Frankreich: "Neue Atomkraftwerke noch schneller ans Netz"

"Keine Minute mehr zu verlieren." Nicht bürokratische Hürden sind das Problem – der Druckwasserreaktor EPR hat elementare Sicherheits- und Designprobleme. So gibt es auch einen Plan B mit Erneuerbaren.

Es hört sich ziemlich dubios an, was die französische Regierungen zu ihrer Energiepolitik vom Stapel lässt. Ähnlich wie Deutschland beim Bau von Flüssiggas-Terminals will das Atomstromland beim Bau neuer Atomkraftwerke auf die Tube drücken.

Allerdings soll das nun auch für die Umsetzung von Projekten zur Stromerzeugung über erneuerbare Energien gelten.

"Es dauert in Frankreich doppelt so lange wie in seinen Nachbarländern, bis ein Projekt fertiggestellt ist, weil die Verwaltung kompliziert ist und die Einspruchsverfahren viel Zeit in Anspruch nehmen", erklärte die Energieministerin Agnès Pannier-Runacher im Interview.

"Verspätung aufholen"

Das "Gesetz zur Beschleunigung der Produktion von erneuerbaren Energien" sei nötig, "um unsere Verspätung bei den erneuerbaren Energien aufzuholen", sagte die Ministerin in einer Rede im Parlament vergangene Woche. Allerdings musste Pannier-Runacher wegen eines Hustenanfalls ihre Rede abbrechen.

Bei der Abstimmung gab es danach großes Chaos. Das elektronische Abstimmungssystem verweigerte – wie viele Atomkraftwerke im Land – den Dienst, so mussten fast 600 Abstimmungszettel ausgedruckt und verteilt werden.

Nach mehreren Stunden Verspätung stimmte schließlich eine Mehrheit für das Gesetz. Allerdings erhielt die Regierung nicht einmal die Stimmen der Grünen, ebenfalls nicht von der Linken, allein die Sozialdemokarten unterstützten das Vorhaben, das für viele viel zu kurz greift.

Photovoltaik auf Parkplätzen

Neben dem Abbau der Bürokratie und dem Bau von Windparks an der Küste sieht das Gesetz vor, dass auf Parkplätzen mit mehr als 1.500 Quadratmeter verpflichtend Photovoltaikmodule installiert werden müssen. Damit wurde die Fläche um fast die Hälfte gegenüber den ersten Vorhaben verkleinert.

Denn geplant war zuvor, dass nur Parkplätze mit 2.500 Quadratmetern Fläche betroffen sein sollten. Schon das wären laut dem Entwurf zwischen 90 und 150 Millionen Quadratmeter. Schon mit dieser Fläche sollten Solarmodule mit sieben bis elf Gigawatt Leistung installiert werden können.

Umweltgruppen fordern aber eine weitere deutlich Ausweitung der Regelung auch auf kleinere Parkplätze. Einbezogen werden sollen aber auch Gebäude. Der WWF spricht zum Beispiel von einer "unausgegorenen Beschleunigung" und fordert einen besseren Schutz der Biodiversität.

Was in der Praxis dann herauskommt, muss abgewartet werden, denn es sind bisher weiter zahlreiche Ausnahmeregelungen vorgesehen. Definitiv ist das Gesetz nur in erster Lesung beschlossen. Es soll nun vor der definitiven Abstimmung, die im Februar erfolgen soll, im Vermittlungsausschuss ein Kompromiss ausgearbeitet werden. Besonders umstritten ist zum Beispiel das Mitspracherecht der örtlichen Bürgermeister.

Opposition von rechts

Vorgesehen ist, dass die Kommunen an der Ausweisung geeigneter Gebiete für Windräder oder Solaranlagen beteiligt werden. Die Linken und die Grünen im Parlament befürchten, dass damit die Bürgermeister faktisch ein Vetorecht bekommen. Die ultrarechte Opposition hat zudem das schwammige Kriterium einer "visuellen Sättigung" durchgesetzt.

Sie wettert gerne gegen eine "Verschandelung der Landschaften" für Wind- oder Solarprojekte, hat aber nichts gegen Atomanlagen einzuwenden. Windräder dagegen würden "die Augen und das Hirn" verderben, erklärte zum Beispiel der rechtsradikale Abgeordnete Pierre Meurin. Dessen von Marine Le Pen geführte Formation wollte sogar, dass Windparks einen Mindestabstand von 40 Kilometern zur Küste einhalten sollen. Stattdessen sind nun 22 Meter vorgesehen.

