Schule der Nation

Das Auftreten der Lehrer mag heute lockerer sein als zu Brandts Zeiten. Weniger streng aussortiert wird deshalb nicht. Symbolbild: Peggy_Marco auf Pixabay (Public Domain)

Als Willy Brandt 1969 mit dem Satz "Die Schule der Nation ist die Schule" eine ältere Auffassung revidierte, wird er gewusst haben, was er sagen wollte. Sein Vorgänger hielt dafür die Bundeswehr. Um Hierarchien geht es in beiden Fällen. (Teil 1 von 2)

Willy Brandts christdemokratischer Amtsvorgänger Kiesinger hatte im alten Sinn noch ein Jahr vor der Bemerkung des SPD-Kanzlers in dessen erster Regierungserklärung die Bundeswehr als "Schule der Nation" benannt, weshalb das Parlamentsprotokoll anlässlich der Neubestimmung "Lachen bei der CDU/CSU" vermerkt.

Dabei sprach sich Brandt gar nicht gegen Armee und Militärgerät aus, die aktuell sogar bei Ex-Pazifisten und gewesenen Kriegsdienstverweigerern hoch im Kurs stehen.

Die Betonung des Zivilen bei der auch für Brandt fraglosen Aufgabe, die Jugend zu Staatsbürgern zu erziehen, verdankte sich vielmehr dem Motto "Mehr Demokratie wagen", mit dem er seine neue Regentschaft überschrieb. Ansonsten trug sein Satz, dem sich die Forderung nach einem generellen 10. Schuljahr und nach höheren Bildungsausgaben unmittelbar anschloss, einer profanen Notwendigkeit der modernen Marktwirtschaft Rechnung, die die Regierungswechsel überdauert.

Schulpflicht ohne Gießkanne und Gewähr

Die kapitalistische Produktionsweise und ihre Arbeitsteilung unterstellen nämlich einen spezifischen Einsatz von Wissenschaft und beruflicher Qualifikation. Ohne eine verpflichtend organisierte Volksbildung ist ein permanentes Wachstum durch beständigen Vorsprung in der einheimischen, und schon gleich in der internationalen Konkurrenz nicht zu haben.

Der bürgerliche Staat kümmert sich hier also um eine gesellschaftliche Voraussetzung, die jede kapitalistische Unternehmung braucht – aber nicht selbst erbringt, weil die Kosten dafür ihrer Wettbewerbsfähigkeit widersprächen.

Selbst bei der Berufsausbildung, die dem betrieblichen Bedarf noch am nächsten kommt, sorgen in Deutschland öffentliche Schulen für ein verallgemeinertes, überbetrieblich verwendbares Arbeitsvermögen. Und um die Kenntnisse und die Moral, mit denen der Staat seine nachwachsenden Untertanen ausgestattet sehen will, kann ohnehin nur er sich kümmern.

Der Fortgang in Brandts Regierungserklärung – "Wir brauchen einen möglichst hohen Anteil von Menschen in unserer Gesellschaft, der eine differenzierte Schulausbildung bis zum 18. Lebensjahr erhält" – zeigt dann, dass auch der Staat in Sachen Bildung ein Kostenbewusstsein besitzt, sie jedenfalls nicht per Gießkanne zu verteilen gedenkt.

In der populären Redeweise, es könne nicht jeder Professor werden, sehen das die Bürger so ähnlich. Eine umfassende Allgemeinbildung, ein "Abitur für alle" will sich auch die moderne Klassengesellschaft sparen, weil und solange die nötigen "Anteile" "differenziert" gebildeter Bürger der vorhandenen Hierarchie der Berufe genügen.

Von deren unterer Hälfte erfährt man anlässlich der Energiekrise, was in der Corona-Zeit schon so ähnlich galt, dass nämlich deren Entgelte, Einkünfte, Rücklagen und Transferleistungen keine krisenbedingten Ausfälle und nicht einmal zehn Prozent Teuerung abfedern können. Der Geldmangel und die Billiglöhne in verschiedenen Abteilungen dieser unteren Klasse korrespondieren in aller Regel mit einer rudimentären Bildung und einer erworbenen Berufseignung, die wesentlich im Willen zum Aus- und Durchhalten besteht.

Fünfzehnjährige schuld an Arbeitslosenzahlen?

Eltern und Lehrer, Politiker und Ökonomen kennen diese Tatsache und wollen mit ihren Appellen an den Lerneifer der Jugend gesagt haben, dass die schulische Qualifikation eine Gewähr dafür biete, berufliche Negativkarrieren zu vermeiden. Den schlechten Pisa-Ergebnissen vor 20 Jahren meinten Bildungsexperten glatt zu entnehmen, dass für die Arbeitslosenzahlen und die Wachstumsschwäche damals ausgerechnet die Sprach- und Rechendefizite bei deutschen 15-Jährigen verantwortlich zeichneten.

Beide Deutungen verwechseln die Volksbildung als allgemeine Voraussetzung mit dem Grund kapitalistischer oder beruflicher Erfolge. Der Bildungsgrad kann ein Konkurrenzvorteil gegen Mitbewerber oder eine Einstellungshürde seitens der Firma sein. Die marktwirtschaftliche Planlosigkeit sowie ihre Sparsamkeit bei den Personalkosten gegeben, mag sich zeitweise auch mancher Mangel an Arbeits- und Fachkräften einstellen.

Die beiden Sachverhalte bestätigen aber nur, dass die maßgebliche Entscheidung über Beschäftigung und Bezahlung bei den Personen und Instanzen liegt, deren Geldreichtum ihnen die Macht und das Recht dazu verleiht. Die Arbeitsplätze für Lohnabhängige kommen schließlich in der Masse vom privatwirtschaftlichen und zu gut einem Zehntel vom öffentlichen Sektor und folgen Kriterien und Konjunkturen, die sich weder quantitativ noch qualitativ aus den Noten oder der Eignung von Schulabgängern ergeben.

Vielmehr stellen Erhalt und Vermehrung dieses privaten Reichtums, von dem die ganze Gesellschaft abhängig ist, die entscheidende ökonomische Richtgröße dar. Dass Abiturquoten und Prüfungsdurchschnitte die dafür nötige Anzahl an Fahrradkurieren, Facharbeitern oder Finanzbeamten samt ihrer Entlohnung beeinflussen, wäre neu. Wenn, dann mehren oder mindern sie höchstens die Menge des "akademischen Proletariats"; des letzten übrigens, das der marktwirtschaftliche Sachverstand noch kennen will.

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