"A giant leap into space"
Seit 3.10 Uhr MESZ befindet sich der erste Taikonaut im Weltraum - Das 'Reich der Mitte' ist damit die 34. Nation, die einen Menschen ins All geschickt hat, aber erst die dritte, die dies in eigener Regie bewältigte
Es war ein raumfahrthistorisches Ereignis, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Live-Bilder gab es nicht. Immerhin unterbrach der chinesische Staatskanal CCTV sein aktuelles Programm und reichte schon wenige Minuten nach dem erfolgreichen Lift-off die eindrucksvollen Bilder nach. Das um 3.00 Uhr MESZ erfolgte Lift-off der Langer-Marsch-Rakete vom chinesischen Weltraumbahnhof Jiuquan in der Gobi-Wüste glückte und die Shenzhou-5 ist nun auf dem besten Wege, in die orbitalen Fußstapfen der vorangegangenen vier Shenzhou-Kapseln zu treten, die allesamt glückten - nur mit dem alles entscheidenden Unterschied, dass dieses Mal in dem Shenzhou-Raumschiff ein leibhaftiger Raumfahrer sitzt, dessen Identität inzwischen auch bekannt ist. Nicht ohne Stolz verkündete daher der englischsprachige Kanal CCTV-9 des Regierungssenders, das China nunmehr nach Russland und den USA die dritte Kraft in der Raumfahrt sei, die mit einem eigenen Trägersystem Menschen in den Orbit befördern könne.
Jahrelang wurde er auf die schwierigen Arbeitsbedingungen im Orbit vorbereitet. Jahrelang hat er sich im Tauchbecken und bei Parabelflügen an die Schwerelosigkeit, aber auch an die räumliche Enge der Raumkapsel gewöhnt. Jahrelang musste er viele enervierende Test über sich ergehen lassen. Und jahrelang hat er auf diesen Moment warten müssen - bis zuletzt. Noch bis vor wenigen Tagen war vollkommen offen, wem von den insgesamt 14 zur Verfügung stehenden Taikonauten die Ehre zuteil werden würde, als erster Chinese den vielbegehrten Flug ins All anzutreten.
Taikonaut Yang Liwei
Die raumfahrthistorische Zäsur markiert hat zu guter Letzt ein 38-jähriger Oberstleutnant namens Yang Liwei. Er ist der erste Taikonaut, der erste chinesische Raumfahrer der Menschheitsgeschichte. 42 Jahre nach dem ersten Raumflug des sowjetischen Kosmonauten Yuri Gagarin 1961 ist China damit nach Russland und den USA die dritte Nation, die aus eigener Kraft einen Menschen ins All schickt.
Den Start, den Yang heute morgen um 9.00 Uhr chinesischer Zeit (03.00 Uhr MESZ) mit einer Langer-Marsch-F2-Trägerrakete von dem am Rande der Gobiwüste in der nordwestlichen Provinz Gansu gelegenen chinesischen Weltraumbahnhof Jiuquan hinlegte, kann man getrost in die Kategorie "bilderbuchmäßig" einordnen. Bilderbuchmäßig deshalb, weil das Wetter mitspielte, der Kondensstreifen der Trägerrakete am blauen, wolkenlosen Himmel deutlich zu erkennen war und sich die Rakete sanftmütig und mit stoischer Ruhe - langsam aber sicher - sukzessive nach oben arbeitete, auch wenn sich kurz nach dem Start einige Teile von der Rakete lösten, dessen Herkunft sich auch der britische Raumfahrtexperte Philip Clark in BBC-News nicht erklären konnte. Was dies auch immer gewesen sein mag (dies wird wohl auch noch die chinesische Seite beschäftigen) - Yang Liwei hat den Flug im Gegensatz zu der Trägerrakete, die sich inzwischen größtenteils in ihre Einzelteile aufgelöst hat, auf jeden Fall ohne Blessuren überstanden. Amtlichen Angaben zufolge erreichte er mit seiner Shenzhou-5 um 3.10 Uhr MESZ die vorgesehene Umlaufbahn.
Seinen ersten Kommentar aus dem Orbit dürften die Verantwortlichen im Kontrollzentrum mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen haben, sagte Yang doch nach 30 Minuten Flug lapidar: "Ich fühle mich gut. Wir sehen uns dann morgen!" Bereits wenige Minuten vor dem Start soll dieser nach Berichten der regierungsnahen Nachrichtenagentur Xinhua sehr optimistisch gewesen sein und geäußert haben: "Ich werde mein Vaterland nicht enttäuschen. Ich werde jede Bewegung mit größter Konzentration angehen."
Geboren im Jahr 1965 im Gebiet Huanzhong in der Provinz Liaoning im Nordosten der Volksrepublik, war Yang Liwei bis zu seiner Berufung in das Taikonautenprogramm seit 1983 Kampfpilot bei der chinesischen Luftwaffe. Zehn Jahre später, 1993, wurde er Mitglied einer breiteren Auswahlgruppe von zukünftigen Raumfluganwärtern. 1990 heiratete er Zhang Yumei und zog in die Hauptstadt Beijing, wo sich der Trainingskomplex für Taikonauten innerhalb der so genannten Aerospace City befindet.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Ob sich Liwei auch nach dem vorgesehenen 21-stündigen Reisemarathon und den geplanten 14 Erdumrundungen in der beengten Shenzhou-Kapsel noch so gut fühlen wird wie nach den ersten 30 Minuten, bleibt abzuwarten, zumal die heikelste Phase der Mission, das Re-entry, also der Wiedereintritt in die Atmosphäre, noch bevorsteht.
