Lage verschlechtert sich: Deutlich mehr Menschen in Deutschland leben in Armut

Paritätischer Wohlfahrtsverband legt aktualisierten Armutsbericht vor. Mehr Menschen von Armut und Hunger betroffen als angenommen. Was dagegen helfen könnte.

Die Armut in Deutschland ist gravierender als bislang angenommen: Nicht 16,6 Prozent, sondern 16,9 Prozent betrug die Armutsquote im Jahr 2021. Das erklärte der Paritätische Wohlfahrtsverband am Freitag mit.

Dieser Unterschied mag klein erscheinen – aber er beschreibt das Schicksal von weiteren rund 300.000 Menschen in der Bundesrepublik. Insgesamt lebten damit knapp 14,1 Millionen Personen in Armut.

Am Freitag hatte der Sozialverband eine aktualisierte Version seines Armutsberichtes veröffentlicht. Notwendig sei die Überarbeitung geworden, erklärte der Verband, nachdem das Statistische Bundesamt Endergebnisse für das Berichtsjahr 2021 vorgelegt hatte.

"In unseren schlechtesten Träumen hätten wir nicht daran gedacht, dass es nun noch einmal nach oben geht", betonte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Das Ergebnis sei ein bitteres Armutszeugnis für die Politik der Großen Koalition: Sie habe die Armut billigend in Kauf genommen.

Als armutsgefährdet gilt nach EU-Definition, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Für eine alleinlebende Person in Deutschland sind das derzeit etwa 15.000 Euro im Jahr, für eine Familie mit zwei Kindern etwa 31.500 Euro. Mitgezählt werden dabei alle Nettoeinkünfte, also Lohn, Rente, Wohngeld, Kindergeld, Leistungen zur Grundsicherung und andere Sozialleistungen.

Armut ist unterschiedlich verteilt in Deutschland. Frauen sind etwa öfter betroffen als Männer. Von ihnen leben 17,8 Prozent in Armut, während es bei Männern lediglich 16 Prozent sind. "Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren", heißt es in dem Bericht.

Deutlich über dem Durchschnitt liegt auch die Armut bei Kindern und Jugendlichen. "Mit 21,3 Prozent steigt ihre Armutsquote auf einen noch nie gemessenen traurigen Rekordwert", erklärte der Verband weiter.

Ein Phänomen der Armut ist Hunger. Dass es in Deutschland Menschen gibt, die nicht genügend zu essen haben, ist seit Jahren bekannt. Doch mit dem Krieg in der Ukraine und den Folgen der westlichen Sanktionen hat sich die Situation weiter verschärft. Im Berliner Kurier hieß es kürzlich dazu:

Wir erleben Hunger. Seit etwa einem Jahr, seit Kriegsbeginn und der hohen Inflation, habe sich die Essensproblematik verschärft, sagt Wolfgang Büscher. Er ist Sprecher der Arche, einem Verein mit kostenlosen Angeboten für Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen. In Berlin sei es extrem, aber das Problem gebe es auch an den anderen der knapp 30 Standorte in Deutschland. Büscher erzählt von Kindern, die ohne Frühstück in der Schule gewesen seien und ausgehungert in die Einrichtungen kämen. Und von Müttern, die aufs Mittagessen verzichten, damit ihre Kinder abends satt werden.

Die frühere Bundesregierung aus Christ- und Sozialdemokraten habe viel getan, um das Entstehen neuer Armut während der Coronapandemie zu verhindern, erklärte der Paritätische Wohlfahrtsverband. Zugleich habe man aber die Menschen im Stich gelassen, die bereits arm waren.

Der Verband erklärte laut Nachrichtenagentur AFP: "So gut wie keinerlei Anstrengungen wurden jedoch unternommen, auch jenen unter die Arme zu greifen, die bereits in Armut waren." Die Hartz-IV-Sätze seien etwa nicht erhöht worden.

Die Kritik beschränkt sich nicht nur auf die ehemalige Große Koalition. Auch die Entlastungspolitik der sogenannten Ampelkoalition habe im vergangenen Jahr "eine bemerkenswerte soziale Schieflage und armutspolitische Enthaltsamkeit" gezeigt.

Angesichts der Entwicklungen im vergangenen Jahr, sei keine Zeit mehr zu verlieren, um die wachsende Not zu lindern. Der Sozialverband fordert von der Bundesregierung deshalb rigide und wirkungsvolle Maßnahmen.

"Die Armut wird nicht nur immer größer, sondern mit den explodierenden Preisen auch immer tiefer", so Schneider. Von zentraler Bedeutung seien "eine spürbare Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und Altersgrundsicherung von jetzt 502 auf 725 Euro, eine existenzsichernde Anhebung des BAföG und die zügige Einführung der Kindergrundsicherung".

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