Zwar wurde im Senat auch schon über die Beschleunigung von Atomkraft-Neubauten debattiert, beschlossen soll ein entsprechendes Gesetz in erster Lesung am Dienstag im Senat. Interessant ist hierbei nicht nur die Vernebelungsstrategie aus Paris, sondern auch wie in Deutschland auf die bisher blumigen Ankündigungen reagiert wird.

Neue AKW schneller ans Netz?

So hat der Spiegel berichtet: "Durch den Abbau bürokratischer Hürden will Frankreich seine neuen Atomkraftwerke noch schneller ans Netz bringen".

Um etwas "noch schneller" machen zu können, müsste man in Frankreich doch zuvor wenigstens einigermaßen schnell Atommeiler ans Netz gebracht haben. Dabei weiß jede und jeder, der oder die, die Vorgänge im Nachbarland auch nur am Rande verfolgt hat, dass es dem Land seit fast 16 Jahren nicht gelungen ist, auch nur den einen einzigen "European Pressurized Reactor" (EPR) ans Netz zu bringen.

Dabei sollte der EPR in Flamanville doch schon seit fast elf Jahren Strom liefern. Es war ohnehin längst klar, dass daraus auch im laufenden Jahr nichts wird. Doch im Dezember musste der Bauherr und Betreiber EDF erneut eine Verzögerung um weitere sechs Monate einräumen, weil sich die Reparatur von Schweißnähten schwieriger gestalte. Es wird jedenfalls vor Sommer 2024 nichts. Ob es bei 2024 bleibt, steht in den Sternen.

Die Kosten explodieren derweil für die angeblich "billige" Atomkraft ebenfalls weiter. Offiziell gibt der Stromriese, der auch über Flamanville immer tiefer in die roten Zahlen gedrückt wird, die Kosten für den EPR nun mit 13,2 Milliarden Euro an. Dabei hatte der französische Rechnungshof längst eine Summe von fast 20 Milliarden genannt.

Der hatte schon 2015 berichtet, dass die Baukosten schon auf 12,4 Milliarden Euro angewachsen seien. Dazu errechnete er schon damals bis zur Inbetriebnahme weitere 6,7 Milliarden Euro hinzu. Man darf also nun von mindestens 20 Milliarden Euro ausgehen, womit sich die Kosten des mit zunächst veranschlagten 3,3 Milliarden "billigen" Projekts versechsfacht haben.

Der Spiegel kaut dann aber lieber die völlig unrealistischen Propaganda-Zahlen der EDF wieder, die für den Bau von sechs neuen EPR-Reaktoren gerade einmal 52 Milliarden veranschlagt, die Präsident Emmanuel Macron versprochen hat.

Am Dienstag soll jedenfalls soll nach dessen Angaben damit begonnen werden "noch mehr Tempo beim Ausbau der Atomkraft" zu machen. Damit bleibt das Nachrichtenmagazin ganz auf der Propagandalinie, der jede reale Basis fehlt. Richtig ist, dass am Dienstag die erste Abstimmung im Senat stattfinden wird, wie auch Le Monde berichtet.

Flamanville: Erster Beton im Dezember 2007 gegossen

Das renommierte Blatt weist sofort auf das Debakel in Flamanville hin, wonach der Neubau "weniger als fünf Jahre" bis Juni 2012 dauern sollte. Damit wird sogleich ein vernünftiger Kontext hergestellt, der an den Angaben der Regierung zweifeln lässt.

Denn in Flamanville wurde der erste Beton schon im Dezember 2007 gegossen, die Inbetriebnahme sollte im Juni 2012 erfolgen, doch dann gab es bekanntlich immer wieder technische Probleme.

Die Energieministerin erklärte zu dem Vorhaben:

Es geht darum, keine einzige Minute mehr zu verlieren.

Allerdings erklärte Pannier-Runacher ebenfalls, dass es sich um einen "schrecklich technischen" Gesetzesentwurf handele. Begrenzt ist der auf zukünftige Baustellen in der Nähe von schon bestehenden Atomkraftwerken.

So soll bereits an Nebengebäuden eines Reaktors gebaut werden können, während die öffentliche Debatte über den Bau des eigentlichen Meilers noch läuft. Nach dem Gesetzesentwurf sollen die Möglichkeiten, Rechtsmittel gegen geplante Reaktoren einzulegen, sehr stark eingeschränkt werden.

Einsprüche sollen direkt an den Staatsrat gehen, ohne die Zwischenstufen vor regulären Gerichten zu durchlaufen.

Die EDF schätzt, dass das eine Zeitersparnis von etwa 20 Monaten bringen würde. Erleichtert werden sollen auch die Enteignungen von Grundstücken in der Nähe von Kraftwerken. Ausnahmen soll es auch beim Küstenschutz geben, denn Penly und Gravelines befinden sich an der Küste.