung des Geschäftemachens und darauf, dass die Bürger weiter ums Geld der Gesellschaft konkurrieren können. Dass dabei immer welche zu kurz kommen und verarmen ist, fester Bestandteil dieser Wirtschaftsordnung.

Die Gasversorgung ist nur eine Branche, die der Staat als wesentlich für das Funktionieren seiner Gesellschaft betrachtet. Das Herbeischaffen der benötigten Energieversorgung gilt ihm insgesamt als Sektor, dem besondere Aufmerksamkeit zu widmen und der durch entsprechende Gesetze zu regulieren ist. Im Gassektor wird dies an den Regelungen zum Füllstand der Gasspeicher deutlich: Sie müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt soweit gefüllt sein, dass sie als Reserve für Versorgungsschwankungen ausreichen.

Neben dem Energiesektor sind die Geschäftssphären Transport, Post und Telekommunikation, der Wohnungssektor, die Agrarindustrie und das Gesundheitswesen als relevante Bereiche für die gesamtgesellschaftliche Funktionsfähigkeit im Visier der Politik. Diese führt hier Aufsicht und macht daher regulierend dem Geschäft in diesen Branchen Vorgaben.

Was hier auffallen könnte, aber von keinem Wirtschaftsteil des deutschen Pressewesens zu hören ist: Wenn die Regierung Uniper und andere große Gasimporteure verstaatlicht, um die Gasversorgung im Lande sicherzustellen, dann stellt sie damit praktisch die Basisideologie der Marktwirtschaft in Frage. Die lebt ja von der Lüge, sie würde immer für die beste Allokation von Gütern sorgen, sprich, dass die Güter dorthin gelangen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Wohin sie wirklichen gelangen, entscheidet sich an der Zahlungsfähigkeit derer, die über die Mittel verfügen, die notwendigen Güter zu kaufen.

Das marktwirtschaftliche Credo ernst genommen, macht also nicht der Bedarf, den Menschen haben, die Dringlichkeit aus, sondern ihre Zahlungsfähigkeit. Die Nöte der kleinen Leute zählen da nicht, sie kommen erst als Sorgethema und Berufungstitel ins Visier, wenn staatlicherseits ein allgemeiner Notstand konstatiert wird.

… durch planwirtschaftliche Gestaltung des Geschäfts

Die Sicherung der Versorgung der Gesellschaft durch Schaffung der Voraussetzungen des Produzierens, Handelns und Konsumierens bedeutet für den Staat Kosten, die seinen Haushalt belasten und ihn damit in seiner politischen Handlungsfähigkeit beschränken.

Deshalb sind alle Regierungen – gleich welcher Couleur – darauf bedacht, dass möglichst viel an Voraussetzungen für das Funktionieren der Gesellschaft privatwirtschaftlich und damit kostengünstig erbracht wird. Schon die Auslagerung von Aufgaben an Stadtwerke, die nach wie vor vollständig in Besitz der Kommunen verbleiben, erbringt positive Leistungen, indem nicht mehr der kommunale Kredit für den Bau und die Instandhaltung von Wasser- oder Abwasserleitungen strapaziert werden muss.

Zudem müssen diese Firmen ihre Gebühren so kalkulieren, dass sich die dort eingesetzten Kredite und eingenommenen Gelder lohnen, d.h. zumindest die Kosten decken oder besser noch den Kommunen zusätzliche Einnahmen bescheren.

Die Kosten für die notwendige Infrastruktur der Gesellschaft erfordern wirtschaftlich betrieben große Kapitalmengen. Die waren in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht vorhanden und so wurden Branchen wie die Wasser- und Energieversorgung, die Bahn und Post weitgehend in staatlicher Regie betrieben. Und auch das Gesundheitswesen stand mit der Sicherung der Finanzierung für die meist von den Wohlfahrtsverbänden geführten Krankenhäuser unter staatlicher Kontrolle.

