Twitter: Lektionen zur Manipulation

Dass sich Medien an der Bedrohung der Meinungsfreiheit durch Elon Musk abarbeiten und dabei die Twitter-Files und die guten Kontakte des "freien Marktplatzes" zum FBI vernachlässigen, spricht Bände. Eine kritische Analyse.

Siehe da: Elon Musk nimmt es mit der Meinungsfreiheit nicht so genau. Die Sperrung des Twitter-Accounts @ElonJet, der seit 2020 die Live-Standorte von Musks Privatjets veröffentlichte sowie einiger Journalisten, die seit Musks Twitter-Übernahme vermehrt über den Account berichteten, machten das für viele deutlich.

Und dass Musk offenbar Verweise auf Konkurrenten wie Mastodon sperren lässt, rückt seine Bemühungen um den "freien Marktplatz" (als den Twitter sich schon immer darstellt) ebenfalls in ein denkbar schlechtes Licht.

Doch die Kritik am neuen "Twitter-König" ist auch bigott.

Die Guten und das Achselzucken

Zunächst einmal schreien jetzt diejenigen am lautesten, die schon vor der Übernahme der Social-Media-Plattform durch den Südafrikaner Alarm schlugen – auch wenn sie die Erklärung, warum der eine Techno-Kapitalist schlechter sein sollte, als die zahlreichen anderen, schuldig bleiben.

Gerade in angeblich kritischen linken Kreisen schien diese Einstellung jedoch opportun, um nicht zu sagen: opportunistisch. Ganz nach dem inzwischen leider erprobten Muster: Wer Musk kritisiert, muss einer von den Guten sein.

Der Gipfel der Bigotterie ist aber die lautstarke Empörung über gesperrte Accounts, die individuelle Daten veröffentlichen, einerseits – und das maulfaule Achselzucken über die Unterdrückung öffentlich relevanter Informationen andererseits. Die New York Times ist jetzt plötzlich unter den größten Verfechtern der Meinungsfreiheit?

Die Geschichte um den Hunter-Biden-Laptop hat etwas anderes gezeigt: Sie zählt zu den größten Gatekeepern.

Special Interests

Bei aller berechtigten Kritik an seinen Doppelstandards: Mit der Veröffentlichung der sogenannten Twitter-Files hat der Tesla-CEO dazu beigetragen, hinter das suggestive Trugbild einer vermeintlich von politischen Einflusskräften und Manipulationen unabhängigen digital-demokratischen Öffentlichkeit zu schauen, die zentral verwaltet wird. Und das liefert eine Lektion in Medienkompetenz.

Diese Illusion kritisch zu hinterfragen und die (potenzielle) Einflussnahme durch interessierte Gruppen aufzuspüren, wäre in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft eigentlich die originäre Aufgabe der Medien gewesen.

Stattdessen klammert sich die sogenannte vierte Gewalt offenbar lieber an Narrative, die von eben jenen Special Interests ins Spiel gebracht werden – und lässt alles links liegen, was nicht ins Bild passt. So auch die Twitter Files.

Dabei ist deren Inhalt mehr als brisant.

Verschwörungstheorie Shadow Banning

Der US-amerikanische Investigativjournalist Matt Taibbi und Bari Weiss, bezeichnenderweise ehemalige Autorin der New York Times, waren unter Musks "Auserwählten", sich der internen Twitter-Dokumente anzunehmen.

Die Tageszeitung Welt hat am Dienstag eine Übersetzung des Artikels Twitters Secret Blacklists ("Twitters geheime schwarze Listen") als Debattenbeitrag veröffentlicht, den Weiss gemeinsam mit ihren Kollegen Michael Shellenberger, Abigail Shrier und Nellie Bowles am 15. Dezember verfasst hat. Darin heißt es:

Nach der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 begann Twitter, eine aktivere Rolle bei der Überwachung des öffentlichen Raums zu spielen – bzw. bei der "Moderation", wie es im Techjargon heißt. Das Unternehmen führte eine geheime schwarze Liste, Teams von Mitarbeitern wurden damit beauftragt, die Sichtbarkeit von Konten oder Themen zu drosseln, die als unerwünscht oder gefährlich angesehen wurden.

Die Welt

Dieses sogenannte "shadow banning", also die Reichweitenverringerung von Meinungen innerhalb des (vermeintlich) öffentlichen Diskurses, konnte sich den Autoren zufolge ebenso auf kritische Ansichten zum Coronavirus (inklusive der Labortheorie) beziehen wie auch auf konservative "No-Woke"-Accounts – selbst, wenn diese gar nicht gegen Twitter-Richtlinien verstoßen hatten.

Entsprechende Meldungen und Anschuldigungen habe Twitter bis dahin abgestritten oder gar als "Verschwörungstheorie" abgetan, so die Autoren.

Brisant sind diese Informationen auch deshalb, weil in Zeiten, in denen nicht nur deutsche Gesundheitsminister via Talkshow und Twitter Politik machen, die Plattform sowohl Verkündungsinstrument ist als auch Seismograph der öffentlichen Meinung. Mit bedenklichen Folgen: Was nicht auf Twitter stattfindet, hat wenig Chancen, jenseits von Twitter stattzufinden.

Im Falle der maßnahmenkritischen Experten Jay Bhattacharya (Stanford), Martin Kulldorf (Harvard) und Sunetra Gupta (Oxford), allesamt Unterzeichner der Great Barrington Declaration, die (unter anderem) Lockdowns als neuartiges Mittel der Pandemiebekämpfung in Frage stellte, ist eine solche politisierte Diskursmanipulation als besonders schwerwiegend anzusehen – etwa, wenn es darum geht, inwiefern eine offene Debatte Leben hätte retten können.

Damit ist aber bei Weitem noch nicht alles gesagt, was die bisher acht Ausgaben der Twitter-Files ans Licht brachten.