Frankreich: Run auf Tankstellen

Bild: Hugo Clément/unsplash

Es wird eng nicht nur bei der Kraftstoffversorgung; die neue Austeritätspolitik, der drastische Ausbau der Atomenergie bis in die 2040er-Jahre und die Frage: "Was kostet das?" Möglicherweise eine politische Wende.

Nein, in diesem Falle kann Putin wirklich nichts dafür – unabhängig von ihm und seinem Agieren bangen derzeit viele Französinnen und Franzosen um die Kraftstoffversorgung in den kommenden Tagen. Am Sonntag lagen dreißig Prozent der Tankstellen im Land trocken, Tendenz: steigend.

In Nordostfrankreich, im Raum um Lille, Calais und Arras, waren es am Montag bereits die Hälfte der Tankstellen. Vielerorts bilden sich nächtlich lange Warteschlangen, an den Pariser Stadtausgängen waren es am Sonntagabend bis zu drei Stunden; an einigen Stellen wurden erste Auseinandersetzungen wegen des Platzes in der Schlange gemeldet.

Kein Mangel, aber Streiks

An Krieg, Embargo und ähnlichem liegt es nicht, denn jedenfalls bislang mangelt es Frankreichs Industrie nicht an Rohöl und -gas, um diese in den insgesamt acht Raffinerien des Landes zu Derivaten weiterzuverarbeiten. Doch in diesen Raffinerien wird gestreikt. Zwei von acht hatten bis Ende voriger Wochen, unter dem Druck von Aktionen der abhängig Beschäftigten, ihren Betrieb eingestellt.

Was fordern die Lohnabhängigen dort? Einen Lohnzuschlag in Höhe von zehn Prozent. Das ist in diesen Zeiten nicht so außerordentlich, beträgt doch die jährliche Inflationsrate derzeit rund sieben Prozent – eine Lohnsteigerung darunter bedeutet also einen Verlust an Realeinkommen –, vor allem angesichts dessen, was derzeit in Frankreich unter der Bezeichnung "Superprofite" eifrig diskutiert wird.

Auch wenn der wirtschaftsliberale Wirtschaftsminister Bruno Le Maire behauptet, diesen Begriff "nicht zu kennen" (nicht, weil er schlecht informiert wäre, sondern weil er schlicht nichts dazu unternehmen will), ist er derzeit in nahezu aller Munde.

Frankreichs führende Unternehmen verteilten im zweiten Quartal dieses Jahres 44,3 Milliarden Euro an ihre Aktionäre, allein der Mineralölkonzern Total (ausgeschrieben inzwischen seit kurzem "Total Energies") kündigte am 26. September eine Sonder-Ausschüttung in Höhe von 2,6 Milliarden an.

"Kriegsgewinnler" Total

Sogar so revolutionäre Kräfte wie die britischen Konservativen dachten vor ähnlichem Hintergrund bereits an eine "Übergewinnsteuer", doch für Le Maire kommt eine solche nicht in Betracht, erklärt er doch, auf Steuererhöhungen reagiere er generell allergisch.

Total zählt in gewissem Sinne zu den Kriegsgewinnlern, denn die weltweit gestiegenen Rohstoffpreise – zwischen Ukrainekrieg und Produktionsdrosselung durch die OPEC – lassen auch bei ihm die Kassen sprudeln.

Tritt der französische Konzern doch, anders als andere Tankstellenbetreiber, nicht nur als Verteiler, sondern auch selbst als Produzent (also Förderer) von Rohöl auf und sitzt damit selbst an der Quelle.

Um einer Steuererhöhung, wie Links- und Rechtsopposition im französischen Parlament sie Anfang August vergeblich forderten, zu entgehen, führte Total vom 1. September bis zum 1. November dieses Jahres eine - auf zwei Monate befristete - freiwillige Preissenkung von zwanzig Cent pro Liter Benzin ein.

Die Regierung unter Emmanuel Macron und Le Maire pries die Selbstverpflichtung (auf kurze Zeit) als willkommene Alternative zu einer Steuererhöhung an. Es kam, wie es kommen musste: Total gewann sprunghaft Marktanteile hinzu, lässt also in Wirklichkeit seine Konkurrenten für die Preissenkung bezahlen, doch seine Tankstellen wurden überlaufen und drohten schon vor Ausbruch des Streiks unter einer Blechlawine zu ersticken.

Seit Beginn des Arbeitskampfs in den Raffinerien und mit der Verknappung des Angebots wächst sich der Run auf die Total-Tankstellen aus und wird zum Würgegriff.

Arbeitskampf: Was nötig wäre

Abhängig Beschäftigte möchten auch einen Teil vom Kuchen abbekommen. Regierung und Leitmedien üben entsprechend Druck auf die im Petrochemiesektor streikenden Gewerkschaften aus – vor allem die CGT und Force Ouvrière, während die rechtssozialdemokratisch geführte CFDT (als theoretisch stärkster Gewerkschaftsdachverband) den Ausstand boykottiert und denunziert, da sich ja noch schön ordentlich verhandeln ließe - und posaunen hinaus, ja klar verstünde man in Zeiten fortschreitender Inflation solche Forderungen wie die ihren, nur, vernünftig möge man doch bitte bleiben ... also von gar zu wirksamen Aktivitäten absehen.

Und über strafbewehrte Dienstverpflichtungen in einem "strategischen" Sektor ließe sich doch mal nachdenken, tönt es etwa aus Talkshows beim tendenziell wirtschaftsliberalen Rund-um-die-Uhr-Sender BFM TV.

Die CGT, als traditionell in der Petrochemie stark verankerter Gewerkschaftsbund (früher einmal als der Französischen kommunistischen Partei nahe stehend geltend, doch diese ist ja nur noch ein Schatten ihrer selbst), knickte an einem wichtigen Punkt bereits ein.

Sie gab "qualitative" Forderungen zugunsten einer rein "quantitativ" orientierten Verhandlungsstrategie auf, was darauf hinausläuft, nur noch über Lohnprozente zu reden. Anfänglich dagegen hatte sie auch "qualitative" Verlangen formuliert, vor allem nach Personaleinstellungen und Investitionen.

Diese wären selbstredend unerlässlich, um einen Konzern, der in seiner bisherigen Funktionsweise zu den wichtigsten Schädigern des Planeten zählt, vielleicht doch noch zu einem Akteur erneuerbarer Energien und der Verringerung des fossilen Desasters umzuwandeln.