Das Vorhandensein von großen Kapitalmengen in der Gesellschaft und staatlicher Finanzbedarf nach dem Anschluss der DDR lösten dann eine wahre Privatisierungswelle aus. Die Stromkonzerne, die zwar als Kapitalgesellschaften in kommunaler Hand organisiert waren, aber sich mit Versorgungsmonopol und Preisregulierungen nicht als Konkurrenzunternehmen betätigen konnten, wurden von diesen Schranken befreit und sollten sich auf dem europäischen Markt als Kapitalunternehmen bewähren.

Die Post wurde zur Post AG, abgespalten davon die Telekom an die Börse gebracht und die Bahn in eine AG umgewandelt. Im Gesundheitswesen wurde das Kostendeckungsprinzip abgeschafft und die Akteure wurden darauf verpflichtet, mit staatlich vorgegebenen Preisen zu wirtschaften. Verkauft wurde die Umwandlung als Aufbruch in die neue Dienstleistungsgesellschaft und als Abschied von der bräsigen Beamtenkultur: Der Bürger wurde zum Kunden, der es nicht mehr mit einer Obrigkeit, sondern mit einem interessanten Anbieter zu tun hat.

Postbeamte zu Billiglöhnern

Die Wahrheit ist banaler: Privatisierung soll staatliche Ausgaben für die Sicherstellung dieser Leistungen reduzieren und aus den Kosten für diese Bereiche ein Mittel zur Bereicherung für Private machen, die ihrerseits so zu Steuerzahlern werden. Die Reduzierung des Aufwandes für die Versorgung durch Privatisierung erfolgt in erster Linie durch Senkung der Lohnkosten.

So wurde zum Beispiel aus Postbeamten ein Heer von Billiglöhnern, die als Mitarbeiter von Konkurrenzfirmen alle die gleichen Haushalte anfahren und die Pakete vor die Tür stellen, die Straßen verstopfen und die Luft verpesten. Für die Kunden werden Leistungen gestrichen und die Post kommt nicht mehr täglich, Postkästen werden abgebaut und Zweigstellen geschlossen.

Das Gleiche auch in den anderen Sektoren, wo mit der Privatisierung das Personal reduziert, Leistungen in nicht tarifgebundene Bereiche ausgelagert wurde usw. Die neue Servicegesellschaft begegnet den Bürgern in Form von Warteschleifen von Callcentern. Oder die Erhebung der Grundsteuer wird zu einem Experiment in Sachen Digitalisierung der Verwaltung, bei dem – wie der FAZ auffiel – der Bürger die Arbeit der Finanzämter machen soll.

Die Sicherstellung der Versorgung der notwendigen Dienste für die Gesellschaft durch Private hat so ihre Tücken, wie man an dem ganzen Regulierungswesen sieht. Für private Unternehmen ist nämlich die Versorgung der Gesellschaft Mittel für ihre Bereicherung und findet daher nur dort statt, wo diese in ausreichendem Maße zustande kommt. Und das fällt eben nicht zusammen mit den Zielen des Staates, der diese Voraussetzungen für sich erfüllt sehen will, macht daher jede Menge an Regelungen und Eingriffen in dieses Geschäft notwendig.

Um auf die Gasspeicher zurückzukommen: Für Gasunternehmen sind die Speicher ein Mittel ihres Geschäfts. Sie füllen sie, wenn die Preise niedrig sind, und verkaufen aus ihnen, wenn die Nachfrage hoch ist und hohe Preise zu erzielen sind. Diese Konjunkturen fallen aber nicht zusammen mit denen, die sich aus der Sicherung der Versorgung entsprechend des jährlich anfallenden Energiebedarfs der Gesellschaft ergeben.

Deshalb schränkt der Staat die Spekulationsmöglichkeiten der Gasimporteure ein und verpflichtet sie, in Herbst und Winter entsprechende Vorräte vorzuhalten. Raum für Spekulation lässt er ihnen gleichwohl. In anderen Ländern legen die Staaten eigene nationale Energiespeicher an, um sich so von der Spekulation ihrer Energieunternehmen unabhängig zu machen.

