Weihnachtszeit, Lesezeit: Heute noch Indianerbücher verschenken?

Klischees über Native Americans in Büchern und Kinderkostümen stehen in der Kritik. Heißt das nun: Finger weg vom Thema? Symbolbild: Roses_Street auf Pixabay (Public Domain)

Vor 20 Jahren warf ich all meine Karl-May-Bücher weg. Sie waren mir zu rassistisch. Später bedauerte ich diese Entscheidung. (Teil 1)

Im August kam der Kinderfilm "Der junge Häuptling Winnetou" in die Kinos. Der Ravensburger Verlag hatte zum Film zwei Kinderbücher, ein Stickerbuch und ein Puzzle verlegt. Nach einem Shitstorm – das sei kulturelle Aneignung und die Reproduktion rassistischer Stereotype – zog er sie zurück.

Hier geht es weder um den besagten Film noch um die Bücher dazu. Matthias Dell hat in der Zeit den Film nachvollziehbar verrissen, Michael Hille in TV Spielfilm – und Katharina Mahrenholtz im NDR das Buch dazu.

Hier geht es stattdessen um die Frage, wie man mit "Indianerbüchern" generell umgeht: "Darf" man sie lesen? Verschenken?

Der pädagogische Aspekt

Vor 50 Jahren wurde ich "als Indianer" verkleidet und verkleidete mich selbst entsprechend – dass Native Americans und Angehörige der First Nations in Kanada das auf einem historischen Missverständnis basierende Wort diskriminierend fanden, wussten europäische Kinder, die aus der Ferne von ihnen fasziniert waren und mit diesem Sprachgebrauch aufwuchsen, nicht.

Vor 45 Jahren las ich Indianerbücher – wie Bücher mit diesem Sprachgebrauch im Alltag eben genannt wurden. Vor 40 Jahren ärgerte ich mich über einen Pastor, der in einer Predigt behauptete, "Mischlinge" aus unterschiedlichen "Rassen" hätten schlechtere Eigenschaften als andere Menschen, das sei wissenschaftlich erwiesen.

Anschließend versuchte ich, mit meinen Eltern darüber zu sprechen – sie hatten auch im Gottesdienst gesessen – aber sie meinten bloß, der Pastor hätte es nicht so gemeint. Diese Auseinandersetzung war, nun ja, verkackt. Überzeugungen wie dieser Pastor scheint auch Karl May gehabt zu haben – wenn auch nicht in den 1970er- und 1980er-Jahren, denn er starb bereits 1912.

Weniger bekannt als Winnetou ist sein Buch "Halbblut" – auch besagtes "Halbblut" hat schlechte Eigenschaften.

Vor wenigen Jahrzehnten waren rassistische Vorurteile und Stereotype noch weiter verbreitet als heute, auch wenn es natürlich immer auch aufklärerische Stimmen gab.

Gegen Vorurteile kann die Auseinandersetzung mit ihren Vertretern helfen. In der Schule nahm unser Englischlehrer eine Aussage eines Weißen über schwarze Menschen durch: Letztere hätten Sex vor ihren Kindern, und das sei doch viel natürlicher und infolgedessen seien Schwarze auch viel freier, das sei doch eine gute Meinung über Schwarze.

Diesen Unfug zu lesen und in der Schule durchzudiskutieren, wirkte in mir viel nachhaltiger, als es die theoretische Warnung vor solchen Aussagen hätte bewirken können: Es war so nachhaltig, dass ich mich noch 40 Jahre später daran erinnere.

Ich finde es richtig, Kindern Indianerbücher nicht zu verbieten, sondern mit ihnen über die Problematik zu sprechen und ihnen die Gelegenheit zu geben, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Wo Karl May schon ein paar Schritte weiter war

Vor 20 Jahren warf ich all meine Karl-May-Bücher weg, sie waren mir zu rassistisch. Später aber bedauerte ich diese Säuberung meiner Bücherregale. Bei allem, was man an Karl May aussetzen kann und muss: In anderer Hinsicht war er seiner Zeit voraus.

