650 Sichtungen: Ufo-Anhörung vor US-Senat
Zwischenbilanz des neu ausgerichteten Ufo-Untersuchungsprogramms, das wissenschaftliche Prinzipien reklamiert: "Wir folgen den Daten, ganz gleich, wohin sie uns führen." Seltene anormale Phänomene.
Zum mittlerweile dritten Mal haben sich die Verantwortlichen der neuen Ufo-Untersuchungseinheit des US-Verteidigungsministeriums vor Vertretern des US-Senats zum Stand ihrer Untersuchungen von Sichtungen unidentifizierter Flugobjekte und Phänomene (Ufos/UAP) durch Angehörige des US-Militärs und der Geheimdienste geäußert.
Am vergangenen Mittwoch war es nun der Leiter der im Juli 2022 neu formierten All-Domain Anomaly Resolution Office (AARO), Sean Kirkpatrick, der sich den Fragen von Mitgliedern des United States Senate Committee on Armed Services unter dem Vorsitz der New Yorker Senatorin Kirsten Gillibrand stellte.
Als Unterbehörde des Verteidigungsministeriums untersucht das AARO anomale Objekte und Phänomene in allen Domänen, also sowohl im Weltraum, in der Luft wie auch unter Wasser.
Neujustierung der Ortungsalgorithmen
Zunächst unterstrich Gillibrand erneut, dass erst durch die Anpassung der Radarsysteme mittlerweile auch Flugobjekte detektiert werden, die sich jenseits der Flugparameter konventioneller und bekannter Flugzeuge verhalten.
Zuvor wurden Radarziele mit exotischem Flugverhalten, etwa extrem schnelle oder langsame Geschwindigkeiten, Stillstand, 90-Grad-Winkel, Zickzack-Flüge, aber auch Objekte auf ungewöhnlichen Flughöhen, von den Systemen im Sinne der Überschaubarkeit der Radaranzeigen automatisch aussortiert.
Auch in Europa und Deutschland wird mit solchen "Ufo-Ortungen" auf diese Weise verfahren. Trotz der neusten Anpassungen der US-Systeme sieht man hingegen in Deutschland für eine ähnliche Neujustierung der Ortungsalgorithmen derzeit keinen Grund.
"Etwas mehr als drei Dutzend Experten"
In seinen Ausführungen zur Arbeit des AARO erläuterte Fitzpatrick, der zuvor als Chefwissenschaftler im Missile and Space Intelligence Center der Defense Intelligence Agency (DIA) tätig war, dass seine Behörde über einen Stab von "etwas mehr als drei Dutzend Experten" verfüge, die Ufo/UAP(Unidentified Anomalous Phenomena) – Sichtungsmeldungen von Angehörigen des US-Militärs und der Geheimdienste, vorrangig aber Meldungen von Piloten von Navy und Air Force, untersuchen.
In den vergangenen neun Monaten seit der Neuausrichtung des Ufo-Untersuchungsprogramms sei es mittlerweile gelungen, "die internen UAP-Meldeprozedere innerhalb des Verteidigungsministeriums zu standardisieren und einen Rahmen für gründliche wissenschaftliche wie geheimdienstliche Analysen zu etablieren".
Darüber hinaus arbeite das AARO weiterhin intensiv an der vom Kongress geforderten, bis in Jahr 1945 zurückreichenden historischen Aufarbeitung der Akten zu früheren UAP/Ufo-bezogenen Projekten.
Die Untersuchungen des AARO sieht deren Leiter ausschließlich wissenschaftlichen Prinzipien verpflichtet. Ziel sei die Untersuchung von Ufo-Sichtungsmeldungen und deren Aufklärung:
Dabei folgen wir keinen Vermutungen, sondern den Daten – ganz gleich, wohin diese uns führen.
Kleiner Anteil von anormalen Signaturen
Kirkpatrick unterstrich zugleich, dass "bis heute nur ein kleiner Anteil von UAP-Sichtungsberichten Signaturen beinhaltet, die tatsächlich auch als anormal bezeichnet werden können. Die Mehrheit der an AARO gemeldeten unidentifizierten Objekte zeigen gewöhnliche Eigenschaften etwa von Ballons, unbemannten Flugsystemen, Verunreinigungen des Luftraums (sog. clutter), natürlichen oder anderweitig erklärbaren Phänomenen".
