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ARD, ZDF und der Jemen: Krieg? Was für ein Krieg?

Fernsehsender informieren über "Krise" im Jemen. Dabei kommt die UNO zu einem deutlich anderen Schluss. Warum die Wortwahl der Öffentlich-Rechtlichen fragwürdig ist.

"Deutschland hatte allein 2017 Waffenexporte in Höhe von 1,3 Milliarden Euro an die Länder genehmigt, die am Jemenkrieg beteiligt waren", berichtete [1] der Deutschlandfunk bereits 2019. Tatsächlich läuft der Handel mit deutschen Waffen, die im Jemen zum tödlichen Einsatz kommen, schon seit Jahren [2].

Die Grünen haben dies als Opposition scharf kritisiert und im November 2018 verfügte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), kurz nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi, einen Stopp der Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien [3].

Im September letzten Jahres änderte die Bundesregierung diese außenpolitische Linie allerdings – eine Woche nach einem Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) in Saudi-Arabien. "Deutsche Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien sind schon länger weitgehend ausgesetzt. Erstmals seit Amtsantritt macht die regierende Ampelkoalition nun von einer Ausnahmeregel Gebrauch – und stimmt dem Export von Ausrüstung und Munition für Kampfjets zu", kommentierte [4] die Tagesschau.

Vor diesem Hintergrund durfte man gespannt sein, welche Worte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Mitte Mai bei ihrem Besuch in Saudi-Arabien bei ihrer heiklen Mission in einem Land finden würde, das eine Militärallianz im Jemenkrieg anführt und überdies kaum als Musterbeispiel gelebter Menschenrechte gelten kann.

Baerbock, die sich für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit starkmachte, betonte auf der Pressekonferenz [5], eine solche Kooperation könne nicht "losgelöst von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Freiheitsrechten betrachtet werden". Eine engere Zusammenarbeit könne "nur funktionieren, wenn Klimapartnerschaften und Wirtschaftsbeziehungen auf verlässlichen gemeinsamen Regeln basieren".

David Goeßman kritisierte [6] bei Telepolis:

Nun, das sind Weisheiten, gelassen ausgesprochen. Wir hören sie immer wieder. Aber es sind Lippenbekenntnisse ohne Substanz, wenn hinter der Fassade von netten Worten Werte mit Füßen getreten werden und bedingungslos kooperiert wird.

Natürlich wissen wir, dass Saudi-Arabien ein fürchterliches Regime ist, dass sich nicht um Menschenrechte kümmert. Der gerade veröffentlichte Amnesty International Report zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe führt die Ölmonarchie ganz oben auf der Liste an. In Saudi-Arabien verdreifachte sich die Zahl von 65 für 2021 auf 196 im Jahr 2022. An nur einem einzigen Tag wurden dort 81 Menschen exekutiert. (…)

Solange die deutsche Regierung meint, die eigene Rüstungsindustrie mit Exporten an Regime und Kriegsparteien zu befördern, solange ist die Rede von Humanität ein Feigenblatt für Interessenpolitik im Dienst von Unternehmen.

Berichterstattung, die Fragen aufwirft

Bemerkenswert war die mediale Darstellung. In der Heute-Sendung vom 15. Mai 2023 [7] zum Besuch von Baerbock in Saudi-Arabien wird der Einspieler mit den Worten eingeleitet: "Im Mittelpunkt der Gespräche sollen die Krisen im Sudan und im Jemen stehen" (bei 13:55 min).

Die Formulierung wurde auch am späteren Abend wiederholt. In der Tagesschau lautete der Text der Moderatorin [8]: "Auch die Krisen im Sudan und im Jemen sollen zur Sprache kommen" (bei 7:28 min).

Die gleichlautende Einschätzung und Darstellung der Situation im Jemen in den beiden wichtigsten Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ist erstaunlich. Auch die Presseagentur dpa nutzt die gleiche Wortwahl [9].

