Horror-Arbeit in der Fleischindustrie: Eine alternative Bilanz

Arbeitsschutzkontrollgesetz seit einem Jahr in Kraft. Es sollte die katastrophalen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen verbessern. Hat das geklappt?

Jahrzehntelang hat sich die Republik über die miesen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie empört, so mancher hat da sogar Ausbeutung mitten in der sozialen deutschen Marktwirtschaft entdeckt.

Während die Öffentlichkeit das interessierte Publikum im Rahmen größerer und kleinerer Skandale immer mal wieder mit Informationen über das Geflecht von europaweit agierenden Großkonzernen, zwielichtigen Subunternehmern, Werkverträgen, Leiharbeit und in überteuerte Massenunterkünfte eingepferchten osteuropäischen Billiglöhnern versorgt hat, haben nimmermüde professionelle Arbeitnehmervertreter beharrlich gegen das Geschäftsmodell dieser Problembranche angekämpft.

Die Diagnose lautete allemal "unternehmerische Willkür" und "maßloses Profitstreben", und die tiefere Ursachenforschung wurde zielstrebig beim Staat fündig, der dem Treiben keine ausreichenden oder nur mangelhaft kontrollierte gesetzliche Schranken gesetzt hat.

An ebendieser Front gibt es seit Januar 2021 einschneidende Veränderungen: Mit demonstrativer Entschlossenheit hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sein Arbeitsschutzkontrollgesetz gegen alle Widerstände durchgesetzt, um mit den Missständen in der Branche gründlich aufzuräumen.

Werkverträge und Leiharbeit werden für das Kerngeschäft der Fleischfabrikanten verboten. Die bisher bei Subunternehmern angestellten Arbeitskräfte sind ohne Ausnahme in Stammbelegschaften zu integrieren, die Arbeitszeiten elektronisch zu erfassen und bei der Einrichtung von Massenunterkünften sind Mindeststandards einzuhalten.

Das Gesetz zeigt Wirkung: Die Subunternehmer sind Geschichte, ebenso der systematische Lohnbetrug. Die Arbeitnehmer nehmen ihre Rechte immer selbstbewusster wahr, sie lassen sich sogar gewerkschaftlich organisieren: Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erkämpft mit ihren Warnstreiks einen Branchenmindestlohntarifvertrag. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Branche nach wie vor höchst prekär sind.

Dieses doppelte Resultat kann man natürlich so deuten wie der DGB in seiner ersten Bilanz mit dem Titel "Ein wirksamer Schritt" (daraus alle nicht anders ausgewiesenen Zitate): Ein echter Game-Changer, der aber noch Schlupflöcher lässt, sodass "noch viel zu tun (bleibt), damit sich die allgemeine Situation in der Fleischindustrie verbessert".

Das passt zur Lebensaufgabe der Gewerkschaft. Es verpasst allerdings, dass sich die Frage der Ausbeutung nicht an gesetzlichen Regelungen und Mitbestimmung entscheidet, sondern mit der Sache feststeht, die reguliert und gewerkschaftlich mitbestimmt wird, der rentablen Anwendung der Arbeit, Unterabteilung Fleischindustrie.

Dafür waren bis Januar 2021 die Subunternehmen zuständig, die den Fleischfabrikanten die Verarbeitung einer vorgegebenen Anzahl von Rindern oder Schweinen in deren Fabriken zu fertig verpackter Ware als Werk – bzw. die nötigen Zwischenschritte als eine Vielzahl von Werken – zu einem festgelegten Preis verkauft haben.

An den dortigen Fließbändern haben sie ihre Arbeiter den dafür fälligen Arbeitsaufwand in regelmäßig überlangen Arbeitstagen erledigen lassen. Und die Bezahlung der geleisteten Arbeit haben sie daran bemessen, dass ihnen aus dem vereinbarten Verkaufspreis des Werkes eine möglichst große Marge zufällt.

Dementsprechend haben sie die Stundenlöhne nach Kräften minimiert bzw. – wo dieser Praxis durch die Kombination von Mindestlohn und Entsenderichtlinie ab Mitte der 2010er-Jahre Grenzen gezogen worden sind – über systematisches Fälschen der Stundenzettel, kräftige Abzüge für die Benutzung der Arbeitsgeräte und ähnliche Kniffe den Auszahlungsbetrag gedrückt.

Die Fleischfabrikanten ihrerseits haben sich über diese Werkverträge einen Preis für die nötige Arbeit gesichert, der ihnen bezogen auf den kalkulierten Verkaufserlös der Schnitzel den Überschuss über ihre Kosten gesichert hat, dessentwegen sie ihre riesigen Fabriken überhaupt hinstellen und betreiben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.