Klima vs. Kapitalismus: Braucht die Weltrettung mehr als Sonne und Wind?

Plakat mit der Aufschrift: "Systemwandel statt Klimawandel". People's Climate March in New York City, 2014. Bild: Joe Brusky / CC BY-NC 2.0

Die Wirtschaft muss schrumpfen, der Kapitalismus enden, um den Klimakollaps zu verhindern. Grünes Wachstum ist eine Illusion, sagen einige Umweltschützer. Sind Energiewende und Green New Deal tatsächlich zum Scheitern verurteilt? (Teil 2)

Hier geht es zu Teil 1 der Analyse: "Energiewende für Fortgeschrittene: Ökoenergie ist nicht knapp, teuer und schmutzig".

Spätestens seit dem Club of Rome Bericht "Limits to Growth" gibt es eine Diskussion in Umweltbewegungen, ob eine wachsende Ökonomie überhaupt vereinbar ist mit den natürlichen Grenzen der Erde. Unstrittig ist, dass es langfristig auf einem endlichen Planeten kein endloses Wachstum geben kann. Schwieriger wird es bei konkreten Fragen im Hier und Jetzt.

Lässt sich zum Beispiel die Klimakrise lösen, auch wenn in den nächsten Jahren die Wirtschaftsleistung weiter zunimmt bzw. nicht abnimmt? Degrowth- beziehungsweise Postwachstumskritiker:innen sagen: Nein. Sie verweisen darauf, dass es bisher nur vereinzelte Fälle gibt, wo Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen absolut entkoppelt werden konnten – also die Treibhausgasmenge absolut sank bei steigendem Bruttoinlandsprodukt.

Das stimmt. Selbst bei den "Klimavorreitern" Deutschland oder Dänemark konnten über längere Zeiträume durchschnittlich nur zwei bis drei Prozent weniger Emissionen erzielt werden. Global hat es in den letzten Jahrzehnten keine absolute Entkopplung gegeben, auch nicht für die Gruppe der Industriestaaten.

Rezessionen – siehe die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Finanzkrise 2008/2009 oder die Coronakrise – scheinen historisch betrachtet der einzige Weg, um den Kohlendioxid-Ausstoß deutlich nach unten zu bringen.

Aber dieser Befund ist nicht überraschend. Denn es hat ja bisher noch keinen Klimaschutz gegeben, der diesen Namen verdient, schon gar nicht global. Aus der Geschichte lässt sich daher nicht einfach ableiten, was möglich ist. Die eigentliche Frage ist vielmehr, wie die Industriestaaten das heute notwendig gewordene CO2-Reduktionstempo erzielen können.

Da durch viele Jahrzehnte Nichtstun das Zwei-Grad-Budget an Treibhausgasen derart verringert wurde, sind sie gezwungen, bis 2035 zu dekarbonisieren (die Entwicklungsländer haben noch bis 2050 Zeit). Das bedeutet, dass sie jedes Jahr ihre Treibhausgase um rund zehn bis fünfzehn Prozent gegenüber dem Vorjahr reduzieren müssen: eine enorme jährliche Reduktionsleistung, historisch einmalig und durchaus an der Grenze der Machbarkeit.

So hält der britische Klimaökonom Nicholas Stern in seinem Standardwerk von 2006 ("Stern-Report") eine jährliche Steigerung der Kohlenstoffintensität um rund sechs Prozent für möglich. Zehn Prozent wären selbst dann nicht zu erreichen, wenn eine Volkswirtschaft stagniert. Aber Stern teilt gar nicht mit, warum mehr nicht möglich sein soll.

Seine Berechnung orientiert sich an historischen Fällen und ist relativ konservativ in ihren ökonomischen Annahmen. Zum Beispiel modelliert er die maximale Energiewende ohne stärkere Eingriffe des Staates und meist über Marktanreize.

Die Bedingungen für eine rasante Energiewende haben sich zudem seit Veröffentlichung der Studie deutlich verbessert und die technologische Dynamik macht es in Zukunft immer leichter, schneller zu dekarbonisieren. In Deutschland sanken etwa die Treibhausgase 2019 gegenüber dem Vorjahr um 6,3 Prozent, während die deutsche Wirtschaft um 0,6 Prozent wuchs.

Die Kohlenstoffintensität nahm also stark zu, um rund sieben Prozent, was eigentlich nach Stern nicht möglich ist. Und das sogar ohne wesentliche Klimaschutzmaßnahmen, zu großen Teilen ausgelöst durch günstige Preise für Erneuerbare auf den Märkten. Trotzdem sollte klar sein, dass die rasante Fahrt auf Null-Emissionen in weniger als fünfzehn Jahren kein Spaziergang werden wird. Es muss daher alles getan werden, um die Energiewende voranzutreiben.

Die schon im ersten Teil der Analyse zitierte Studie vom Wuppertal Institut, in Auftrag gegeben von Fridays for Future und veröffentlicht im Oktober 2020, gibt Hoffnung, dass es gelingen kann. Sie zeigt, dass Deutschland bis 2035 im gegenwärtigen Wirtschaftssystem dekarbonisieren könnte, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Die Energy Watch Group geht in ihren Berechnungen sogar davon aus, dass man bis 2030 auf null fahren könnte, ohne dabei den Kapitalismus überwinden zu müssen.

Das bedeutet für die Bundesregierung jedoch: Kursänderung sofort. Den Ausbau von Windrädern und Solarpanels müsste man umgehend verstärken, das Tempo faktisch um das Zwei- bis Dreifache gegenüber den besten Ausbaujahren erhöhen. Der Umbau des Stromnetzes braucht darüber hinaus eine signifikante Beschleunigung.

Unnötiger Auto- und Flugverkehr sollte vermieden (minus 20 Prozent), auf öffentlichen Verkehr verlagert und der Rest elektrifiziert beziehungsweise über Power-to-Gas (Umwandlung von Strom in alternative Kraftstoffe unter anderem für Flugzeuge) betrieben werden. Beim Heizen kann auf Wärmepumpen, solarthermische Kollektoren und grüne Nah- beziehungsweise Fernwärme gesetzt werden. Auch das eine Herkulesaufgabe, aber zu stemmen, wenn die Ärmel hochgekrempelt werden, so die Studie.

Die Forscher machen dabei klar, dass die Kursänderung kein Selbstläufer ist, sondern eine politische Kehrtwende erfordert. Sie weisen auch darauf hin, dass je nachhaltiger der Lebensstil gestaltet werde, die Wende desto leichter zu meistern sei.

Im Klartext: Je weniger in Summe geflogen, mit dem Auto gefahren, geheizt, unnötig und energieintensiv konsumiert wird und je weniger Nutztiere gehalten werden, umso einfacher ist es, die rasante Dekarbonisierung in hohem Tempo zum Erfolg zu bringen. Dafür braucht es sozial faire Regelungen, Anreize und auch Verbote von Seiten des Staates. Die Regierungen müssen also den Rahmen setzen.

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