Weiter Ärger mit Atomkraft

AKW Isar.

Österreich klagt gegen EU-Taxonomie, die Atomstrom als nachhaltig einstuft und als "grün" verkauft. Luxemburg unterstützt die Klage. 2021 wurden weltweit nur noch 9,8 Prozent Atomstrom produziert, gut die Hälfte des Höchststands von 1996.

In Deutschland schwimmen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gerade die Felle für seine "Notreserve" weg. Das altersschwache Atomkraftwerk Isar 2 muss im Oktober für eine Reparatur heruntergefahren werden, da sonst die abgebrannten Brennelemente "eine zu geringe Reaktivität" haben, "um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren".

Jetzt wirft ausgerechnet ausgerechnet der grüne Minister Habeck seinem Kollegen von der FDP, Christian Lindner, eine Blockadehaltung in Sachen AKW vor. "Wenn man will, dass die Atomkraftwerke nach dem 31. Dezember noch Strom produzieren können, muss man jetzt den Weg dafür frei machen", erklärte er. "Die Zeit drängt."

Wenn es die Grünen ernst meinten mit dem Atomausstieg, würden sie sich zurücklehnen, anstatt Druck zu machen, und warten, bis die Brennstäbe zu stark abgebrannt sind. Dann wäre das Ende des Meilers besiegelt. Möglich oder wahrscheinlich ist es auch, dass der zweite Reaktor der Notreserve per Gerichtsbeschluss im Dezember abgeschaltet wird.

Neckarwestheim 2 weist etliche Risse auf und wurde seit 13 Jahren nicht mehr überprüft. Ohne Änderung des Atomgesetzes wäre damit das definitive Ende der Atomkraft in Deutschland besiegelt.

Aber es geht bei der Notreserve nicht nur um Deutschland, wenngleich zum Teil schon wegen des durch die CSU selbstverschuldeten Energienotstands in Bayern. Es geht auch und nicht zuletzt um Frankreich. Seit dem Frühjahr warnen Experten vor einer Katastrophe.

Im Nachbarland wurden bei Überprüfungen von etlichen Atommeilern - die seit 13 Jahren in Neckarwestheim 2 und Isar 2 nicht durchgeführt wurden - Risse im besonders gefährlichen primären Kühlkreislauf festgestellt. Wegen der Korrosion und aus anderen Gründen sind fast die Hälfte aller AKW des französischen Atomparks nicht am Netz.

Paris an EDF: "Bis zum Winter alle Atomkraftwerke wieder in Betrieb nehmen!"

Deshalb bereitet Präsident Emmanuel Macron seine Landleute auf Verzicht und Blackouts vor. Zudem hat die Regierung den großen halbstaatlichen Energieversorger EDF, der wegen seiner hohen und steigenden Schulden vor der vollständigen Verstaatlichung steht, dazu "verpflichtet, bis zum Winter alle Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen".

"Die Regierung wird darauf achten, dass dieser von EDF vorgegebene Zeitplan eingehalten wird", verkündete man noch vor einem Monat. Doch damit sieht es immer schlechter aus, obwohl man sogar dazu bereit ist, die Beschäftigten höherer Strahlendosen auszusetzen.

Am 30. September sollte mit der Rückkehr ans Stromnetz von Riss-Reaktoren begonnen werden. Doch in Bugey 4 und Flamanville 4 dauern die Reparaturarbeiten länger, weshalb die Inbetriebnahme um einen und zwei Monate verschoben wurde.

"Wenn kein Wunder geschieht, wird es ein ("sehr") angespannter Winter", titeln Medien im Land, da auch die Atomaufsicht (ASN) die Wiederinbetriebnahme autorisieren muss. Die EDF wollte schon 36 Gigawatt Strom produzieren, aber derzeit sind es weiterhin nicht einmal 29 Gigawatt.

Frankreich schafft es nicht, in Flamanville den "neuen" EPR-Reaktor ans Netz zu bringen. Der sollte eigentlich schon seit fast zehn Jahren Strom liefern und ist stattdessen nur ein Milliardengrab.

Die französische Atomindustrie braucht viel Geld, weshalb in einem abgekarteten Handel die Atomkraft in die Taxonomie aufgenommen wurde, dafür bekam Deutschland im Gegenzug das Gas als sogenannte "Übergangstechnologie".

Uran aus Russland

Das Problem ist nur, dass das erwartete Gas aus Russland nicht mehr fließt, dafür wird Frankreich weiter fleißig weiter mit Uran aus Russland beliefert.

