9-Euro-Tickets: Warum es klare Ziele braucht

Bild: S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

Sollen mehr Autos von der Straße oder soll der Tagesausflug günstig werden? In der Diskussion über das beliebte Ticket und seinen potenziellen Nachfolgern sind noch zentrale Fragen offen. Aktuelle Studien liefern Hinweise.

Das 9-Euro-Ticket läuft Ende August aus, doch die Debatte um ein mögliches Folgeangebot ist im Gange. Die SPD im Bundestag drängt nun auf eine zügige Klärung.

Die aktuelle Debatte zeige, dass sich Bund und Länder zeitnah an einen Tisch setzen müssten, sagte jetzt der SPD-Fraktionsvize Detlef Müller der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Aus seiner Sicht sollte es noch im Augst eine Sonderkonferenz der Verkehrsminister geben, bei der auch darüber beraten werden solle, wie die gestiegenen Betriebskosten abgefedert werden könnten.

Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) drängt auf ein Nachfolgemodell. Die Politik und die Verkehrsverbände müssten eine dauerhaft kostengünstige und diskriminierungsfreie Mobilität für alle garantieren, erklärte die Organisation am Donnerstag in Berlin.

"Das 9-Euro-Ticket war und ist ein großer Erfolg. Ein preiswerter ÖPNV ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch sozialpolitisch dringend erforderlich", erklärte BAGW-Geschäftsführerin Werena Rosenke. Arme und wohnungslose Haushalte seien besonders auf einen preiswerten Nahverkehr angewiesen. Auch sie müssten oft weite Strecken zurücklegen, doch viele könnten sich die "normalen" Ticketpreise nicht leisten.

Die Bahngewerkschaften sprachen sich erneut gegen eine Verlängerung aus und wiederholten ihre Kritik. "Das 9-Euro-Ticket kann so nicht fortgeführt werden", sagte am Donnerstag der Vizevorsitzende der Gewerkschaft EVG, Martin Burkert. Die Belegschaft habe die Belastungsgrenze schon teilweise überschritten.

Ticket für Großstädter und Touristen

Ähnlich äußerte sich der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky. "Mit diesem Neun-Euro-Ticket, mit dem eigentlich die Pendler entlastet werden sollten, haben wir zusätzlichen Verkehr in die Eisenbahn hineingebracht, zusätzliche Reisenden-Anstürme". Das tue dem System nicht gut, weil es ohnehin schon auf Verschleiß gefahren werde.

Weselsky sprach sich zwar für ein bundesweites Nahverkehrsticket zu einem vernünftigen Preis aus. Doch dieses müsse in erster Linie Pendlern zugutekommen. Viele von ihnen seien durch das 9-Euro-Ticket abgeschreckt worden, weil seinetwegen Touristenströme zur Ostsee transportiert worden seien. Manche hätten sich deswegen sogar von der Bahn abgewandt, behauptete er.

Die Aussage, dass das 9-Euro-Ticket weniger von Pendlern als von Touristen genutzt wurde, deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie der Universität Kassel. Von den über 2.300 befragten Personen gaben rund 80 Prozent an, das Ticket für Tagesausflüge nutzen zu wollen. Besuche bei Verwandten, Freunden und Bekannten gaben demnach 60 Prozent an. Für Urlaube oder touristische Kurzreisen wollten es 55 Prozent nutzen.

Die Studie zeigte zudem, dass das 9-Euro-Ticket vorwiegend von Menschen in den großen Städten genutzt wurde. Ein entscheidendes Kriterium für die Nutzung des Tickets sei "die Bewertung des ÖPNV-Angebots". Je größer die Stadt, desto besser ist der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und desto höher die Nachfrage nach dem Ticket.

In Städten mit über 100.000 gaben 89 Prozent der Befragten an, sich das Ticket gekauft zu haben oder es kaufen zu wollen. In Städten mit bis zu 5.000 Einwohner waren es nur noch 75 Prozent. Und wo kaum öffentlicher Nahverkehr vorhanden ist, wollten sich nur 53 Prozent der Befragten das Ticket kaufen.

Marginal weniger Autoverkehr

Die Technische Universität München hat die Wirkung des 9-Euro-Tickets exemplarisch für die Metropolregion München untersucht. Für die Studie nutzen rund 1.000 Personen jeglichen Alters eine spezielle Handy-App, mit der Wege und Verkehrsmittel registriert werden.

Eine erste Auswertung hat demnach gezeigt, dass 35 Prozent der Teilnehmer öfter mit dem ÖPNV unterwegs sind als vor der Einführung des 9-Euro-Tickets. Rund 22 Prozent der Teilnehmer ist vorher überhaupt nicht mit Bus und Bahn unterwegs gewesen.

In München hat das Ticket zu weniger Autoverkehr geführt. Zum ersten Mal hat es demnach im Juni weniger Verkehr auf den Straßen gegeben als im Mai; es wurde ein Rückgang von drei Prozent festgestellt. Üblich ist sonst eine Zunahme von drei Prozent von Mai zu Juni. Das Ergebnis klinge "vielleicht zunächst nach einem kleinen Unterschied", betonte Studienleiter Allister Loder; doch "dass es diese Änderung im Jahreszeitraum gibt, ist außergewöhnlich".

Würde Weselskys Vorschlag umgesetzt und der Nutzen des Tickets auf Pendler begrenzt, dann könnten arme Menschen einmal mehr auf der Strecke bleiben. Denn sie müssen sich in erster Linie die Fahrten von "der Tagesstätte zur Unterkunft, von der Beratungsstelle zum Amt oder zum Arzt" leisten können, argumentiert die BAGW.

Arme Menschen werden durch 9-Euro-Ticket erheblich entlastet

Auch das wird durch eine Studie der Technischen Universität Hamburg bestätigt. Die Wissenschaftler befragten gezielt Menschen mit einem Einkommen von weniger als 900 Euro im Monat. Eine bisherige Erkenntnis: "Einkommensarme Menschen fahren kürzere Strecken und sind seltener unterwegs als Menschen mit höherem Einkommen".

Aber auch manche der diskutierten Nachfolgemodelle können sich arme Menschen kaum leisten, unter anderem ein Monatsticket für 69 Euro. Dagegen wäre das 365-Euro-Jahresticket oder das Monatsticket für 29 Euro eine Erleichterung für sie.

Im Regelsatz der Grundsicherung sind im Monat bislang 40,27 Euro für Verkehr vorgesehen. Doch die Mehrheit der Betroffenen überschreite dieses Budget fast um das Doppelte, so die Forscher. Und sie schließen daraus, dass der ÖPNV bislang viel zu teuer ist für arme Menschen.

Zwar gebe es die Möglichkeit, auch in Städten wie Hamburg billiger unterwegs zu sein. Doch "dann muss ich mich aber den Sperrzeiten und Zonengrenzen unterordnen", sagte Christoph Aberle, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verkehrsplanung und Logistik an der TU Hamburg.

Auch wenn das 9-Euro-Ticket arme Menschen deutlich entlastet, übt Aberle deutliche Kritik an ihm. Mit ihm werden keine strategischen Ziele verfolgt, sodass der Individualverkehr weiterhin gegenüber dem ÖPNV attraktiv bleibe. Einen Anreiz, mittelfristig den Autoschlüssel in der Schublade zu lassen, sieht Aberle nicht. "Dabei bräuchten wir so eine strategische Rahmensetzung, um unsere Klimaziele einzuhalten", betonte er.

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