Corona darf nicht sterben

Konstituierende Sitzung des neuen Landtags von Niederösterreich am Donnerstag in St. Pölten. Foto: © NLK/Filzwieser

Eine Volkspartei öffnet sich kruden Theorien: In Niederösterreich steht eine "Koalition" aus FPÖ und ÖVP im Landtag, die wohl Vorbote einer solchen auf Bundesebene ist.

Im zweitgrößten Bundesland Österreichs konstituierte sich am Donnerstag der neue Landtag – und die Sitzung darf als ungewöhnlich bezeichnet werden. Die Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner von der ÖVP, die in der vorherigen Legislaturperiode von 53 der 56 Abgeordneten gewählt wurde, schaffte ihre Wiederwahl mit den lediglich 24 Stimmen der eigenen Partei.

Möglich war dies, weil die FPÖ, die es im Wahlkampf fest ausgeschlossen hatte, Mikl-Leitner zur Landeshauptfrau zu machen, ungültig wählte. Laut Geschäftsordnung des Landtages ist dieser Schachzug legal – und somit reichte eine Minderheit der Abgeordneten zur Wiederwahl der ÖVP-Politikerin.

Eine tiefe Spaltung

Dem von ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer ausgegeben Kurs aufgerissene Gräben in der Gesellschaft wieder zuzuschütten, kommt man so nicht näher. Eher zeigt sich, wie tief diese sitzen, wenn sich ein Landtag im Grunde nicht einmal auf die Landeshauptfrau einigen kann.

Die Wahl der einzelnen Landräte sah nicht viel besser aus, die drei FPÖ-Landesräte erzielten ebenso kümmerliche Wahlergebnisse. Beim Vorsitzenden der FPÖ, Udo Landbauer, drohte es wiederum knapp zu werden. Landbauer hatte in der sogenannten "Liederbuchaffäre" behauptet, nichts davon mitbekommen zu haben, dass in seiner Burschenschaft Lieder geschmettert wurden, die die NS-Zeit verherrlichen.

Damit Landbauer die Hürde nehmen konnte und nicht am Übergewicht der Gegenstimmen scheiterte, wählten hier wiederum ÖVP-Abgeordnete ungültig. Eine kuriose, fast absurde Maßnahme, die zeigt, wie viel "Nähe" die ÖVP zur FPÖ verspürt und wie sehr man bereit ist, Wege bis hin zur Selbstaufgabe zu gehen.

Landbauer hatte die letzten beiden Wahlkämpfe seiner Partei um zwei Themen herum aufgebaut: "Anti-Asyl" und "Anti-Mikl-Leitner", wobei er auch nicht vor der Schmähung der Landeshauptfrau als "Moslem-Mama" zurückschreckte.

Die ÖVP schluckte das; und ein deutlicher Schritt nach rechts wird vollzogen, weil das alles anscheinend besser ist, als soziale Zugeständnisse an die SPÖ zu machen. Der aufgrund des Proporz ebenso in der niederösterreichischen Landesregierung vertretene SPÖ-Vorsitzenden Sven Hergovich hatte abschließend bei seiner Wahl zum Landesrat dann den Vogel abgeschossen: Ihn wählten sogar nur 15 Abgeordnete.

Ganz einfach wird es für die neue Landeshauptfrau nicht werden, die ehedem gerne den Konsens im Land betonte, mit einer Regierungsmannschaft zu arbeiten, die sich wechselseitig nicht gewählt haben und die aus ihrer Geringschätzung füreinander keinen Hehl machen.

Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Bewertung der Corona-Pandemie. Hier geht die FPÖ noch mehr als beim Asylthema auf vollen Konfrontationskurs. Teil des Arbeitsabkommens ist die Ankündigung eines 30 Millionen-Euro-Fonds, mit dem ungerechtfertigte Corona-Strafen zurückerstattet werden und Opfer der Impfkampagne entschädigt werden sollen.

Wie tief die Spaltung der neuen niederösterreichischen Landesregierung sitzt, zeigen dann die Regierungserklärungen von Mikl-Leitner (ÖVP) und Landbauer (FPÖ). Beide lesen aus dem Arbeitsabkommen derart verschiedene Dinge heraus, dass unklar ist, ob sie überhaupt vom gleichen Papier sprechen.

