Wissenschaftler und Promis fordern Stopp der Räumung von Lützerath

Früher Morgen in Lützerath: Aktive der Umwelt- und Klimabewegung bereiten sich auf zivilen Ungehorsam vor. Foto: Aktionsticker Lützerath

Neben den Scientists for Future haben sich rund 200 Promis und Kulturschaffende in Offenen Briefen zu Wort gemeldet. Sie fordern ein Räumungsmoratorium – und einer Kehrtwende in der deutschen Klimapolitik.

An diesem Mittwochmorgen hat die Polizei begonnen, das von Umwelt- und Klimagerechtigkeitsgruppen besetzte Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier zu räumen. Zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens protestieren nun gegen die politische Entscheidung, die zur Zeit noch unter der Ortschaft ruhenden Kohlevorräte in den nächsten Jahren zu verfeuern.

Ein entsprechender Deal wurde im Oktober vergangenen Jahres zwischen dem Energiekonzern RWE, dem Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck und dem NRW-Landesministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie unter Mona Neubaur (beide Bündnis 90 / Die Grünen) ausgehandelt.

"Substanzielle wissenschaftliche Zweifel"

Die Initiative Scientists for Future veröffentlichte an diesem Mittwoch einen Offenen Brief mit mehreren hundert Unterschriften und folgendem Wortlaut:

An Herrn Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie und stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Herbert Reul, Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen

Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen wir es als unsere Pflicht an, auf die Konsequenzen einer Räumung von Lützerath hinzuweisen.

Wir stellen die Frage nach den gesellschaftlichen Kosten einer erzwungenen Räumung. Welche Wirkung hat die Räumung im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der deutschen Klimapolitik? Lützerath ist ein Symbol geworden. Es geht um ein aussagekräftiges Zeichen für die notwendige Abkehr vom fossilen Zeitalter.

Es gibt substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung. Mehrere wissenschaftliche Gutachten [1, 2, 3, 4, 5, 8], kommen zu dem Schluss, dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig, sondern politisch bestimmt ist.

Vielmehr steht die Förderung und Verstromung dieser Kohle einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen. Die Verschärfung des europäischen Emissionshandels vom 18. 12. 2022 auf minus 62 Prozent THG-Emissionen im Stromsektor bis 2030 (bezogen auf 1990) lässt mindestens fraglich erscheinen, ob Kohleverstromung in Deutschland bis 2030 noch wirtschaftlich sein wird [6].

Der Umstiegspfad auf erneuerbare Energien sollte sich somit insbesondere an einem deutschen und europäischen CO₂-Budget ausrichten, das mit den Klimazielen von Paris im Einklang steht und ethisch vertretbar ist [7].

Wir empfehlen ein Moratorium der Räumung.

Dieses bietet die Chance für einen transparenten Dialogprozess mit allen Betroffenen zur Entwicklung von zukunftsfähigen Pfaden der gesellschaftlichen Transformation und Zeit für die Überprüfung der zugrunde liegenden Entscheidungsprämissen. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik würde wesentlich gestärkt werden – international und besonders bei der jungen Generation.

Scientists for Future Deutschland

Unterzeichnet haben bekannte Klimaforscher, Hochschullehrer und Energieexperten wie Stefan Rahmstorf, Mojib Latif und Volker Quaschning, aber auch Wirtschaftswissenschaftlerinnen wie Claudia Kemfert und Forschende, die sich mit den psychosozialen Folgen der Klimakatastrophe befassen.

Darüber hinaus intervenierten an diesem Mittwoch rund 200 Prominente, die überwiegend aus dem Kulturbereich kommen, in die Debatte. In einem weiteren Offenen Brief, der unter anderem von Katja Riemann, Peter Lohmeyer, Igor Levit und Judith Holofernes unterzeichnet und am Mittwoch im Spiegel veröffentlicht wurde, wird der Erhalt von Lützerath und eine Neubewertung der Verträge zwischen Regierenden und RWE verlangt.