Gerade wird wieder einmal die Sanktionsliste gegen Russland ausgeweitet. Doch das Millionengeschäft mit Uran wird noch immer ausgeklammert, wie Investigate Europe feststellt. Dort weist man auch auch auf enge Verflechtungen zwischen EDF und Rosatom hin.

Über den russischen Staatskonzern landen auch die Einnahmen aus den Uran-Importen aus Kasachstan bei Rosatom. Aus diesem Land bezieht Frankreich 20 Prozent seines Uranbedarfs. Investigate Europe berichtet, dass der ehemaligen EDF-Vorstandsvorsitzende, Henri Proglio, heute im internationalen Beirat von Rosatom sitzt.

Allen voran hatte die französische Regierung darauf gedrängt, dass Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Erdgas aufgibt. "Doch über die eigene Abhängigkeit vom Uran aus russischer Förderung verlor die Regierung Macron kein Wort", stellte gerade auch der Tagesspiegel fest.

Das Problem Frankreichs ist, das man viele Milliarden in die Renovierung des altersschwachen Atomparks stecken muss und zudem neue Atomkraftwerke bauen will, die aber wie der EPR eher Totgeburten sind. Kostenpunkt unklar.

Deshalb hofft man in Paris auf viel Geld über die Taxonomie. Nicht zuletzt schielt man in Paris auf Subventionen aus dem sogenannten "Wiederaufbaufonds". Das Ansinnen, die Atomkraft und Gas als "grün" und "nachhaltig" zu verkaufen, bekommt aber zunehmend Probleme.

EuGH: Österreich klagt gegen Greenwashing von Atomkraft und Gas

Nachdem schon Umweltorganisation eine Klage angekündigt hatten, hat nun Österreich die Ankündigungen umgesetzt und Klage beim EuGH eingereicht. Die Regierung in Luxemburg hat zudem ankündigt, Österreich bei der Klage zu unterstützen. Luxemburg werde einen Antrag auf Streithilfe einreichen.

Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler hat sich stets klar kritisiert, dass in einer "Nacht- und Nebelaktion" über den Jahreswechsel der Rechtsakt von der EU-Kommission in Brüssel veröffentlicht wurde.

"Es geht bei der Klage nicht gegen die Taxonomie-Verordnung an sich, ich wehre mich gegen den Versuch, über die Hintertür Atomkraft und Gas grün zu machen", betonte die Umweltministerin. Gewessler hat gegen die Klassifizierung gewisser Energieformen als nachhaltig grundsätzlich keine Bedenken, doch sie wehrt sich "mit aller Kraft" dagegen, dass das für Atomkraft und Gas gelten soll.

Im Fall von Atomkraft sei das "verantwortungslos", denn Atomkraft sei mit unkalkulierbaren Risiken verbunden. Österreich folgt damit dem Ratschlag von fünf ehemaligen japanischen Regierungschefs, die aus bitterer Erfahrung die EU eindringlich vor der Einstufung der Atomkraft als nachhaltig gewarnt hatten.

Deshalb erklärte auch Gewessler, dass die Schäden an der Umwelt deutlich dokumentiert seien, verwies sie auf die Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima. Dazu kommt die Frage der ungelösten Endlagerung. Zudem sei Atomkraft viel zu teuer, um einen Beitrag im Kampf gegen den Klimaschutz zu leisten.

Sie verwies auch darauf, dass die EU-Kommission ihre Kompetenzen überschritten habe. Atomkraft sei in der ursprünglichen Verordnung explizit nicht dabei gewesen, sondern erst über den ergänzenden delegierten Rechtsakt eingefügt worden. Das sei unrechtmäßig, denn die Kommission habe nicht die Ermächtigung, solch weitreichende politische Entscheidungen zu treffen. Deshalb misst sie der Klage hohe Erfolgsaussichten zu.

"Wir werden nicht zusehen, dass sich die Union und die Kommission vor den Karren der fossilen und nuklearen Lobby spannen lassen und damit auch unser aller Zukunft gefährden", erklärte die Umweltministerin auf einer Pressekonferenz am Montag.

Eine aufschiebende Wirkung hat die Klage nicht, weshalb zunächst Atomkraft und Gas zum Jahreswechsel nach der EU-Definition als "nachhaltig" gelten werden. Österreich stellt sich auf ein Verfahren ein, dass wohl zwei Jahre dauern wird, da solche Verfahren sehr komplex seien.