Ebenso betonte der AARO-Chef ausdrücklich, "dass AARO bislang keine glaubwürdigen Beweise für außerirdische Aktivitäten, Technologie oder für Objekte gefunden hat, die den bekannten Gesetzen der Physik widersprechen".
Gänzlich ausschließen möchte er aber auch diese Option nicht und verweist auf den Umstand, dass man mit den Untersuchungen erst am Anfang stehe.
In jenen Fällen, in denen zu einem UAP (Unidentified Anomalous Phenomena, deutsch: Nicht identifizierte anomale Phänomene; Einf. d. Red.) ausreichend Daten erbracht werden könnten, die nur durch eine außerirdische Herkunft erklärt werden können, sind wir der innerbehördlichen Zusammenarbeit mit unseren Partnern bei der Nasa verpflichtet, um sodann in angemessener Weise die Führung der US-Regierung über diese Entdeckungen zu informieren.
Sean Kirkpatrick
Bislang liegen der AARO demnach etwas mehr als 650 Sichtungsmeldungen vor, die nach unterschiedlichen Kriterien priorisiert, untersucht und bewertet werden. Am wichtigsten seien hierbei Sichtungen durch Piloten, da diese meist auch mit zusätzlichen wichtigen Daten der Bordsensorik (visuelle Kameras, Radar, Wärmebild etc.) einhergehen.
Zu diesen Fällen präsentierte Kirkpatrick eine Infografik (siehe ganz oben am Artikel), die bisherige Trends der Untersuchungsergebnisse darstellt. Demnach komme es erwartungsgemäß zu den meisten UFO-Sichtungen durch Piloten innerhalb der Flughöhen konventioneller Flugzeuge, also bis zu 10.000 Metern Höhe.
Zum Vergleich: Höhenballone wie der im Februar 2023 über den USA abgeschossene "China-Ballon" bewegen sich doppelter bis dreifacher Höhe. Auch die geografische Verteilung von Ufo-Hotspots bilde eher jene Orte ab, an denen sich auch gehäuft Beobachtungs- und Einsatzorte von US-Militär und -Geheimdiensten finden, als dass es sich um eine tatsächliche Ballung von Ufo-Sichtungen in diesen Regionen handele.
Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der von den US-Piloten gemeldeten Ufos bzw. UAP sei als rund, kugelförmig oder Sphäre beschrieben worden. Entsprechend fasst die Grafik denn auch die "typischen, von den Zeugen berichteten UAP-Eigenschaften wie folgt zusammen:
"(…) meist rund; 1 bis 4 Meter groß, weiß, silbrig, durchsichtig bis metallisch. (Die Objekte) bewegten sich auf bis zu 30.000 Fuß mit Geschwindigkeiten von stillstehend bis zu Mach 2 (rund 2.500 km/h) und weisen keine thermalen Abgaben (Abgase usw.) auf". Zudem liegen "typischerweise teils unterbrochene Radarechos, Radiosignale und thermale Signaturen dieser Objekte vor".
Als Beispiele für die untersuchten Fälle zeigte Kirkpatrick dann zwei hierzu freigegebene Videos, die von US-Drohnen vom Typ MQ-9 (so. Reaper) 2022 in einem nicht weiter genannten Einsatzgebiet im Nahen Osten und 2023 im südasiatischen Raum aufgenommen wurden: Video 1 (Naher Osten 2022) und Video 2 (Südasien 2023).
Während das Video eines metallisch wirkenden kugelförmigen Objekts von 2022 aufgrund mangelnder Daten bislang nicht erklärt werden konnte und der Fall weiterhin als "aktiv" geführt werde, konnte das Objekt im Video von 2023 als Hitzesignatur eines entfernten Passagierflugzeugs identifiziert werden, die jedoch zunächst aufgrund technischer Effekte und Bildstörungen nicht als solche erkannt wurde.
Erwartungsgemäß streiten sich Ufo-Forscher und -Skeptiker seit der Veröffentlichung des "Kugel-Videos" über dessen Aussagekraft: Während die einen darin einen Beleg für ein gänzlich unkonventionelles Flugobjekt sehen, dem jegliche aerodynamischen Eigenschaften fehlen (Metallkugel ohne erkennbaren Auf- und Antriebe), sehen Skeptiker darin lediglich einen Folienballon und schreiben die gezielt wirkende schnelle Flugbewegung dem perspektivischen Paralaxen-Effekt zu, der diese Eigenbewegung des Objekts vor dem Hinter- bzw. hier dem Untergrund nur vortäuscht.
