15-Minuten-Städte: "Klima-Lockdown" oder Lebensqualitäts-Booster?

Die Idee: Alles Wichtige in der smarten, neuen Stadt soll innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß oder auf dem Fahrrad erreichbar sein. Die nächste Debatte, die die Gesellschaft spaltet.

"Grüne wollen aus Hamburg 104 Dörfer machen!", titelte die Zeitung mit den großen Buchstaben Ende Februar, Dachzeile: "Damit wir unsere Autos abschaffen". Nun ist die Bild nicht unbedingt für nuancierte Betrachtungen bekannt. Doch gerade die sind vonnöten, wenn es um das hoch kontroverse Thema 15-Minuten-Städte geht, das mittlerweile auch Deutschland erreicht hat.

Die Viertelstunden-Idee

Die eingangs genannte Schlagzeile bezieht sich auf den Hamburger Landesparteitag am 25. Februar. Dort haben die Grünen-Mitglieder ihre Absicht erklärt, die urbane Infrastruktur der Hansestadt so umzubauen, dass "Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, Freizeitangebote, Bildungsstätten und idealerweise auch de[r] Arbeitsplatz" innerhalb einer Viertelstunde per Fahrrad oder zu Fuß erreichbar sind.

Als Vorbild dienen europäische Metropolen wie Paris und Barcelona. Die Hamburger Grünen erarbeiten entsprechende Ansätze seit Anfang des vergangenen Jahres, in der "Planwerkstatt 2030".

Den Vorwurf der Auto-Feindlichkeit weist der stellvertretende Landesvorsitzende Leon Alam, der den Plan für ein "lebenswertes Hamburg für alle" Ende Februar vorgestellt hatte, gegenüber t-Online zurück. Stattdessen formuliert der 26-Jährige positiv: Man wolle den ÖPNV ausbauen und attraktiver gestalten sowie den Weg zur generationenfreundlichen Stadt beschreiten, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist.

Es sind die ersten Vorboten einer Debatte, die noch deutlich an Fahrt gewinnen könnte. Das zeigt unter anderem der Blick ins Vereinigte Königreich.

Dort droht eine (weitere) Spaltung der Gesellschaft, in der sich "Öko-Faschisten" und "Verschwörungsideologen" unversöhnlich gegenüberstehen: Die einen berufen sich auf Klimaschutz und kollektive Harmonie, die anderen auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Die einen sehen sich als Kämpfer für einen besseren materiellen Lebensstandard, die anderen als Wächter ideeller Werte und Normen.

Handelt es sich nur um ein Missverständnis zwischen Fortschrittsblinden und Rückständigen? Welche Argumente bringen die Kritiker und Befürworter vor? Kehren wir dazu einmal zurück zum Ursprung der Viertelstunden-Idee.

Die "radikale" Überwindung des Öl-Zeitalters

Das Konzept der Viertelstunden-Stadt findet 2016 in einem Artikel des kolumbianisch-stämmigen französischen Stadtplaners Carlos Moreno erstmals Erwähnung.

Im auf die zeitliche Dimension ausgerichteten "Chrono-Urbanismus" erkennt der Sorbonne-Professor die Chance, das "Paradigma des Öl-Zeitalters" zu überwinden. Statt dem Auto soll wieder der Mensch im Zentrum der Stadtplanung stehen. Einzige Voraussetzung: die "radikale Transformation unseres Lebenswandels".

Moreno zufolge soll die 15-Minuten-Stadt die sechs "essenzielle[n] urbane[n] Sozialfunktionen" "Leben, Arbeiten, Versorgen [i.S.v. Ernähren], Kümmern, Lernen und Vergnügen" mit Hilfe dreier Merkmale in Einklang bringen, die er in einem TED-Talk vom November 2020 beschreibt1:

Erstens sollte der Rhythmus der Stadt den Menschen folgen, nicht den Autos [...]Zweitens sollte jeder Quadratmeter vielen verschiedenen Zwecken dienen. Und schließlich sollten die Stadtteile so gestaltet sein, dass wir in ihnen leben, arbeiten und gedeihen können, ohne ständig woanders hinpendeln zu müssen.

Carlos Moreno

Wirklich neu ist Morenos Idee nicht. Pläne für Stadtviertel, in denen die Einrichtungen des täglichen Bedarfs fußläufig beziehungsweise in kurzer Zeit erreichbar sind, gibt es mindestens seit 1929, als der US-amerikanische Stadtplaner Clarence Perry sein Konzept der "Neighbourhood Units" für New York vorstellte. Danach folgten "Walkable Cities", "Compact Cities" und schließlich auch die "20-Minute-Neighbourhoods" in der US-Stadt Portland Ende der 2000er.

Moreno war allerdings wie kein Zweiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und nicht nur das spielt eine Rolle.