Versorgungssicherheit vs. Bereicherungsinteresse

Weil es den Gegensatz gibt zwischen nationaler Versorgungssicherung und privatem Bereicherungsinteresse, greift der Staat in alle diese Versorgungsbereiche mit einschlägigen Maßnahmen ein, setzt dem Bereicherungsinteresse Grenzen oder schafft Anreize, damit sich Anlagen auch dann lohnen, wenn sie sich wirtschaftlich nicht rechnen.

So erhalten Stromproduzenten Geld für nur zeitweise genutzte Kraftwerke, damit immer ausreichend Strom in den Netzen vorhanden ist und Black-outs vermieden werden. Für die Unternehmen würden sich sonst Kraftwerke nur lohnen, wenn sich ständig Strom verkaufen ließe; so garantiert der Staat ihnen den Gewinn.

Auch die private Post muss eine flächendeckende Versorgung sicherstellen und sich die Gebühren genehmigen lassen. Ebenso die Telefonanbieter, die beim Erwerb von Funklizenzen ebenfalls entsprechende Verpflichtungen eingehen. Bei der Bahn ist zwar die Umwandlung in eine AG erfolgt, sie bleibt aber in staatlichem Besitz und unterliegt ebenfalls gesetzlichen Vorgaben.

Im Gesundheitswesen gibt der Staat allen Beteiligten mit Preisen für festgelegte Leistungen die Kalkulationsgrößen vor, mit denen die Privaten zu wirtschaften haben, und versucht so, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen; schließlich werden die Menschen für Staat und Wirtschaft gebraucht.

Mit der Verstaatlichung greift also nicht ein neues, menschenfreundliches Verfahren Platz. Wenn es in einzelnen Sektoren stattfindet, hält der Staat daran fest, dass in den Bereichen nach den Maßstäben der Marktwirtschaft zu handeln ist. Schließlich bleiben auch bei Verstaatlichung die Betriebsformen erhalten. Und wenn die Bahn nicht an die Börse geht, bleibt sie doch eine Aktiengesellschaft in der Hand des Bundes und soll als Wirtschaftsbetrieb handeln.

Wenn der Staat die Gasbranche verstaatlicht, ändert sich für den Kunden gar nichts. Sicherung der Versorgung mit Gas bedeutet ja nicht, dass nun jeder so viel Gas bekommt, wie er zum Heizen und Kochen braucht. Schließlich verlangt auch der neue Eigner für seine Ware Geld und erhält die Unternehmen am Leben, weil er nach wie vor diese Branche als Geschäftsfeld haben will. Was nichts anderes bedeutet, als dass auch in Zukunft der Bedarf der Bürger an Gas ein Mittel zur Bereicherung von Firmen bleiben soll. Dieses Geschäft auf neuer Grundlage wieder in Gang zu bringen, das ist das Anliegen, das der Staat mit seiner Verstaatlichung verfolgt.

Verstaatlichung ist eben etwas anderes als Vergesellschaftung der Produktion und Verteilung von Gütern. Verstaatlichung heißt, dass die hoheitliche Gewalt sich Eigentum, das sie ja gerade garantiert, aneignet, um es nach ihren Kriterien einzusetzen. Und das sind andere, als die Bürger mit dem Notwendigen zu versorgen. Es geht darum, den Erfolg der Geschäftswelt (wieder-)herzustellen, der sich dann am Ende in der wichtigsten Zahl des Wirtschaftslebens manifestiert: dem jährlichen Wirtschaftswachstum.

Vergesellschaftung würde bedeuten, dass die Menschen die Hoheit über Produktion und Verteilung erhalten und durch ihre Selbstverwaltungsgremien organisieren. Damit hat aber die staatliche Verfügung über Teile der Produktion oder des Handels nichts am Hut. Eine gesicherte Versorgung ist eben etwas anderes als eine Versorgung zu einem halbwegs erträglichen Preis.

Die Tatsache, dass alles in dieser Gesellschaft einen Preis hat und damit Mittel fürs Geschäft ist, macht ja gerade das Leben zu einer ständigen Bewährungsprobe – momentan offiziell von oben angesagt, mit Frieren, Sparen, Einschränken, Verzichten... Um das zu ändern, braucht es mehr als die Verstaatlichung von einigen Bereichen.

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