60 Jahre LSD-Experimente - Operation Erleuchtung

LSD-Therapieprotokoll, Patient Ronald Rippchen, Behandelnder Therapeut: Dipl.-Psych. T. Barth

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ronald Rippchen, Autor von Operation Erleuchtung: 60 Jahre LSD-Experimente, ist bekannt vor allem durch seinen Bestseller "Jonglieren Leicht gemacht" und seine Kolumne KPD (Kräuter, Pillen, Drogen) in der Tageszeitung taz in den 1980er-Jahren, gesammelt in seinem Buch "Heiter weiter". Er gab neben dem Hanf-Lesebuch "Reefers Digest" auch das Drogen-Notfall-Hilfsbuch "Was? Tun!" heraus.

In seinem neuen Buch arbeitet er die Schattenseiten der Drogenwelt auf, die Erforschung etwa von LSD durch Militärs und Geheimdienste und stellt die positiven Aspekte dagegen: LSD in der Psychotherapie. Das folgende Therapieprotokoll ist fiktiv, der Text ist aber aus Gesprächen mit dem Buchautor entstanden und von diesem autorisiert.

Dipl.-Psych.: Montag 18.Oktober 2010, 8 Uhr 15, Patient Ronald Rippchen, 123 Milligramm Sandoz LSD-25 oral auf nüchternen Magen.

Guten Morgen Herr Rippchen, wie geht es Ihnen heute?

Roland Rippchen: Gut! Mir geht's als Versuchskaninchen immer gut. Ist ja auch Qualitätsstoff.

Wir wollten heute über Ihren Text sprechen, den Sie mir bei der letzten Sitzung gegeben haben.

Roland Rippchen: Operation Erleuchtung.

Ja, genau, Operation Erleuchtung.

Roland Rippchen: Das musste ich mir mal von der Seele schreiben, aber jetzt bin ich auch fertig mit dem Thema, sollen sich mal andere darum kümmern, ich hab ja auch noch anderes zu tun, helfe derzeit meinem Chef bei seiner Kampagne zur Abschaffung aller Kriegerdenkmäler, wie auch bei seinem Buch über Glühwürmchen.

Bleiben wir noch einen Moment bei Ihrem Text. Ich habe die hundert Seiten gelesen, eine sehr prägnant formulierte Abrechnung mit der Drogenforschung. Warum haben Sie das geschrieben?

Roland Rippchen: Ich hatte dieses Buch von Hank Albarelli gelesen.

A Terrible Mistake, The Murder of Frank Olson and the CIA's Secret Cold War Experiments von 2009?

Roland Rippchen: Ja, genau, ein 900-Seiten-Schinken auf Englisch. Das hat mich doch ganz schön schockiert, was da beim CIA für Schweinereien gelaufen sind mit LSD.

Was hat Sie erschrocken?

Roland Rippchen: Dass nicht nur ich da so große Wissenslücken hatte, so naiv war.

Vieles war ja schon unter dem Stichwort Artischocke bekannt geworden, das Buch von Koch und Wech vor acht Jahren…

Roland Rippchen: Das hatte ich nicht so ernst genommen, die Quellenlage war ja reichlich unklar, kam mir wie eine weitere Verschwörungstheorie vor. Jetzt bei Albarelli sind nach 50 Jahren Sperrfrist einige alte Dokumente freigegeben worden, mit horrigen Details über eine Substanz, die ich auch Jahre lang mit innerer Überzeugung verteilt habe.

Wie stehen Sie heute dazu?

Roland Rippchen: Ich habe einige hundert Trips genommen, in Heidelberg damals, Heidelberger Blitze und Darmstädter Drops. Wenn Set und Setting stimmen, gibt's keinen Horrortrip. Aber diese Militär-CIA-Geheimdienstler missbrauchten LSD als "Wahrheitsdroge", zur Gehirnwäsche, für Auftragskiller, als Chemiewaffe gegen die Bevölkerung.

In der französischen Kleinstadt Pont-Saint-Esprit, nördlich von Arles, kam es z.B. am 16. August 1951 zu einem Massen-Freak-Out. Das Time Magazin berichtete, die Opfer seien ins Delirium gefallen, hätten in ihren Betten getobt und geschrien, aus ihren Körpern würden rote Blumen sprießen, ihre Köpfe hätten sich in geschmolzenes Blei verwandelt usw. Es gab etliche Selbstmordversuche und am Ende fünf Tote.

