Heute kann Messi heimkehren

Bild: Hossein Zohrevand/CC BY 4.0

Aufhalter der Apokalypse: Messi und seine Mannschaft; Argentiniens Fußball gegen den Gang der Weltgeschichte.

Se juega como se vive. (Du spielst, wie du lebst)

Argentinische Fußballweisheit

Als Lionel Messi vom Himmel hinabstieg, um den Fußball zu erlösen, war er der humane Gegenpol zu seinem ewigen Rivalen, dem Roboter CR7, der erst in seinen letzten Jahren, der Zeit des sanften Abstiegs, zum Menschen Ronaldo mutierte. Ein Kampf der Giganten, ein Stellvertreterkampf Mensch gegen Maschine, Freiheit gegen Autorität, links gegen rechts, FC Barcelona gegen Real Madrid.

Messi verkörpert wie kein Zweiter unter den Weltstars im globalen Fußball das "Es soll anders sein...". Der Fußball soll anders sein, das Leben soll anders sein. Es ist ein Moment des Wollens, das die Realität übersteigt, aber ganz anders als bei Maradona, der das Wollen mit übermenschlichem Genie verband, ist es bei Messi eine einmalige Eleganz.

Verbunden mit den Göttern

Messi ist wie die homerischen Helden eng mit dem Scheitern verbunden, wie auch mit den Göttern. So ist das, was wir in wenigen Stunden erleben werden, ein menschliches Drama. Und dieses menschliche Drama wird auf die eine oder andere Weise heute dem nächsten Akt entgegenschreiten. Es ist das Finale. Der Schlussakkord.

Er wird nicht entscheiden über Messis Karriere, er wird auch nicht entscheiden darüber, wie diese Karriere im Rückblick gesehen werden wird. Aber er wird entscheiden über den Ton, über das Licht, in das sie getaucht scheint. Abendlicht, ein trauriger Schatten oder Vollendung?

"Messi ist ein absolutes Fußball-Genie"

Etwas von uns allen ist in Lionel Messi. Etwas von uns allen wird berührt, wenn wir an ihn denken, noch mehr als wenn wir ihn spielen sehen. Können wir das Schicksal zwingen oder zwingt das Schicksal uns?

In jedem K.o.-Spiel hat er bisher ein Tor erzielt und die Mannschaft zum Sieg geführt. "Messi ist ein absolutes Fußball-Genie, ein Genie, das in seiner eigenen Liga spielt", wie Stefan Effenberg im Sport 1 Doppelpass bemerkte: Eingespannt in den Widerstreit zwischen enormem Druck und extremen Freiheiten, zwischen Mannschaftsdienlichkeit und Eigensinn gibt er der Mannschaft alles.

Darum ist er ihr ein echter Anführer, mit 35 Jahren auf dem Höhepunkt seines Schaffens und bereit seine Nemesis, den ewigen Schatten und Leitstern Maradona abzuwerfen in der Stunde der Vollendung.

Auf Blut und Ausbeutung gewachsen

Aber auch der argentinische Fußball ist – wie jede Fußball-Tradition, wie Fußball überhaupt – auf Blut und Ausbeutung gewachsen. In ihrem Buch "Populismus an der Macht" über "symbolische Inszenierungen im argentinischen Kirchnerismus am Beispiel der Fußball-WM 2010" (erschienen bei Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2018) beschreibt die Politikwissenschaftlerin Bernadette Goldberger die untrennbare Verquickung von Fußball und Politik.

Der Arbeiterclub und Maradona-Verein "Boca Juniors" verlor seine Unschuld, als er zur Wiege von Mauritio Macri wurde, der 12 Jahre dessen Präsident war, und im Anschluss daran mit seinem daraus gewonnenen Image als erfolgreicher Unternehmer 2007 die Wahl in das Bürgermeisteramt von Buenos Aires gewann und Ende 2015 zum argentinischen Staatspräsidenten gewählt wurde, und der den reaktionären Rückfall in den Geist der Diktatur verkörperte.

Der "listenreiche Einzelgänger" und "Europäer"

In wenigen Ländern ist Fußball so sehr Kompensation für politische und ökonomische Krisen wie in Argentinien. Die Problematik des Gewichts individueller Heldenfiguren für kollektive Identitätskonstruktionen ist nirgends deutlicher. Messi ist in diesem Narrativ nicht (!) Maradona.

Er verkörpert das Nichtidentische der argentinischen Fußballnation. Den "listenreichen Einzelgänger" (Adorno/Horkheimer), der mit den Göttern Handel zu treiben wagt. Den Zweifel, den Bruch, das Wissen um das Scheitern. Er ist "der Europäer", der das Land verließ und nie in der Heimat spielte und dem darum bisher der größte Triumph versagt blieb. Offene Adern, offene Wundmale.

In der Verfinsterung des Fußballs, die wir gerade erleben, dem Sterben der Hoffnung auf Erfüllung jener Utopie, die der Fußball immer auch inmitten der kommerzialisierten Massenkultur, mit seiner ideologischen Mobilisierung der Fans und der Fußballpolitik, deren Teil der Fußball natürlich genauso ist, verkörpern Messi und seine Mannschaft das Andere, den ideellen Kern eines jeden Kunstwerks: die Herstellung richtigen Lebens.

Wenn es eine Gerechtigkeit gibt im Fußball, wird Argentinien gewinnen. Messi wird heimkehren. Aber wir kennen die Welt.