Hille macht in seiner Filmkritik zum Beispiel auf einen Charakter namens Todd Crow alias "Tante Crow" aufmerksam – einen schwulen, lächerlichen Bösewicht. Eine "Frechheit", schreibt Hille. Bei Karl May selbst hatte es eine Figur namens "Sebastian Melchior Pampel", genannt "Tante Droll", gegeben.

Hille hat ihn als "dicklichen Wildwestler mit hoher Fistelstimme, der sich eigentümliche Frauenkleider anzieht – einfach, weil sie ihm gefallen" beschrieben. "Zwar mögen sich andere Figuren über ihn amüsieren, zugleich ist er aber auch ein exzellenter Schütze und eine der mutigsten Personen im Winnetou-Kosmos. May war in dieser Hinsicht eben schon ein paar Schritte weiter."

Man kann bei der Lektüre von Büchern Karl Mays und anderen Autoren lernen, deren Werte bewusst wahrzunehmen und sie zu reflektieren, einige abzulehnen, andere zu bejahen. Und so kann man lernen, wie Werte sich wandeln. Und so wiederum kann man historisches Denken lernen, eine der wichtigsten Fähigkeiten überhaupt für Kritikfähigkeit.

Weniger bekannte Bücher zum Thema, die auch heute lesenswert sind

Es gibt einige lesenswerte Bücher, die mit Native Americans und Angehörigen der First Nations zu tun haben. Lars Distelhorst ist ein Forscher, der in Karl Mays Winnetou-Büchern Kulturelle Aneignung sieht. In einem Interview durch Katrin Schäfer sagte er:

Geschichte wird durch eine westliche, romantisierende Brille gesehen und im Endeffekt kommt etwas heraus, das mit dem Leben der Menschen damals und auch mit der realen Geschichte nichts mehr zu tun hat.

Aber es wird so getan, als würde es Geschichte in irgendeiner Weise beschreiben. Damit ist das eine ideologische Folie, um die Kolonisierung des amerikanischen Kontinents nett und kuschelig darzustellen.


Lars Distelhorst

Wer aber ein bisschen sucht, kann auch ganz andere Bücher finden, die von Angehörigen der First Nations handeln. Ich habe als Kind eine Menge gelesen, darum hat es mir anfangs auch etwas Mühe bereitet, die Diskussion um die neuen Winnetou-Bücher und Filme ernst zu nehmen – ich ahnte nicht, wie platt die zu sein scheinen - und ich nehme an, anderen Menschen meiner Generation ist es genau so gegangen.

Zwei dieser "anderen" Bücher sind "Großer Jäger Little Fox" von Hanns Radau sowie "Blauvogel" von Anna Jürgen. Viele jüngere Menschen werden sie nicht mehr kennen. In beiden Büchern wird zwar das Wort "Indianer" verwendet – das sollte aber am sonstigen Inhalt Interessierte nicht dazu verleiten, sie gar nicht erst zu lesen. Eine undifferenzierte Sicht auf "edle Wilde", wie sie Karl May vorgeworfen wird, gibt es hier jedenfalls nicht.

"Großer Jäger Little Fox" ist lange nach Karl Mays Romanen erschienen – in den 1950er-Jahren. Hier sind einige Natives bereits von Suchtkrankheit gezeichnet. Kann dies als rassistisches Klischee abgetan werden? – Überliefert ist, dass weiße Siedler teilweise gezielt Alkohol bei Geschäften mit den Indigenen eingesetzt hatten, um beim Feilschen um Landrechte einen Vorteil daraus zu ziehen, dass diese die Substanz nicht gewohnt waren.

Der später bewusstere Wunsch eines Teils der Kolonisierten, sich zu betäuben, kann auch als Folge der Kolonisierung gesehen werden. Ob der Autor des Buches solche Aspekte angemessen berücksichtigt hat, kann letztendlich nur beurteilen, wer es liest.

In "Blauvogel" geht es dagegen um einen Weißen, der wesentlich früher bei Native Americans aufwächst – und nach der Rückkehr zu seiner Blutsverwandtschaft nicht mehr mit deren Lebensweise inklusive Entfremdung von der Natur und hektischem Arbeitsrhythmus klarkommt.

Mehr zu beiden Büchern und ihren Ambivalenzen in Teil 2.