Natürlich kann man angesichts von allein elf Millionen Kindern, die im Jemen dringend Hilfe benötigen, von einer Krise sprechen oder von einer der größten humanitären Krisen der Welt, wie es Unicef macht. Die Wahl des Begriffs ignoriert jedoch die vielen tausend Menschenleben, die der militärische Konflikt seit 2015 gefordert hat. Bereits im Oktober 2020 hatte die UN [10] dazu erklärt:

Der Krieg hatte bereits schätzungsweise 233.000 Todesopfer gefordert, davon 131.000 durch indirekte Ursachen wie fehlende Nahrungsmittel, Gesundheitsdienste und Infrastrukturen.

Wie viele zivile Opfer es im Jemen zu beklagen gibt, können in den USA weder Pentagon noch Außenministerium sagen [11].

Wird die Wortwahl "Krise" diesen Dimensionen wirklich gerecht? Zur Verdeutlichung: Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert "Krise" [12] wie folgt:

[griech.] K. bezeichnet eine über einen gewissen (längeren) Zeitraum anhaltende massive Störung des gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Systems. Krisen bergen gleichzeitig auch die Chance zur (aktiv zu suchenden qualitativen) Verbesserung.

Krieg oder Krise: Worte haben eine Bedeutung

Gerade im Hinblick auf den Vorwurf der indirekten Beteiligung Deutschlands am militärischen Konflikt im Jemen und des in dieser Hinsicht auch delikaten Besuch Baerbocks in Saudi-Arabien ist die Wortwahl, die Kategorisierung der Situation im Jemen, von wichtiger Bedeutung.

Sabine Schiffer, Professorin für Journalismus und Kommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt am Main beschreibt in ihrem Buch Medienanalyse die Bedeutung des sogenannten Wordings im Journalismus mit einem Beispiel:

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Vor einem Regierungsgebäude findet eine Explosion statt. Passanten werden verletzt, Sachschaden ist entstanden, nach den Tätern wird gefahndet. In den Nachrichtenagenturen formuliert man die ersten Berichte und Suchaufrufe. Das Wording für die Tat changiert zwischen "Explosion", "Bombenanschlag" und "Terrorangriff" und für die möglichen Täter zwischen "Angreifern", "Terroristen", "Kriminellen" und "Aktivisten".

Je nachdem, welche Bezeichnungen sich in der Berichterstattung durchsetzen, beeinflusst ihre Perspektivgebung die Wahrnehmung des Sachverhalts, spricht dem Ereignis teils mehr, teils weniger Plausibilität oder gar Legitimität zu, verurteilt es verhalten oder scharf, legt bereits mögliche Motive nahe.

Um die Gründe für das Wording von ARD und ZDF zu verstehen, bat Telepolis beide Sender um eine Begründung. Das ZDF schrieb:

In der heute-Sendung vom 15. Mai 2023 zum Besuch von Außenministerin Baerbock in Saudi-Arabien heißt es: "Im Mittelpunkt der Gespräche sollen die Krisen im Sudan und im Jemen stehen". Eine Formulierung, um beide Konfliktthemen zusammenfassen zu können. Unten zwei Links, unter denen Sie Beiträge mit der Formulierung "Krieg im Jemen" finden (hier [13] und hier [14]).

Diese Antwort erstaunt ein wenig, da zeitgleich ZDF selber von einem "Konflikt [15]" im Sudan sprach (auch hier [16]), die ARD sogar von einem Bürgerkrieg [17]. Ebenso etwa Deutschlandfunk [18].

Wieso also die Einschätzung nicht als "Bürgerkriege", "militärische Konflikte" oder "Konflikte", sondern schlicht als "Krisen"?

Zum Wording des Auswärtigen Amtes

Die ARD antwortete Telepolis:

Die Tagesschau orientiert sich bei der Bezeichnung an der Einordnung des Auswärtigen Amts, das, ebenso wie die Vereinten Nationen, im Jemen auch von einer Krise spricht.

Die UN spricht zwar von einer Krise im Jemen, jedoch explizit von einer "humanitäre Krise" und bezieht sich damit offensichtlich nicht auf die militärische Situation, sondern die gravierende Notlage der leidenden jemenitischen Zivilbevölkerung.

