EU-Korruptionsfall Eva Kaili: Wie aus "Katargate" ein "Marokkogate" wird

Eva Kaili. Foto (2014): Euranet Plus/CC BY-SA 2.0

Geheimdienst und Botschafter des autoritären Königreichs spielen nach Ansicht der Ermittler eine zentrale Rolle in dem Skandal.

Der EU-Korruptionsskandal um Eva Kaili, inzwischen oft "Katargate" genannt, entwickelt sich immer mehr zu einem Spionagethriller und bekommt einen ganz neuen Dreh – nicht zuletzt, da der Lebensgefährte von Eva Kaili ein Geständnis gegenüber den belgischen Ermittlern abgelegt hat. Klar ist: Der Fall weitet sich aus.

Die inzwischen abgesetzte Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Abgeordnete der griechischen Sozialdemokraten ist nur die prominenteste der vier Personen, die im Rahmen der Ermittlungen bisher inhaftiert wurden oder gegen die ermittelt wird.

Unter ihnen befindet sich auch ihr Lebensgefährte Francesco Giorgi, der inzwischen zumindest teilweise ausgepackt hat. Darüber hatten sowohl die belgische Zeitung Le Soir und die italienische Zeitung La Repubblica berichtet, die beide Einblicke in die Ermittlungsunterlagen erhalten haben.

Marokko rückt in den Mittelpunkt der Geschehnisse

In seinen Aussagen hat Francesco Giorgi zugegeben, in dem Bestechungsskandal mitgewirkt und Schwarzgeld angenommen zu haben. Allerdings rückt auch über seine Angaben immer stärker Marokko in den Mittelpunkt der Geschehnisse. Auch die Tagesschau fragt sich inzwischen: "Was kommt da noch?".

Real stellt sich inzwischen die Frage, ob wir es mit einem "Katargate" oder nicht vielmehr mit einem "Marokkogate" zu tun haben?

Auch wenn es die Tagesschau, deren Recherche nur an der Oberfläche kratzt, noch nicht so richtig wahrhaben will: Sowohl die Verbindungen der Personen, die im Mittelpunkt des Korruptionsskandals stehen, als auch die politischen Ergebnisse, die auf erkaufte Einflussnahme auf Entscheidungen der EU hinweisen, die Giorgi eingeräumt hat, weisen stärker auf Marokko als zentralen Akteur in dem Skandal hin.

Katar scheint darin nur mit Blick auf die WM eine Nebenrolle in den letzten Jahren gespielt zu haben.

"Skandal der Sozialdemokraten"

Dass die Unterlagen der Ermittler ausgerechnet einer belgischen und einer italienischen Zeitung zugespielt wurden, hat unter anderem damit zu tun, dass im Mittelpunkt des Skandals der frühere EU‑Abgeordnete Pier Antonio Panzeri steht.

Das hat aber auch damit zu tun, dass Panzeri etliche weitere Abgeordnete bestochen haben soll, wie zum Beispiel den Belgier Marc Tarabella. Das hat Giorgi gegenüber den Ermittlern eingeräumt. Tarabella ist, wie etliche Akteure in dem Skandal, ebenfalls "Sozialist". Das gilt auch für den Italiener Andrea Cozzolino, dessen Name der Lebensgefährte von Kaili ebenfalls genannt hat.

Damit haben wir es ganz offensichtlich mit einem Skandal zu tun, der besonders die Sozialdemokraten betrifft. Das könnte deren zentralen politischen Schwenk in Bezug auf Marokko erklären, doch dazu weiter unten mehr.

Strippenzieher Pier Antonio Panzeri, ehemaliger EU-Abgeordneter

Schauen wir uns zunächst einmal die bisher bekannten zentralen Akteure in dem Skandal an. Als Strippenzieher im Hintergrund im Europaparlament stand offensichtlich Panzeri. Für den 67-Jährigen war Giorgi als Assistent beschäftigt.

Panzeri war wiederum Vorsitzender der Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Union des Arabischen Maghreb (DMAG).

Dazu gehört nicht Katar, dazu gehört aber Marokko. Über die bunt aus verschiedensten politischen Lagern zusammengewürfelte Delegation wurde massiv Einfluss auf die Politik von offenbar gekauften Politikern genommen, um Entscheidungen positiv für Marokko zu beeinflussen. Ist es etwa ein Zufall, dass der Delegation als Nachfolger von Panzeri nun ausgerechnet der ebenfalls angeschuldigte Cozzolino vorsteht?

Dass Panzeri stets nur die marokkanische Sache vertreten hat, wird von Mitgliedern der Delegation bestätigt. Das hat unter anderem auch die frühere Kollegin Ana Gomes offen gemacht. Die streitbare Sozialistin aus Portugal nimmt nie ein Blatt vor den Mund, auch gegenüber den eigenen Leuten in Portugal nicht, wie sie auch im Telepolis-Gespräch schon klar gemacht hatte. Sie berichtet über die "unzähligen Streitigkeiten", die man innerhalb der Sozialdemokraten im Europaparlament ausgefochten habe.

Immer wieder habe Panzeri Resolutionen zur Frage der von Marokko illegal besetzen Westsahara und zu Menschenrechtsfragen erfolgreich torpediert. Schließlich war Panzeri, um dem ganzen Vorgang auf die Spitze zu treiben, auch noch Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses. Gomes geht deshalb davon aus, dass "nicht nur Katar" hinter den Vorgängen steht.

Sie meint, dass "Marokko Antonio Panzeri und seine Freunde finanziert" haben könnte. Da Gomes stets Klartext spricht, benennt Panzeri als "Kopf in dem Komplott". Sie geht so weit, ihn einen "Agenten Marokkos" zu nennen.

Dass der marokkanische Geheimdienst DGED tief in die Vorgänge verstrickt ist, zeichnete sich bereits deutlich ab und wurde nun unter anderem auch von Aussagen des Lebensgefährten von Eva Kaili, Francesco Giorgi, bestätigt.

Das Netzwerk war aber noch deutlich umfassender.