Die Grünen als Ex-Ökopartei: Die Entfremdung geht weiter

Sanfte Schmähkritik: Robert-Habeck-Advendskalender. Foto: Tfjt / CC-BY-SA-4.0

Koalitionsausschuss hat der traditionellen Zielgruppe viel zugemutet. Gleiches gilt für deren eigenen Parteinachwuchs. Nächster Wahlkampf wird schwierig.

Volker Wissing (FDP) kann aufatmen: Niemand wird den Bundesverkehrsminister in dieser Legislaturperiode mehr nerven, weil die Sektorziele für den Klimaschutz in seinem Ressort nicht eingehalten werden. Denn die jährlichen Sektorziele und sektorbezogene Nachsteuerungspflichten haben die Ampel-Parteien in dieser Woche mal eben abgeschafft.

"Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden", heißt es im Beschlusspapier des Koalitionsausschusses. "Alle Sektoren leisten ihren Beitrag: Stromerzeugung, Industrie, Verkehr, Bauen und Wohnen sowie Landwirtschaft." Wenn es am Ende nicht passt, sind alle ein bisschen schuld und keiner so richtig.

Einen Großteil der Beschlüsse versucht selbst der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck nicht als Erfolg zu verkaufen. Er sei "nicht stolz drauf", sagte er bei Markus Lanz im ZDF.

Von einem "grünen Offenbarungseid" spricht die traditionell gern von der Zielgruppe der einstigen Ökopartei gelesene taz. Auch die Nachwuchsorganisation der Grünen ist not amused:

"Was wir brauchen: Tempo beim Klimaschutz", twitterte der Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus am Mittwoch – "Was wir bekommen - Tempo beim Ausbau klimaschädlicher Autobahnen". Dem Seniorpartner SPD und der FDP warf Dzienus "Tempo Richtung Klimakatastrophe" vor.

Seine eigene Mutterpartei ist allerdings nicht der kleinste, sondern der mittlere Koalitionspartner. Die Entfremdung an der Basis dürfte zunehmen. Wie die Grünen ihren nächsten Wahlkampf bestreiten wollen, nachdem sie zuletzt viele Stimmen aufgrund ihrer Klimaschutz-Versprechen bekamen, ist fraglich.

"Verwässerung des Klimaschutzgesetzes"

"Problematisch ist vor allem die Verwässerung des Klimaschutzgesetzes", meint der politische Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, Christoph Bals.

Die beabsichtigten Neuregelungen vergrößern das Risiko, dass wir unsere Klimaziele insbesondere im Verkehrssektor massiv verfehlen und dies über Jahre vertuschen. Der geplante beschleunigte Ausbau von Autobahnen passt nicht zu der Tatsache, dass im Verkehr schon jetzt die Kluft zwischen Klimaziel und Emissionen am größten ist.


Christoph Bals, Germanwatch

Pikant ist das vor allem, weil die vorherige Verschärfung des Klimaschutzgesetzes vom Bundesverfassungsgericht angemahnt worden war.

Bals kritisierte zudem das Fehlen von Beschlüssen, die "die Emissionen wirklich senken könnten" – etwa eine Umgestaltung des Dienstwagenprivilegs oder eine Bonus-Malus-Regelung bei der Kfz-Steuer.

"Es ist unfassbar", befand Luisa Neubauer, Noch-Mitglied der Grünen und bekanntestes Gesicht des Klimaschutz-Netzwerks Fridays for Future in Deutschland. Für den morgigen Freitag ab 14 Uhr ruft das Netzwerk zum Klimastreik vor dem Berliner Verkehrsministerium auf.

Laut Koalitionsbeschlüssen soll unter anderem der Ausbau von 144 Autobahnprojekten beschleunigt werden – immerhin mit der Verpflichtung, die Möglichkeit zum Bau von Solaranlagen in deren Randbereich zu nutzen. Auch sollen an Bahnstrecken neue Solaranlagen entstehen – und Windkraftanlagen neben Verkehrswegen.

Es gehe bei den Autobahnprojekten nicht um Neubau, "sondern es geht um sogenannte Engstellen-Beseitigung, also vorhandene Autobahnen, die repariert und ausgeweitet werden müssen", betonte in diesem Zusammenhang Habeck.

Allerdings muss es für den Verlust von Naturflächen keine Realkompensation auf anderen Flächen mehr geben. Stattdessen sollen sich die Investoren auch in Form einer Geldleistung von der Kompensationspflicht freikaufen können.

Der Deutschen Bahn stehen laut dem Beschlusspapier bis zum Jahre 2027 rund 45 Milliarden Euro zur Deckung ihres Investitionsbedarfs zu. Das Geld dafür soll unter anderem durch Erweiterung der Lkw-Maut um eine CO2-Komponente ab 2024 zusammenkommen. Die Maut greift dann zudem schon für kleine Lkw ab 3,5 Tonnen. Für "emissionsfreie" Lkw soll es bis Ende 2025 eine Befreiung von der Maut geben, danach einen Rabatt von 75 Prozent. Ausnahmen sollen unter anderem für Handwerker gelten.

Bekräftigt hat der Koalitionsausschuss, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein soll – der europäische Emissionshandel und dessen geplante Ausweitung auf weitere Sektoren sollen dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Beim Heizungswechsel soll laut Koalitionsbeschlüssen "niemand im Stich gelassen" werden. Es werde geprüft, wie der jeweilige Umbau "gezielt und bürokratiearm aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziell gefördert werden kann", heißt es.