Unabhängig von dieser Diskussion zeigt das Video aber nicht nur, dass besagte Reaper-Drohnen (MQ-9) derartige Objekte offenbar immer wieder in dieser Region dokumentieren (schon im Januar wurde eine ähnliche Aufnahme veröffentlicht), sondern auch, dass diese Drohnen diese Objekte offenbar auch gezielt detektieren und visuell verfolgen (können).
Zugleich offenbarte Sean Kirkpatrick aber auch weiterhin existierende Einschränkungen der Möglichkeiten seiner Untersuchungen und bemängelte, dass AARO lediglich über die Informationsfreigabestufe "Title 10 Authoritiy" verfüge.
Kritik: Stark begrenzter Zugang zu Regierungsquellen
Entsprechend hat das AARO also nur bedingt und zugleich stark begrenzten Zugang zu bestimmten Informationen bestimmter Regierungsquellen hat. Ein vollständiger Informations- und Datenzugriff gilt erst ab Stufe "Title 50 Authority".
Auf diese Weise bleiben der AARO mit Stufe 10 zahlreiche Regierungsquellen, etwa zu Geheimoperationen und zahlreichen Geheimdienstquellen, verwehrt. Senatorin Gillibrand sicherte indes zu, dies mit dem nächsten US-Verteidigungshaushaltsgesetzt (NDAA‘24) ändern zu wollen.
Weiterhin arbeite das AARO an der Umsetzung des ebenfalls vom US-Kongress im vergangenen Verteidigungshaushalt festgelegten UAP-Whistleblower-Gesetzes, innerhalb dessen Vorgaben es ehemaligen oder aktiven Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von US-Ufo-Untersuchungsprogrammen ermöglicht werden soll, sich an das AARO zu wenden und unbefangen von eventuell existierenden Verschwiegenheitsverpflichtungen über Ihre Tätigkeiten zu berichten.
Hierzu hätten bereits mehr als 20 AARO-Anhörungen mit diesen Zeugen stattgefunden, – darunter Militärzeugen von Ufo-Erscheinungen über US-Nuklearstützpunkten. Auch die Umsetzung eines öffentlichen Webportals, dassüber die Arbeit und jene Ergebnisse der AARO informieren soll, die für die Öffentlichkeit freigegeben ("declassified") werden können, sei in Arbeit und warte derzeit auf eine Freigabe durch den Under Secretary of Defense for Intelligence & Security (USD/I&S).
Auf die erneute Nachfrage, wie viele UAP man bislang untersucht habe und wie viele erklärt werden konnten, führte Kirkpatrick aus:
Unser letzter Bericht vom Januar dieses Jahres erklärte, dass es sich damals bei etwa der Hälfte der Fälle (damals rund 150) wahrscheinlich um Ballons oder um Ballon-artige Objekte oder etwas Ähnliches gehandelt habe. Das bedeutet aber nicht, dass alle diese Fälle damit auch erklärt wurden.
Sean Kirkpatrick
Zugleich verwies er aber auf den nächsten vierteljährlichen AARO-Bericht, der schon bald erscheinen soll, sowie auf den nächsten Jahresbericht seiner Einheit, der laut Kongressvorgabe im Sommer erscheinen muss. Diese Berichte sollen dann weitere erste Ergebnisse und Abschlussberichte der laufenden Analysen beinhalten – ob öffentlich oder in klassifizierter Form bleibt abzuwarten.
Den vollständigen Mitschnitt der Senatsanhörung finden Sie auf der Webseite des United State Senate Committee on Armed Services.
Andreas Müller, Jahrgang 1976, studierte Kommunikationsdesign an der HBK Saar und arbeitet als Journalist mit Schwerpunkt anomalistischer Phänomene. Er ist Herausgeber des Nachrichtenportals GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi), in dieser Position assoziiertes Mitglied am Interdisziplinären Forschungszentrum für Extraterrestrik (IFEX) an der Universität Würzburg und Autor des im Oktober 2021 erschienen Buches Deutschlands Ufo-Akten – Über den politischen Umgang mit dem Ufo-Thema in Deutschland.