"Warum die meisten Studien falsch sind"

Politik, Medien und die "Geistes-Adeligen": Einflussnahme auf die wissenschaftlichen Diskurse. Zehn Störfaktoren der freien Wissenschaft (Teil 2).

Welche (sozialen) Störfaktoren beeinflussen den freien wissenschaftlichen Diskurs? Teil 2 der Mini-Serie über Wissenschaftsfreiheit. Diesmal: Politik, Medien und die "Geistes-Adeligen".

4. Politische Instrumentalisierung wissenschaftlicher Institutionen

Die Einflussnahme auf die wissenschaftlichen Diskurse beschränkt sich nicht auf direkte Finanzierung oder unmittelbare Eingriffe nach dem Vorbild des Ghostwriting (siehe Teil 1). Es gibt auch weniger offensichtliche Versuche.

Im vorangehenden Punkt ("Bezahlte Forschung", siehe Teil 1) wurden die privaten Stiftungen aufgegriffen.

Nun fragt sich im Falle der Volkswagen-Stiftung niemand, wessen Interesse sie verfolgt. Schwerer wird es für den Laien dann schon bei Namen wie der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT), hinter der sich von 2007 bis 2017 die "Diesellobby" verbarg.

Dem sogenannten Wissenschaftslobbyismus sind keine Grenzen gesetzt. Die Liste der akademischen Thinktanks und Einflussorganisationen ist lang, und die Interessen nicht immer leicht zu enttarnen. Dass das auch für Organisationen gilt, die vermeintlich gemeinnützigen Zwecken dienen, hat der Verein Lobbycontrol 2010 am Beispiel der "Non-Toxic Solar Alliance" (NTSA) deutlich gemacht.

Wie Lobbycontrol aufdeckte, war die Organisation, die von deutschen Medien überwiegend als Allianz von umweltbewussten Wissenschaftlern dargestellt wurde, eine Erfindung der Politik-PR-Agentur Bohnen, Kallmorgen und Partner.

Angesichts der damals anstehenden Revision der EU-Richtlinie zur Beschränkung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS) gab die NTSA Studien in Auftrag, die auf die Gesundheitsgefahr von Cadmiumtellurid hinwiesen – ein Stoff, der in den Produkten der US-Marktanwärters Firma First Solar verbaut war. Ob die NTSA eine Tarnorganisation der Konkurrenz war, ist bis heute nicht geklärt.

Interessengeleitete Institutionen, die sich mit dem Prädikat der Wissenschaftlichkeit brüsten, gibt es auch auf politischer Ebene. Die Probleme verdichten sich im Feld der wissenschaftlichen Politikberatung. In einem Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung wird die Anziehungskraft der Wissenschaft auf die Politik treffend beschrieben:1

Während die Wissenschaft als sich selbst steuerndes Teilsystem […] eigenständig in der Lage ist, sich Legitimation zu verschaffen […] ist Politik auf die externe Legitimation durch Wahlen angewiesen.

Julia Fleischer, Sylvia Veit, Thurid Hustedt

Worauf der Beitrag allerdings nicht eingeht, ist der Umstand, dass wissenschaftliche Expertise für politische Zwecke missbraucht werden kann – hier schenken sich Politik und Wirtschaft nämlich wenig. Neben dem berüchtigten "Panikpapier" des Innenministeriums und dem unkritischen Verhalten, das man dem Ethikrat in der Corona-Krise nicht nur gegenüber dem Umgang mit Kindern und Jugendlichen vorwerfen muss, liefert die "Lockdown-Empfehlung" der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina dafür das beste Beispiel.