Vielleicht wird der geneigte Leser und Raumfahrtbegeisterte wenigstens das Re-entry-Manöver am Bildschirm live verfolgen dürfen. Beim Lift-off war dies nicht möglich, weil Peking offenbar aus Angst vor einem peinlichen Fehlschlag des Raketenstarts die vorgesehene Direktübertragung im staatlichen Fernsehen kurzfristig absagte. Die Verantwortlichen hätten dies so gewollt, sagte ein Mitarbeiter des staatlichen Fernsehsenders CCTV.
Experten zufolge befürchtete die Regierung in Peking im Falle eines Scheiterns der Weltraummission landesweite Enttäuschung und Kritik. Bis 1995 hat China seine Satellitenstarts direkt im Fernsehen übertragen. Nach der Explosion einer Rakete zwei Minuten nach dem Start mit sechs Toten wurde dies gestoppt. Eine in der Provinzhauptstadt Lanzhou erscheinende Zeitung berichtete, die Live-Übertragung im Fernsehen sei auf "Empfehlung von Raumfahrtexperten" abgesagt worden. "Es gibt wenig Flexibilität", sagte indes der amerikanische Raumfahrtexperte James Oberg. "Die Verantwortlichen sind sehr vorsichtig".
Kopiert und weiterentwickelt
Der Start war der Höhepunkt von mehr als elf Jahre andauernden Bemühungen Chinas, zur dritten Raumfahrernation der Welt zu werden. Details über die Startvorbereitungen wurden von den Behörden geheim gehalten; es wurde lediglich mitgeteilt, dass der Start zwischen Mittwoch und Freitag erfolgen sollte. Just diese Geheimhaltungspolitik hat dazu geführt, dass von dem Raumfahrtprogramm Chinas nur wenig Datenmaterial vorliegt. Bekannt ist lediglich, dass Chinas Raumfahrt primär auf sowjetischer Technologie basiert. Tatsächlich kaufte China 1994 eine russische Sojus-Kapsel und 1996 ein komplettes Docking- und Lebenserhaltungssystem sowie einige Raumanzüge, was dazu führte, dass Experten aus verschiedenen Ländern Peking vorhalten, den Großteil der angewandten Technik einfach nur kopiert zu haben.
Gleichwohl wurde die chinesische Sojus-Variante stark modifiziert, so dass Kenner der Materie der chinesischen Raumfahrt inzwischen ein unverkennbares eigenes Profil attestieren. So bietet die Taikonauten-Kapsel gleich vier Raumfahrern Platz. Außerdem ist sie mit einer Art Tunnel und einer Andockstation ausgestattet, so dass zwei Kapseln zusammengekoppelt werden und für einige Zeit eine kleine Raumstation bilden können.
Bei alledem kommt hinzu, dass Raumfahrt in der Volksrepublik, in der eine Debatte über ihren Sinn und Unsinn nicht toleriert wird, für die Regierung einen hohen Stellenwert hat. Auf dem Sprung ins All könnte China nämlich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einem könnte ein weitreichendes nationales Raumfahrtprogramm dabei helfen, von den eigenen inneren Problemen abzulenken. Andererseits glaubt Peking, auf diese Weise den Nationalstolz schüren und das kommunistische System konsolidieren zu können. Nicht zuletzt würde das Reich der Mitte auch in wirtschaftlich-technischer Hinsicht einen gewaltigen Satz nach vorn machen und im internationalen Weltraum-Wettbewerb Pluspunkte sammeln. Neben banalen Prestigegründen spielen demnach insbesondere handfeste kommerzielle Interessen eine essentielle Rolle. Und nicht zuletzt ist auch das bemannte Raumfahrtprogramm eng mit den militärischen Interessen verknüpft.
Erster Schritt soll nicht der letzte sein
Der Raumflug stelle den "ersten Schritt" Chinas dar, um den Weltraum in Zukunft als Industriebasis zu nutzen, sagte Gu Yidong, Chefingenieur der chinesischen Raumfahrtbehörde vor dem Start zu Xinhua. Zunächst sind zwar bescheidenere Ziele im Gespräch wie bessere Satellitensystemen zur Datenübertragung und zur Wettervorhersage sowie Forschungen zum Reisanbau. Sollte der Flug aber weiterhin problemlos verlaufen, könnte die Raumfahrtindustrie mit Plänen für Flüge zum Mond sowie eine eigene Weltraumstation einen deutlichen Impuls erhalten.
In einer ersten Stellungnahme zum geglückten Start der Chinesen sagte NASA-Chef Sean O'Keefe:
Dieser Start ist ein wichtiger Erfolg in der Geschichte menschlicher Exploration. Nach Russland und den USA ist allein China die dritte Nation, die Menschen sicher ins All befördern kann.
Etwas origineller charakterisierte das nationale Großereignis allerdings der Sprecher des englischsprachigen CCTV-9-Kanal. In Anlehnung an den historisch-legendären, seinerzeit aber keineswegs improvisierten Ausspruch von Neil Armstrong, dem ersten Menschen auf dem Mond, vermeldete dieser (O-Ton):
If these were small steps, then now we are taking a giant leap into space.