Auch das Auswärtige Amt wählte wiederholt den Begriff einer "humanitären Krise" [19]. Die militärische Situation im Jemen wird in Berlin zwar nicht mehr als Krieg bezeichnet [20], wie noch vor einem Jahr, aber zumindest als Konflikt [21]. Auf Nachfrage von Telepolis erklärt das Auswärtige Amt:

Im Sinne des humanitären Völkerrechtes handelt es sich im Jemen um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt.

Der Verweis auf die Einordnung des Auswärtigen Amtes, auf das sich die ARD beruft, ist daher kaum überzeugend. Insbesondere auch deshalb, weil die "Tagesschau" noch im April von einem "Bürgerkrieg" im Jemen [22] sprach.

Medienanalytischer Blick auf die Wortwahl von ARD und ZDF

Die Begründung des eigenen Wordings der ARD mit einem Verweis auf das Auswärtige Amt und die UN kann aber auch ganz grundsätzlich kritisch eingeschätzt werden.

Sabine Schiffer kommentierte auf Anfrage von Telepolis:

"Aus medienwissenschaftlicher Sicht ist es eine bedenkliche Entwicklung, wenn Journalisten sich darauf beschränken regierungsamtliche Sichtweisen einzuholen und diese als Sachstand darzustellen.

Das widerspricht dem Idealtypus einer Vierten Gewalt. Und wird unter Medienschaffenden auch selbst kritisch diskutiert, weil man sich ja einst als Kontrollinstanz und nicht als Sprachrohr für offizielle Verlautbarungen betrachtete. Ich erkläre mir diesen Move hin zu dieser unkritischen Haltung damit, dass man meint, die Grundskepsis – also Basisrecherche und Faktencheck – ausschließlich auf Autokratien anwenden zu müssen, auf Demokratien jedoch nicht. Ganz so als gäbe es dort nicht Interessen und strategische Kommunikation. Es sind dann nicht selten NGOs, wie FragDenStaat oder dergleichen, die kritische Punkte aufdecken.

Damit schwächt sich der Journalismus selbst. Der beobachtbare Doppelstand ARD kratzt an der Glaubwürdigkeit von Medien.


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https://www.heise.de/-9182478

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.deutschlandfunk.de/vorwuerfe-von-amnesty-international-toeten-deutsche-waffen-100.html
[2] https://www.dw.com/de/beweise-f%C3%BCr-deutsche-waffen-im-jemen/a-47681315
[3] https://www.handelsblatt.com/politik/international/waffen-ruestungsexportstopp-fuer-saudi-arabien-bleibt-bestehen-ausnahmen-aber-unklar/27937558.html
[4] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/ruestungsexporte-saudi-arabien-103.html
[5] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/baerbock-saudi-arabien-zusammenarbeit-100.html
[6] https://www.telepolis.de/features/Baerbock-am-Golf-Wir-muessen-ueber-Waffenexporte-sprechen-9057040.html?seite=all
[7] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/baerbock-saudi-arabien-zusammenarbeit-100.html
[8] https://www.youtube.com/watch?v=Shyi92SeeH4
[9] https://www.handelsblatt.com/dpa/baerbock-besucht-saudi-arabien-krisen-in-sudan-und-jemen-im-fokus/29151544.html
[10] https://news.un.org/en/story/2020/12/1078972
[11] https://news.un.org/en/story/2020/12/1078972
[12] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17759/krise/
[13] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/baerbock-jemen-waffenruhe-100.html
[14] https://www.zdf.de/nachrichten/thema/jemen-170.html
[15] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/sudan-waffenstillstand-kaempfe-khartum-100.html
[16] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/sudan-krieg-machtkampf-vereinbarung-schutz-bevoelkerung-100.html
[17] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/sudan-interview-perthes-100.html
[18] https://www.deutschlandfunk.de/mehr-als-330-000-menschen-aus-sudan-gefluechtet-100.html
[19] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/baerbock-geberkonferenz/2584784
[20] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/nahermittlererosten/-/2517576
[21] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/nahermittlererosten/reise-saudi-arabien-katar/2596628
[22] https://www.tagesschau.de/ausland/saudi-arabien-jemen-103.html