Deutschland ist in der Rezession – und das ist extrem gefährlich!

"Wir sind ärmer": Ergebnis einer globalen Umverteilung, der TOT-Effekt und warum Tarifpartner bei Lohnerhöhungen aufpassen müssen. Vorausschauende Politik?

Früher gab es noch Rezessionen in der Wirtschaft. Das waren Phasen eines schrumpfenden Bruttoinlandsprodukts (BIP), die zwei, drei Quartale oder ein ganzes Jahr dauerten. Steigende Arbeitslosigkeit und schrumpfende Einkommen waren praktisch immer die Folge.

Und immer musste die Geldpolitik die Zinsen senken, und der Staat musste mit einer Erhöhung seiner eigenen (schuldenfinanzierten) Ausgaben einschreiten, wollte er Schlimmeres, nämlich den totalen Absturz, verhindern.

Um diesem Phänomen seinen Schrecken zu nehmen, hat man schon vor langer Zeit die "technische Rezession" erfunden. Sinkt das BIP zwei Quartale hintereinander, nennt man das eine technische Rezession.

Da es dabei aber nicht darauf ankommt, ob das Bruttoinlandsprodukt zweimal um 0,1 Prozent oder zweimal um fünf Prozent sinkt, sagt diese Kategorisierung überhaupt nichts. Immer kommt es nur darauf an, ob es Kräfte gibt, die einem einmal in Gang gekommenen Absturz entgegenwirken und eine ganz große Krise verhindern.

Dass derzeit irgendeine Form von Rezession in Deutschland droht, hat sich zwar herumgesprochen, aber die professionellen Verharmloser in den deutschen Medien und in der deutschen Ökonomik haben flugs eine ganz neue Form der Rezession erfunden, die "Winterrezession" oder gar die "milde Winterrezession" (wie hier im Handelsblatt).

Verharmlosung, verantwortungslos

Winter soll offenbar suggerieren, man habe es hier quasi mit einem jahreszeitlichen Phänomen zu tun, das von alleine verschwindet, sobald die Sonne wieder scheint. Winterrezession klingt auch so, als sei es der böse kalte Winter, der uns eine Rezession beschert und nicht eine vollkommen von der Rolle gefallene Wirtschaftspolitik.

Heiner Flassbeck. Bild: United States Mission Geneva / CC-BY-2.0

Natürlich gehört zu der "Winterrezession" eine positive Interpretation aller Indikatoren. Die Zeichen, hört man allenthalben, stünden für Deutschland weiterhin auf positive Überraschungen, auch wenn manches nach unten zeige. Doch die Auguren irren. Alle Zeichen stehen auf Rezession und, was man im Geschwafel um den "Fachkräftemangel" am liebsten völlig untergehen lässt, sie stehen auch auf steigende Arbeitslosigkeit.

Da man schon jetzt weiß, dass die Geldpolitik in Europa die Krise verschärft, statt sie zu bekämpfen, hat diese Rezession noch mehr als die meisten Vorgänger das Potenzial, sich zu einer großen Krise auszuweiten, an deren Folgen man dann viele Jahre zu knabbern hat.

Hinzu kommt, dass eine Rezession unmittelbar nach dem Ende des großen Corona-Einbruchs droht, was die Sache noch viel schlechter macht, weil damit die ohnehin schon lange andauernden europäischen Probleme nicht gelöst, sondern wiederum auf die lange Bank geschoben werden.

Aus all diesen Gründen ist die Verharmlosung des Abschwungs durch die professionellen Optimisten schlicht verantwortungslos. Wer der Wirtschaftspolitik einredet, es sei alles nicht so schlimm und werde sich schon irgendwie von alleine bereinigen, bedient zwar bestimmte ideologische Positionen ("der Markt hilft sich selbst und man braucht den Staat nicht"), richtet aber vermutlich gewaltigen Schaden an.

Warum wir alle ärmer sind

Beginnen wir da, wo alles seinen Ursprung hat. Diese Rezession, ich habe es vor einiger Zeit schon gesagt, ist das Ergebnis einer globalen Umverteilung, die sich wiederum auf die Schocks auf den Märkten für fossile Energieträger zurückführen lässt.

Die Konsumenten in den Ländern, die fossile Energieträger kaufen und verbrauchen, werden zur Kasse gebeten zugunsten derjenigen, die diese Energieträger verkaufen. Die Realeinkommen bei uns (für Arbeitnehmer und für Unternehmer) schrumpfen, weil die Öl- und Gasrechnung enorm gestiegen ist. Folglich ist weniger Einkommen für den Kauf von Konsum- und Investitionsgütern vorhanden, die von uns selbst oder von unseren europäischen Nachbarn hergestellt werden.

Unmittelbar ablesen kann man das in Deutschland am Überschuss der Leistungsbilanz, der am Ende dieses Jahres um etwa die Hälfte geschrumpft sein wird (Abbildung 1). Das ist eine Summe in der Größenordnung von 140 Milliarden (oder knapp 4 Prozent des nominalen BIP), die schlicht weg ist und im Inland nicht mehr zur Verteilung zur Verfügung steht.

Abbildung 1. Quellen: Statistisches Bundesamt / Ameco Datenbank / Werte für 2022: Prognose des Sachverständigenrates der EU. Grafik: Heiner Flassbeck

Weil es diesen negativen Terms-of-Trade-Effekt (der TOT-Effekt resultiert daraus, dass die Importpreise viel stärker steigen als die deutschen Exportpreise) gibt, können die Tarifpartner bei ihren Verhandlungen nicht einfach so tun, als kämen die im Inland gemessenen Preissteigerungen vollständig den deutschen Unternehmen zugute.

Wer (wie etwa Jens Berger auf den Nachdenkseiten) zu dem Ergebnis kommt, die Löhne müssten angesichts der aktuellen Preissteigerungen nach der Formel "aktuelle Inflationsrate plus Produktivitätszuwachs" kräftig steigen, um die Nachfrage zu sichern, liegt total falsch (auch die Financial Times hat die Bedeutung von TOT-Verlusten für die Lohnentwicklung nicht verstanden).

Der TOT-Effekt wirkt wie eine Verringerung der Produktivität und muss entsprechend mit einem Abschlag berücksichtigt werden.

Lohnerhöhungen auf der Basis der aktuellen Inflationsrate und des Produktivitätstrends ohne Berücksichtigung der außenwirtschaftlichen Belastungen würden ohne Zweifel zu neuen und dauerhaften Preissteigerungen führen.

Diese wiederum würden von der Geldpolitik zum Anlass für noch mehr Restriktion via steigende Zinsen genommen und das würde – wiederum ohne jeden Zweifel – eine noch höhere Arbeitslosigkeit zur Folge haben.

Man muss jedoch konstatieren, dass bei den großen Abschlüssen, die in Deutschland im Bereich Chemie und Metall vor wenigen Wochen zustande gekommen sind, ein guter Kompromiss zwischen dauerhaften Erhöhungen der Löhne für die nächsten zwei Jahre und Einmalzahlungen gefunden wurde.