Landeshauptfrau Mikl-Leitner liefert ein "Gehen sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen". Sie bekennt sich vollmundig zum Kampf gegen den Antisemitismus, nachdem die Israelitische Kultusgemeinde vor Landbauer gewarnt hatte. Dabei behauptet die ÖVP-Politikerin, das Arbeitsabkommen mit der FPÖ habe diese Selbstverpflichtung jederzeit beinhaltet. Es kursieren aber Versionen, in denen diese Passage aus dem Arbeitsabkommen verschwunden war. Die FPÖ wird sie nicht vermisst haben.

Mikl-Leitners Blick mag bei der Regierungserklärung vielleicht auf dem üppigen Blumengebinde geruht haben, das Udo Landbauer bei der Landtagssitzung am Revers trug. Waren da auch Kornblumen im Mix? Jenes Geheimzeichen der in den 1920er-Jahren in Österreich verbotenen Nazis oder war dies nur ein harmloser Frühjahrsgruß Landbauers, der mehrmals bereist mit nazistischen Provokationen gespielt hat?

Der schwerwiegendste Knackpunkt wird dann von Mikl-Leitner scheinbar elegant entkräftet. Sie wisse nicht, warum sich alle so über die FPÖ-ÖVP-Zusammenarbeit aufregen würden. Im Arbeitsabkommen gäbe es den Beschluss, die Behandlung psychischer Probleme bei Kindern zu fördern. Das forderten andere auch; und es sei doch eine gute Sache.

Ja, nur die FPÖ und Landbauer meinen damit etwas ganz anderes. Sie wollen vorgeblich Schäden durch Corona-Maßnahmen "wiedergutmachen". Gemeint sind dann wohl Kinder, die durch die Impfung seelische Schäden erlitten haben sollen. Ein Klassiker der Impfgegner: Das Impfen mache krank, führe zum Masturbieren (Ist das eigentlich gut oder schlecht?) und dergleichen mehr, was sich alles nicht mit wissenschaftlichen Belegen unterfüttern lässt.

Statt Corona-Erkrankten und Long-Covid-Patienten zu helfen – oder auch psychisch Kranken allgemein und nicht nur, wenn man glaubt, sie ideologisch instrumentalisieren zu können – gibt es jetzt Geld für Legendenbildung und Aluhutbau.

Der FPÖ gelang es somit, stramm rechtes Gedankengut in das Regierungsabkommen einzuschleusen, das geflissentlich von der Landeshauptfrau überlesen wird. Diese Zusammenarbeit dürfte bemerkenswert werden und lässt Schlimmes befürchten.

Rechtes Steckenpferd Corona – ein fast vergessener Richtungswechsel

Die FPÖ war übrigens die erste Partei, die in Österreich einen Lockdown forderte. Anfang März 2020 war das. In üblicher Amalgamierung forderte damals der heutige Parteichef Herbert Kickl einen "Rot-weiß-roten-Anti-Corona-Schulterschluss". Es sollten die Grenzen "und zwar alle" geschlossen werden. In dieser Forderung darf der Markenkern der FPÖ vermutet werden. Zudem solle es auch in Europa bloß keinen "Green Deal" geben, sondern einen Corona-Deal.

In den frühen Tagen der Virusbedrohung überlegte die FPÖ offenkundig noch, inwieweit die Pandemie für die beiden Lieblingsthemen der Blauen, den Anti-Ausländerkurs und den "übertriebenen" Umweltschutz eingesetzt werden könnte.

Später drehte sich der Wind im dritten Lager und man war gegen das Einsperren und den "Wahnsinn" der Corona-Maßnahmen. Damit kam die Partei auf den Erfolgskurs zurück, nach den relativen Misserfolgen bei Wahlgängen infolge des Ibiza-Skandals.

In Österreich wurde kräftig gegen die Coronamaßnahmen demonstriert und ein überraschend breites gesellschaftliches Bündnis fand sich zusammen. Es waren Menschen, die gerne Blumen lauschten, Bürger, die genervt von den Maßnahmen waren und handfeste Ideologen. Das Thema schien offenkundig vielen so wichtig zu sein, dass sie sich nicht daran störten, gemeinsam mit gewaltbereiten Neonazis zu demonstrieren, die kräftig rot-weiß-rote Fahnen schwangen.

