Terroranschlag in Istanbul: Rätsel um mutmaßliche Attentäterin

Gedenkort in der Istanbuler Istiklal Caddesi nach dem Anschlag. Foto: Kurmanbek / CC BY-SA 4.0

PKK oder "Freie Syrische Armee"? Syrerin oder Somalierin? Erzählte die nach dem Attentat festgenommene Frau den Ermittlern einfach nur unter Druck, was sie hören wollten?

Ein offizielles Foto zeigt die mutmaßliche Attentäterin in Handschellen zwischen zwei türkischen Fahnen – und mit Spuren im Gesicht, die sowohl von der Festnahmesituation als auch von Misshandlungen stammen könnten.

Die 23-jährige Ahlam A. soll syrische Staatsbürgerin sein und gestanden haben, den Sprengstoffanschlag in der Istanbuler Istiklal Caddesi mit sechs Toten und mehr als 50 Verletzten am Sonntagnachmittag "im Auftrag" der "PKK/YPG/PYD" verübt zu haben. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und deren mutmaßliche Partnerorganisationen in Nordsyrien werden vom türkischen Staat seit langem als Hauptfeind betrachtet.

Ahlam A. sei eine "für Spezialeinsätze ausgebildete Attentäterin", die illegal über Afrin und Idlib im Nordwesten Syriens in die Türkei eingereist sei, heißt es weiter. Ihren Befehl zum Anschlag habe sie aus Kobanê erhalten. Nach der Tat soll sie geplant haben, nach Griechenland in das "Terrorlager" Lavrio zu fliehen.

Keinen halben Tag nach dem Attentat vermeldeten türkische Behörden diesen Fahndungserfolg, 46 weitere Festnahmen soll es in diesem Zusammenhang gegeben haben. Auf Überwachungsvideos ist eine verdächtige Frau mit Kopftuch, Tarnhosen und Stiefeln zu sehen. Mit bloßem Auge lässt sich nicht sicher sagen, ob sie identisch mit der Person ist, die inzwischen vor den türkischen Fahnen präsentiert wurde – entsprechende Kleidung sowie große Mengen Geld, eine Pistole und Munition sollen aber in von ihr bewohnten Räumen sichergestellt worden sein.

Das angebliche Geständnis der jungen Frau wirft Fragen auf – nicht nur wegen möglicher Misshandlungen während des Verhörs und weil die PKK dementiert, für den Anschlag verantwortlich zu sein, sondern auch, weil Ahlam A. auf dem behaupteten Weg nur schwer eingereist sein kann. Eine "grüne Grenze" gibt es dort seit 2017 nicht mehr; sie wurde im Zuge des EU-Flüchtlingsdeals mit der Türkei abgeriegelt und ist inzwischen mit einer Betonmauer und Stacheldraht gesichert.

Angebliche Schwester meldet sich zu Wort

Ob Ahlam A. überhaupt aus der Region stammt, ist fraglich. Sie könnte auch einen nordafrikanischen Hintergrund haben und wäre daher an der Grenze umso mehr aufgefallen. Im Netz kursiert das Gerücht, sie stamme aus Somalia.

In einem nicht verifizierten Video meldete sich ihre angebliche Schwester, eine Arabisch sprechende Somalierin zu Wort: Ihre Schwester habe die Explosion nicht verursacht; es werde nur versucht, sie wie ein PKK-Mitglied aussehen zu lassen. Die regierungsnahe türkische Nachrichtenagentur Anadolu warnt in diesem Zusammenhang vor "desinformierenden Beiträgen in sozialen Medien" und bezeichnet Ahlam A. weiter als PKK-Mitglied.

Hinweis auf Verbindungen zu FSA-Milizen

Salih Muslim, der Ko-Vorsitzende der nordsyrischen Partei der Demokratischen Union (PYD), die von türkischer Seite als Schwesterpartei der PKK behandelt wird, äußerte sich inzwischen ausführlich zu dem Anschlag. Gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur ANF betonte Muslim:

Niemand in unserer Region kennt die Person, die den Anschlag verübt hat. Aus ihren Social-Media-Accounts geht allerdings hervor, dass diese Person Verbindungen zu Gruppen wie der FSA hat. Es gibt Fotos von ihr vor Fahnen der Sultan-Murad-Brigade. Sie ist keine Kurdin und hat keine Beziehungen zur Selbstverwaltung von Rojava.


Salih Muslim

Die mittlerweile stark von Islamisten geprägte "Freie Syrische Armee" (FSA) war 2018 an der Seite des türkischen Militärs in den selbstverwalteten Kanton Afrin einmarschiert. Auch die Sultan-Murad-Brigade war Teil der Besatzungsgruppen, rund 700 Mitglieder sollen sich aber im Mai 2020 von ihr abgespalten haben.

Salih Muslim sieht in ihm einen Komplott der türkischen Abteilung für Spezialkriegsführung: "Dies war ein terroristischer Anschlag, den wir wie alle anderen auch verurteilen", erklärte er laut ANF-Bericht. Es handle sich um "eine osmanische Intrige", die niemandem nutze. "Als Verteidigungskräfte von Rojava, als Demokratische Kräfte Syriens (QSD), Autonomieverwaltung und PYD haben wir vom ersten Tag erklärt, dass wir diesen Angriff verurteilen."

Dem türkischen Staat gehe es um eine Legitimation für einen Angriff auf Kobanê, das vom reaktionär-islamischen türkischen Regime ins Visier genommen werde, um sich für die Niederlage des "Islamischen Staates" (IS) dort zu rächen: "Deshalb befinden sich insbesondere Kobanê und Minbic im Visier. Der türkische Staat hat entsprechende Szenarien vorbereitet und wird angreifen, sobald er die Gelegenheit dazu findet", ist Muslim überzeugt.