Der Leopoldina-Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld, der aufgrund seiner Kritik an dieser Empfehlung damals vom Ressortleiter Wissenschaft der FAZ als "Nestbeschmutzer" verunglimpft wurde, verdeutlicht die bedenklichen Implikationen des oben genannten Phänomens im von Sandra Kostner herausgegebenen Sonderband der Zeitschrift für Politik "Wissenschaftsfreiheit" (2022):2

Wissenschaft als politisches Programm benötigt Erkenntnisse, die als unbezweifelbare Wahrheiten dargestellt werden [---] sie müssen auch so dargestellt werden, dass sie einen moralisch-normativen Status haben. Nur dann können sie zur Steuerung der Gesellschaft eingesetzt werden.

Michael Esfeld

Gleichzeitig demonstrierte die Abberufung kritischer Stimmen wie dem oben bereits genannten Mitglied des bayerischen Ethikrats Christoph Lütge dem Leiter des bayerischen Gesundheitsamts Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, oder des staatlichen Krisenmanagers Stephan Kohn, dass die Politik der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht den Vorrang einräumte.

Besonders problematisch wird die Dynamik um die politische Instrumentalisierung der Wissenschaft, wenn entsprechende Institutionen ihrerseits imstande sind, auf den wissenschaftlichen Diskurs weltweit Einfluss zu nehmen, so wie es dank ihrer (medialen) Reichweite zum Beispiel der WHO oder dem Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) möglich ist.

Verschließen sich solche Einrichtungen und deren Verantwortungsträger dem wissenschaftlichen Austausch, können sie damit ganze wissenschaftliche Landschaften prägen.

5. Bias bei wissenschaftlichen Gutachten (peer review)

Wissenschaftliche Thesen finden erst Eingang in die Fachliteratur (und somit in den Diskurs), wenn sie eine gutachterliche Prüfung durch einen Kreis von fachlich qualifizierten Kollegen durchlaufen haben, den sogenannten peer review. Um eine möglichst neutrale Bewertung zu garantieren, laufen peer reviews idealerweise im Doppelblind-Verfahren ab: Sowohl Bewerber als auch Gutachter bleiben anonym.

Eines der größten Probleme sind mögliche Interessenkonflikte der Gutachter. Das British Medical Journal (BMJ) hat 2017 eine brisante Studie zum Einfluss von Pharma-Konzernen auf Gutachter wissenschaftlicher Zeitschriften veröffentlicht.

Sie kommt zu dem Schluss, dass Zahlungen häufig (betroffen waren mehr als 50 Prozent der Untersuchten Gutachter) und umfangreich genug sind (teilweise wurden mehr als 100.000 Dollar gezahlt), das Vertrauen in die Unabhängigkeit zu untergraben. Und es gibt noch andere Gründe.

2005 veröffentlicht der oben bereits erwähnte Epidemiologe und Statistiker John Ioannidis einen enorm einflussreichen Artikel zur wissenschaftlichen Methodenkritik.

Er trägt den für die Fachwelt ziemlich erschütternden Titel "Why most research findings are false". Darin benennt Ioannidis wesentliche blinde Flecken in der Beurteilung wissenschaftlicher Arbeiten. Finanzielle Anreize spielen darin allerdings keine Rolle.

Ioannidis zufolge weisen Studien in umstrittenen Sachgebieten tendenziell mehr Schwächen auf, weil "prestigeträchtige Gutachter" dazu neigten, Forschung, die allgemeinen oder persönlichen Annahmen zuwiderläuft, zu unterdrücken – Beobachtungen, die sich auch mit den Erfahrungen von Christian Kreiß decken:

Die Peers sind sozusagen die Geistes-Adeligen, die teilen meistens alle dieselben Axiome.

Christian Kreiß

Er gibt ein Beispiel:

Wenn Sie heute in der Ökonomie als Wissenschaftler mit der Gewinnmaximierung als Grundprämisse brechen oder mit Marx und Engels ankommen, sieht es nicht gut für Sie aus.

Außerdem, schreibt Ioannidis 2005, sinke die Qualität mit der Beliebtheit des Sachgebiets und dem Anreiz, schnell und eben womöglich fehlerbehaftet zu publizieren. Das wiederum deckt sich mit einer Studie von 2021, welcher zufolge die während der Corona-Krise publizierten Studien die üblichen Qualitätsstandards deutlich unterschritten.

