Neu im Werte-Westen: Boycott Qatar!

Jetzt gehört es zum guten Ton, die Fußball-WM in Katar kritisch zu sehen. Auf einmal gerät Geld ebenso ins Zwielicht, wie die Ausbeutung von Arbeitern. Leider ganz verquer zum Wesen der Veranstaltung. Ein Kommentar.

Wie passt das zusammen: Beinahe kein hiesiges Sportereignis in den letzten Wochen, in dem nicht auf den Zuschauerrängen zu "Boycott Qatar!" aufgerufen wurde. Dennoch schauen rund 17 Millionen Deutsche zu, wenn in ebendiesem Katar die Nationalmannschaft gegen Spanien spielt – um dann gegen Costa Rica auszuscheiden. Die Bild jedenfalls titelt nach dem Unentschieden gegen die "Selección": "Hurra, wir leben noch!" Diese Zeitung muss es ja wissen: Boykott hin oder her, am Ende fiebern "wir" doch alle, dass "unsere" Kicker weiterkommen. Wenn auch vergebens, am Ende.

Es ist, unabhängig von der deutschen Beteiligung, schon seltsam: Da empören sich Fans und ähnlich Fußballbegeisterte über das Ausrichterland der Weltmeisterschaft. Aber die Veranstaltung an sich wird in Schutz genommen. Sie ist eigentlich eine tolle Sache, die man sich gern mit gutem Gewissen ansehen möchte. Leider schwierig dieses Mal, weil der Austragungsort einfach den offiziellen politischen und moralischen Maßstäben nicht genügt.

Ausnahmsweise staatliche Konkurrenz ohne Erpressung und Krieg

Kein Wort darüber, dass sich hier Nationen einen Wettstreit leisten, der ausnahmsweise mal nicht mit wirtschaftlicher Erpressung und Krieg ausgetragen wird. Sondern "nur" sportlich, was jedoch keinen geringeren Druck auf die nationalen Superfußballer bedeutet. Denn sie sollen schließlich ihrem Land zur Ehre gereichen – wie bei allen Turnieren dieser Art, zuletzt bei der Fußball-Europameisterschaft (siehe dazu: "Fußball-EM 2020: Das war das Festival des Nationalismus")

Nach der Niederlage gegen Japan beklagte die Süddeutsche Zeitung: "Schon wieder". Sie erinnerte an das erste Vorrundenspiel bei der vorigen WM, das ebenfalls verloren gegangen war. Von einem Land der ersten Reihe in der Welt, mit einem so großen und finanzstarken Fußballverband, muss einfach mehr Erfolg zu erwarten sein. An diesem Maßstab blamierten sich die eigenen Spieler.

Keine deutsche Eigenart – allerdings spiegelt sich die jeweilige nationale Erwartung im aktuellen Ranking auf der Weltbühne wider. Staaten wie Frankreich, England oder Spanien gehen wie selbstverständlich davon aus, dass ihre Teams "kleine" Nationen aus Afrika, Asien und dem arabischen Raum besiegen. Schwellenländer wie Brasilien stürzen in endlose Begeisterung, wenn ihre Jungs es aller Welt zeigen – und Vertreter der ersten Welt alt aussehen lassen.

Der Nachbar Argentinien fällt hingegen ins Bodenlose, als seine Mannschaft gegen Saudi-Arabien verliert. Und steht umso dramatischer wieder auf, unter Tränen, als im nächsten Spiel doch wieder standesgemäß gewonnen wird.

Ein Sonderfall ist die USA: Sie müsste natürlich alle überragen, die Weltmacht Nr. 1. Nur beweist sich die Überlegenheit des US-amerikanischen Volks nicht im Fußball, sondern in anderen Sportarten wie beispielsweise Basketball.

Das nationale Wohl und Wehe hängt nicht vom Abschneiden bei einer Fußball-WM ab. Was indes nicht bedeutet, dass das Spiel gegen einen der von den USA ausgemachten "Schurkenstaaten" der Welt, dem Iran, keine Bedeutung zukam.

Umso bemerkenswerter für die Medien, dass es im Spiel – trotz der Feindschaft der Staaten – relativ normal zuging und kein Blut floss. Und am Ende siegten die Guten: "USA eins, Iran null. Game over, hey, hey, hey", jubelte Präsident Joe Biden. "... sie haben es geschafft. God love 'em" – der Schöpfer ist bekanntlich auf der richtigen Seite.1

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