Wie ein eigentlich schal gewordenes Thema wieder aufgekocht wird

Mitte Januar 2023 präsentierte der Parteichef Herbert Kickl das Werk "Und die Schwurbler hatten doch Recht… DER Corona-Faktencheck" und forderte eine Entschuldigung der Politik wegen des Impfzwangs. Ein Tiroler Urologe schreibt in dem Buch von Tausenden Impf-Toten, die den Gesundheitsämtern bisher nicht bekannt wurden. Wenn die Republik Österreich einen Wandschrank mit Corona-Toten unter Verschluss hält, dann dürfte dieser also gut gefüllt sein.

Nun könnten nüchterne Beobachter den Eindruck gewinnen, in den Corona-Kämpfen seien der Worte genug gewechselt. Es hat Familien, Freundeskreise und Sportvereine auseinanderdividiert, weil eine rationale Erörterung ab dem Punkt nicht mehr möglich ist, wo sich zumindest die Vertreter einer Seite nur noch als Opfer einer Verleumdung und Vertuschung sehen.

Die Verschwörungsmutmaßenden (um an dieser Stelle nicht jenen vielfach falsch verwendeten Kampfbegriff zu verwenden) könnten einmal ins Abklingbecken steigen und sich die simple Frage stellen: Wer soll sich die unüberschaubar große Mühe machen einen ganze Wissenschaftsapparat zu fälschen und unzählige Mediziner zu bestechen, um eine Öffentlichkeit zu manipulieren, die ohnehin nicht sonderlich manipulationsresistent auftritt?

Rebellentum für Angepasste

Warum so viele Bürger ausgerechnet an diesem Punkt plötzlich kritisch und skeptisch werden, obwohl sie vielfachen, ganz offenkundigen Betrug am Gemeinwesen mit Schulterzucken quittieren, ist das wahre Corona-Geheimnis. Vielleicht, weil erstmals die ganze "Verarsche" greifbar zu werden schien? Wurde sie aber nicht. Was sich allein daran zeigt, wie harmlos aller Protest ins Leere lief, dessen geheimer Schlachtruf lautete: "Lasst uns endlich wieder ungehindert zur Arbeit gehen."

Die Corona-Streitereien schienen somit ganz natürlich zu versanden. Eine Art emotionales "Unentschieden", das beiden Seiten erlaubte, weiter zu munkeln, die anderen hätten übertrieben, denn so schlimm sei das Virus nicht gewesen, beziehungsweise so schlimm war die Impfung nicht. Versöhnlich wurde dann auch noch richtigerweise die eine oder andere Übersteigerung eingeräumt.

Aber eine gefährliche Saat war längst ausgestreut. Österreich erlebte eine mächtige Welle der "Wissenschaftsskepsis". Und die lässt sich traditionell sehr gut von rechten Demagogen einsetzen. Die FPÖ versucht deshalb mit allen Mitteln, das Thema auf möglichst großer Flamme am Köcheln zu halten.

Die ÖVP hat anfänglich versucht, dem gegenzusteuern und sich von der unwissenschaftlichen und allzu emotionalen Politik der FPÖ abzugrenzen. Dieser Versuch wurde nun offenkundig aufgegeben. Die Volkspartei zieht es einfach immer zuverlässig dahin, wo sie meint, Mehrheiten gewinnen zu können. Erfahrene Politik weiß: Gut belegbare Argumente sind ohnmächtig gegenüber Stimmungen.

Neben dem Bekenntnis zum Individualverkehr und dem festen Willen, das zu viele "Grün" in der Politik zu "reparieren", sind dies klare Richtungsentscheidungen der beiden Parteien, die wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen. Die Leugnung des Klimawandels ist ebenso wie die Coronaleugnung ein Geschöpf eben jener Wissenschaftsskepsis. Der Wähler hat immer Recht. Wer etwas nicht wahrhaben will, muss es auch nicht.

Dass es seit Wochen katastrophal wenig in Österreich geregnet hat, Flüsse und Seen austrocknen, muss nicht mit dem Individualverkehr, dem CO2-Ausstoß, der Bodenversieglung und sonstigen tiefen Eingriffen in die Natur in Verbindung gebracht werden. Es kann ja auch einfach nur Pech sein – und irgendwann wird es schon wieder regnen. Laut IPCC-Bericht des Weltklimarates könnte es dann schon zu spät sein.