6. Einseitige Medienberichterstattung

Der etablierte wissenschaftliche Diskurs setzt sich nicht nur zusammen aus dem, was in Zeitschriften veröffentlicht wird und dem, was die jeweiligen Fachbereichsleiter und Drittmittelgeber für besonders fördernswert erachten. Wie in Punkt 1 angesprochen, ist die Wissenschaft auch um gesellschaftliche Relevanz bemüht – und den Großteil dessen, was gesellschaftlich relevant ist, bestimmen die Medien.

Wie auch bei anderen Themen können sie dabei als Schleusen, als Gatekeeper fungieren: Was nicht in der Berichterstattung der sogenannten Leitmedien vorkommt, hat nur selten die Chance, die breite Öffentlichkeit und damit die wissenschaftliche Gemeinschaft zu erreichen. Als Beispiel muss wieder einmal Corona herhalten: unter den zahlreichen Fällen ignorierter Warnungen greifen wir einmal die "Great Barrington Declaration" heraus.

Am 4. Oktober 2020 sprechen sich der Epidemiologe Jay Bhattacharya (Stanford), der Biostatistiker Martin Kulldorf (Harvard) und die Epidemiologin Sunetra Gupta (Oxford) gegen die neuartigen Lockdown-Maßnahmen aus und plädieren für eine kontrollierte Durchseuchung bei gleichzeitigem Schutz der sogenannten vulnerablen Gruppen.

Andernfalls erwarten sie eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit, eine mögliche Zunahme von Herzkreislauf- und Krebsleiden sowie eine höhere Übersterblichkeit in den kommenden Jahren. Zudem betonen sie, dass besonders die Arbeiterklasse sowie – durch die Schulschließungen – Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig belastet würden. Heute sind ihre Sorgen Fakten.

In den Medien wurde die Declaration zwar durchaus aufgegriffen, aber – gelinde gesagt – nicht als Debattenbeitrag. In der Süddeutschen Zeitung etwa paart die ehemalige "Wissenschaftsjournalistin des Jahres" Christina Berndt ihren Artikel mit dem Foto eines "Maulkorb"-Protestschilds, nennt die Erklärung "gefährlich" und unterstellt ihr aufgrund der Förderung durch den libertären und den Koch-Brüdern nahestehenden Thinktank American Institute for Economic Research eine Agenda.

Berndt wurde dann später selbst verdächtigt, eine solche zu bedienen, als sie noch vor Erscheinen des Corona-Evaluationsberichts einen Artikel veröffentlichte, in dem dessen Ergebnisse in Frage gestellt wurden.

Medienschaffende können sich im Zweifel darauf berufen, lediglich die damalige Haltung renommierter Experten widergespiegelt zu haben, hatten sich doch auch US-Seuchenexperte Anthony Fauci und WHO-Chef Tedros kritisch bis abfällig geäußert.

Auch das trug dazu bei, dass nicht eine wissenschaftliche Debatte abgebildet wurde, sondern ein (vermeintlicher) Konsens, vor dem Methodiker wie John Ioannidis warnen. Damals wie heute geisterte der Gemeinplatz der "False Balance" durch die Medienwelt, und noch die kleinste Lokalredaktion verzichtete im Zweifel lieber darauf, eine abweichende Meinungen zu veröffentlichen.

Die Sichtbarkeit des wissenschaftlichen Diskurses betrifft in hohem Maße auch die Neuen Medien. Wie die Twitter-Files gezeigt haben, wurden die Great Barrington Declaration und andere kritische Einwände gegen die Corona-Politik zum Teil auf Wunsch von Regierungen und öffentlichen Institutionen entfernt. Hier offenbart sich der schmale Grat von "False Balance" und "Desinformation" zur handfesten Zensur.