Tarifabschluss bei der Post: Ein Ergebnis mit Fragezeichen

Ein harter Job und schlechte Bezahlung: Auch wenn der Laden brummt, darf man sich nicht zu viel erwarten. Aber verbieten die schweren Zeiten wirklich alles?

Zu Beginn der Tarifrunde mit dem Post-Konzern – noch vor der ersten Verhandlungsrunde – gab die Verdi-Gewerkschaft ihr Ziel bekannt:

Die Beschäftigten brauchen dringend einen Inflationsausgleich und sie erwarten darüber hinaus eine Beteiligung am Unternehmenserfolg.

Pressemitteilung Verdi, 5.1.23

Die Vorbereitung auf die Tarifrunde lief vorbildlich, mit großer Mobilisierung und Warnstreiks. Die Mitglieder stellten sich mit 85,9 Prozent bei der Urabstimmung hinter ihre Gewerkschaft und stimmten für einen Streik.

Statt zu streiken, setzte sich Verdi dann aber mit den Arbeitgebern zusammen und schloss ganz rasch einen Tarifvertrag ab, der weder einen Reallohnverlust verhindert noch eine Beteiligung am 8-Milliardengewinn der Post beinhaltet. Dieses Verhalten der Tarifkommission, die sich für ihren schnellen Erfolg lobte, wirft eine Reihe von Fragen auf.

Von Beginn an ein Abschluss à la IG Metall oder IG BCE angestrebt?

Auffällig ist, dass die Tarifkommission nach dem Abschluss von den ursprünglichen Zielen offenbar nichts mehr wissen will, wenn sie das Ergebnis schönrechnet und den Erfolg daran festmacht, dass die Gegenseite ihre Angebote verbessert habe:

Positiv sind die hohe Einmalzahlung im April, die Erhöhung der monatlichen Inflationsausgleichssonderzahlung um 20 Prozent gegenüber dem letzten Angebot der Arbeitgeber und das Vorziehen der tabellenwirksamen Festbetragserhöhung um acht Monate. Mit diesem Tarifergebnis wird unser wichtigstes Ziel, einen Inflationsausgleich insbesondere für die unteren Einkommensgruppen zu schaffen, nach den aktuellen Prognosen der zu erwartenden Preissteigerungsrate erreicht.

Andrea Kocsis, Verdi Pressemitteilung, 11.3.23

Die Inflationsausgleichssonderzahlung von 1.020 Euro gleicht aber den Reallohnverlust des letzten Jahres in keiner Weise aus. Über den teilt Verdi selber mit:

Die Tariferhöhungen in 2021 und 2022 blieben zusammen um fünf bis sieben Prozent hinter der Inflationsrate zurück.

Verdi, WiPo-Informationen, 1/23

Jetzt mag zwar rechnerisch die ab Mai vereinbarte Ausgleichssonderzahlung von 180 Euro der offiziellen Inflationsrate entsprechen, nur weiß auch die Gewerkschaft, dass die offiziellen Inflationsraten Durchschnittswerte darstellen und gerade Menschen mit geringem Einkommen, wie viele Postzusteller, von der Inflation stärker betroffen sind:

Inflation ist nicht für alle gleich. Die hohen und weiter steigenden Preise treffen Haushalte mit kleinen Einkommen und mit Kindern besonders stark.

WiPo, 1/23

Hinzu kommt:

Die "Inflationsprämien" sind zudem – ebenso wie die in den letzten Jahren vereinbarten Corona-Prämien und sonstigen Einmalzahlungen – nicht tabellenwirksam, das heißt sie erhöhen nicht die Ausgangsbasis für künftige Tariferhöhungen und mindern so dauerhaft die Lohnentwicklung und die Kaufkraft. Die Einmalzahlungen fallen weg, aber auch wenn die Inflationsraten in den kommenden Jahren wieder geringer werden, sinkt das Preisniveau insgesamt nicht.

WiPo, 1/23

Also stellen die Sonderzahlungen keine Erhöhung der Tariflöhne dar, ein dauerhafter Reallohnverlust wird damit festgeschrieben. Denn die Tariferhöhung von 15 Prozent war ja auf ein Jahr berechnet und nicht auf zwei Jahre. Eine Verlängerung der Laufzeit hatte Kocsis noch nach der dritten Verhandlungsrunde abgelehnt (Pressemitteilung Verdi, 10.2.23). Nun erfolgt die Tariferhöhung erst im nächsten Jahr und bemisst sich an Prognosen und nicht an den Notwendigkeiten der Beschäftigten.

Mit ihren unterschiedlichen Sonderzahlungen folgt Verdi jetzt ganz der Regierungslinie, an die sich auch die Schwestergewerkschaften von IG Metall und IG BCE gehalten haben. Mit den Steuer- und Sozialabgaben-freien 3.000 Euro als Abfindung für den Verzicht auf Lohnerhöhungen hat die Regierung die Maßstäbe für die deutschen Tarifrunde vorgegeben, die offenbar auch Verdi umsetzen will.

Sonst könnten ja noch – man stelle sich das vor – Verhältnisse wie in Frankreich oder Großbritannien einreißen, wo sich die Arbeitervertretungen um die Interessen ihrer Mitglieder kümmern, statt sich an die Regierungslinie zu halten.

Das Wort Abfindung ist hier übrigens wörtlich zu nehmen, sollen sich doch die Arbeitnehmer mit den Reallohnverlusten abfinden und auf einen Ausgleich verzichten, der den Reallohn auf Dauer sichert.

Die Gewerkschaften stellen sich so ihrer nationalen Verantwortung bei der Verhinderung des neuerdings wieder aufgetauchten Gespenstes einer "Lohn-Preis-Spirale". Diese Bezeichnung stellt – man erinnere sich nur an die beiden letzten Jahre – die Welt auf den Kopf, denn es waren die Preise, die auf breitere Front stiegen, und nicht die Löhne, die vielmehr der Entwicklung hinterherhinkten.

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