ARD, ZDF und der Jemen: Krieg? Was für ein Krieg?

Fernsehsender informieren über "Krise" im Jemen. Dabei kommt die UNO zu einem deutlich anderen Schluss. Warum die Wortwahl der Öffentlich-Rechtlichen fragwürdig ist.

"Deutschland hatte allein 2017 Waffenexporte in Höhe von 1,3 Milliarden Euro an die Länder genehmigt, die am Jemenkrieg beteiligt waren", berichtete der Deutschlandfunk bereits 2019. Tatsächlich läuft der Handel mit deutschen Waffen, die im Jemen zum tödlichen Einsatz kommen, schon seit Jahren.

Die Grünen haben dies als Opposition scharf kritisiert und im November 2018 verfügte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), kurz nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi, einen Stopp der Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien.

Im September letzten Jahres änderte die Bundesregierung diese außenpolitische Linie allerdings – eine Woche nach einem Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) in Saudi-Arabien. "Deutsche Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien sind schon länger weitgehend ausgesetzt. Erstmals seit Amtsantritt macht die regierende Ampelkoalition nun von einer Ausnahmeregel Gebrauch – und stimmt dem Export von Ausrüstung und Munition für Kampfjets zu", kommentierte die Tagesschau.

Vor diesem Hintergrund durfte man gespannt sein, welche Worte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Mitte Mai bei ihrem Besuch in Saudi-Arabien bei ihrer heiklen Mission in einem Land finden würde, das eine Militärallianz im Jemenkrieg anführt und überdies kaum als Musterbeispiel gelebter Menschenrechte gelten kann.

Baerbock, die sich für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit starkmachte, betonte auf der Pressekonferenz, eine solche Kooperation könne nicht "losgelöst von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Freiheitsrechten betrachtet werden". Eine engere Zusammenarbeit könne "nur funktionieren, wenn Klimapartnerschaften und Wirtschaftsbeziehungen auf verlässlichen gemeinsamen Regeln basieren".

David Goeßman kritisierte bei Telepolis:

Nun, das sind Weisheiten, gelassen ausgesprochen. Wir hören sie immer wieder. Aber es sind Lippenbekenntnisse ohne Substanz, wenn hinter der Fassade von netten Worten Werte mit Füßen getreten werden und bedingungslos kooperiert wird.

Natürlich wissen wir, dass Saudi-Arabien ein fürchterliches Regime ist, dass sich nicht um Menschenrechte kümmert. Der gerade veröffentlichte Amnesty International Report zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe führt die Ölmonarchie ganz oben auf der Liste an. In Saudi-Arabien verdreifachte sich die Zahl von 65 für 2021 auf 196 im Jahr 2022. An nur einem einzigen Tag wurden dort 81 Menschen exekutiert. (…)

Solange die deutsche Regierung meint, die eigene Rüstungsindustrie mit Exporten an Regime und Kriegsparteien zu befördern, solange ist die Rede von Humanität ein Feigenblatt für Interessenpolitik im Dienst von Unternehmen.

Berichterstattung, die Fragen aufwirft

Bemerkenswert war die mediale Darstellung. In der Heute-Sendung vom 15. Mai 2023 zum Besuch von Baerbock in Saudi-Arabien wird der Einspieler mit den Worten eingeleitet: "Im Mittelpunkt der Gespräche sollen die Krisen im Sudan und im Jemen stehen" (bei 13:55 min).

Die Formulierung wurde auch am späteren Abend wiederholt. In der Tagesschau lautete der Text der Moderatorin: "Auch die Krisen im Sudan und im Jemen sollen zur Sprache kommen" (bei 7:28 min).

Die gleichlautende Einschätzung und Darstellung der Situation im Jemen in den beiden wichtigsten Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ist erstaunlich. Auch die Presseagentur dpa nutzt die gleiche Wortwahl.

Natürlich kann man angesichts von allein elf Millionen Kindern, die im Jemen dringend Hilfe benötigen, von einer Krise sprechen oder von einer der größten humanitären Krisen der Welt, wie es Unicef macht. Die Wahl des Begriffs ignoriert jedoch die vielen tausend Menschenleben, die der militärische Konflikt seit 2015 gefordert hat. Bereits im Oktober 2020 hatte die UN dazu erklärt:

Der Krieg hatte bereits schätzungsweise 233.000 Todesopfer gefordert, davon 131.000 durch indirekte Ursachen wie fehlende Nahrungsmittel, Gesundheitsdienste und Infrastrukturen.

Wie viele zivile Opfer es im Jemen zu beklagen gibt, können in den USA weder Pentagon noch Außenministerium sagen.

Wird die Wortwahl "Krise" diesen Dimensionen wirklich gerecht? Zur Verdeutlichung: Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert "Krise" wie folgt:

[griech.] K. bezeichnet eine über einen gewissen (längeren) Zeitraum anhaltende massive Störung des gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Systems. Krisen bergen gleichzeitig auch die Chance zur (aktiv zu suchenden qualitativen) Verbesserung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.