Man schob es offiziell auf Quecksilber im Brot, aber es sah nach einer Mutterkorn- bzw. Ergot-Vergiftung aus, dem klassischen Antoniusfeuer, Veitstanz. Ergot ist Grundsubstanz für LSD. Jetzt wurde bekannt, dass Frank Olsen, ein CIA-Fachmann für das Verbreiten von Drogen als Aerosole, und seine Kollegen just zur selben Zeit in Südfrankreich waren.

Zwischen der Chemiefirma Sandoz und dem CIA wurde in der Folgezeit über "den französischen Vorfall" diskutiert. Selbiger Olsen gestand seiner Frau: "Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht!“, wollte wohl aussteigen. Seine CIA-Kumpel haben ihn bearbeitet - ihn ohne sein Wissen unter LSD gesetzt - und dann war er eines Nachts plötzlich nicht mehr in seinem New Yorker Hotelzimmer im 12. Stock, sondern lag tot unten auf der Straße. Did he jump or was he pushed? Er müsse wohl durchs Fenster gesprungen sein, ließ die CIA verbreiten - aber warum lagen die Scherben des Fensters im Zimmer?

Ist in Heidelberg auch jemand aus dem Fenster gestürzt?

Roland Rippchen: Blödsinn. So leicht passiert das nicht. Ich selbst bin ja gerne mit LSD-Dealern auf den Turm der Heilig-Geist-Kirche geklettert. Wenn du hundert Trips kaufen wolltest, wurde vorher erstmal einer vom Anbieter und vom Interessenten gemeinsam genommen, dann ging's rauf auf die Aussichtsplattform. Da oben hat man einen berauschenden Blick. Ich wusste ja, wie ich wieder runter komme, aber manch einer von denen ist doch lieber ein paar Stunden da oben geblieben und hat das bis heute nicht vergessen.

Schwindelgefühle, Desorientierung?

Roland Rippchen: Naja, manchmal wurde einem schon schwulmulbel, aber deswegen springt man nicht gleich aus dem Fenster. Olson plagten wohl Schuldgefühle wegen der vielen Todesopfer bei CIA-Experimenten, an denen er beteiligt war, auch in Deutschland. Die Amis hatten ja Nazi-Wissenschaftler in die USA geholt, die in Dachau verbrecherische Drogentests an Häftlingen durchgeführt hatten, neben Folter, Pest- oder Milzbrand und so weiter. Viele der übelsten Nazi-Verbrecher konnten im Kalten Krieg da weiter machen, wo sie hier 1945 gestoppt wurden. Korea-Krieg, später Vietnam, da hatte man viele ohne ihr Wissen mit LSD bearbeitet, aber die haben ja auch Biowaffen an der eigenen Bevölkerung getestet.

Das "Neue Zeitalter" wurde von den Nazis ausgerufen

Wie passt Albert Hofmann in diese Geschichte? Auch er soll ja Wochen nach dem Ausbruch in Pont-Saint-Esprit mit seinem Sandoz-Chef in Südfrankreich gewesen sein.

Roland Rippchen: Albert Hofmann war für mich immer wie eine Art Lieblings-Onkel. "LSD - mein Sorgenkind", der Titel seines Buches, ist auf dem Mist seines Verlegers gewachsen. Albert hat mir selbst – wiederholt! – erzählt, dass LSD eigentlich ein Lieblingskind sei. Nicht dass seine Arbeit auf LSD beschränkt war, seine Forschungen gingen viel weiter, haben Sandoz viele Millionen Fränkli eingebracht – doch LSD blieb sein chemisches Lieblingskind.

Am 8. Mai 1995, 50 Jahre nach der Kapitulation unserer Väter, war er in Heidelberg, hielt in der Neuen Synagoge einen Vortrag "Der große Sender ist die Wirklichkeit" über 50 Jahre LSD. Da verglich er die Atombombe in ihrer Energiefreisetzung mit dem LSD im Vergleich etwa mit Meskalin. LSD als erhellendes Psychopharmakon auf dem Weg in ein mögliches neues, geistiges Zeitalter, so sah er es, LSD als Hilfsmittel zum Erkennen der Schönheit, des Wunders, der Majestät der Schöpfung.

Das klingt nach spirituellen...

Roland Rippchen: Nee, mit New Age hat das nichts zu tun; das "Neue Zeitalter" wurde von den Nazis ausgerufen, nicht von den Psychedelikern. Man wird heute zu schnell zum Guru verklärt. Das ist nicht mein Ding. Am Ende wirst du dann wie Timothy Leary zum "LSD-Papst", ein Beweis für die Realitätsferne der Gegner. Leary war alles andere als päpstlich-autoritär, wie schon sein Slogan "Question authority, think for yourself" beweist. Er hatte auch nix dagegen, dass ich seinen Namen mal als Pseudonym benutzte, dem Papst würde das weniger gefallen, glaube ich.

Die CIA hat Leary 1972 widerrechtlich in Kabul gekidnappt und eingebuchtet, Nixon hielt ihn für den "gefährlichsten Mann der Welt". Die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indizierte 1981 sein Buch "Politik der Ekstase" für 25 Jahre, weil es die, Zitat, "Aufforderung, LSD zu rauchen" enthalte. Manche Paranoiker behaupten heute noch, Leary wäre ein CIA-Agent gewesen, der die rebellische Jugend mit Drogen vollpumpen sollte. Terence McKenna hat mal gesagt: "LSD erzeugt psychotisches Verhalten in denen, die es nie genommen haben."

In der CIA-Kiste liefen wirklich menschenverachtende Dinger

Psycho...

Roland Rippchen:: Psychiatrie ist übel. Einmal hab ich betript einen Typen in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie besucht, und der fragt mich glatt, ob ich für ihn auch noch was hätte. Ich konnte unter LSD nicht lügen und gab ihm einen Trip. Der blieb Monate länger drin deswegen. Er hat mir zwar später "verziehen" - aber das war echt Scheiße von mir, denn ich wusste ja, was bei schlechtem Setting laufen kann.

In der CIA-Kiste, da liefen wirklich menschenverachtende Dinger. Wir haben damals noch gelacht, über den CIA-Mike in der Szene, von dem wussten alle, der ist beim CIA; keine Ahnung, was der da damals seinen Herren über uns berichtet hat. Deren Programm MK-ULTRA kannten wir nicht. In Fort Detrick, Maryland, haben ab 1952 rund 600 Wissenschaftler an biologischen Waffen gearbeitet, Gifttabletten, Giftpfeile, Waffen gegen Getreide und Tiere – damit die Welt endlich begreift, dass im Kommunismus gehungert wird - und über 200 Freilandversuche.

Die Nazis waren dabei nicht die ersten: schon 1880 infizierte ein US-Arzt zwölf junge Hawaianerinnen mit Lepra, im Jahr 1900 gab es US-Menschenexperimente mit Pest auf den Philippinen, 1906 mit Cholera, ab 1949 dann 26 Tests mit Nervengiften. 1950 brach in San Francisco eine rätselhafte Seuche aus: Lungenentzündung mit Grüßen von der CIA. 1954 Keuchhusten, von 1955-77 Operation WHITECOAT: Q-Fieber, Milzbrand, Hasenpest, Bauchtyphus, Meningitis. Ab 2004 wurde unter Bush das Project Bioshield gestartet, das auch die Drogenforschung wieder aufleben ließ, angeblich zur Abwehr von Bioterroristen.

Das alles ist übel. Aber "Operation Erleuchtung" heißt ja auch: positive LSD-Therapien, Stanislaw Grof, John C. Lilly, Claudio Naranjo usw. In den USA, Israel, der Schweiz laufen neue LSD-Studien an, z.B. zur Heilung des Posttraumatischen Stresssyndroms, die Psychedelik steht weltweit am Beginn einer Renaissance - nicht zuletzt, weil die Kriege im Irak und Afghanistan Tausende von psychisch tiefst verstörten, in der täglichen Realität nicht mehr funktionsfähigen Ex-Soldaten der USA produzieren.

Aber uns wird dann vom Chemie-Professor David Nichols vorgehalten: "Dieses ganze Hippie-Ding der 60er und der Medientrubel jener Zeit hat in der Öffentlichkeit einen schlechten Geschmack hinterlassen." Aber dieses Hippie-Ding geschah immerhin freiwillig, wissend und oft positiv bewusstseinsbewegend. Was für ein Nachgeschmack bleibt, wenn man von Saint-Pont-Esprit, Frank Olson und MKULTRA weiß, Dr.Nichols?! Und der "Horror-Trip" eine üble Wort-Schöpfung des CIA aus den 50ern ist? Da kann man das geistige Kotzen kriegen.

Vielen Dank, Herr Rippchen, unsere Zeit ist um.

Roland Rippchen: Nun, Ihre vielleicht - meine noch lange nicht!