ARD, ZDF und der Jemen: Krieg? Was für ein Krieg?

Seite 2: Krieg oder Krise: Worte haben eine Bedeutung

Gerade im Hinblick auf den Vorwurf der indirekten Beteiligung Deutschlands am militärischen Konflikt im Jemen und des in dieser Hinsicht auch delikaten Besuch Baerbocks in Saudi-Arabien ist die Wortwahl, die Kategorisierung der Situation im Jemen, von wichtiger Bedeutung.

Sabine Schiffer, Professorin für Journalismus und Kommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt am Main beschreibt in ihrem Buch Medienanalyse die Bedeutung des sogenannten Wordings im Journalismus mit einem Beispiel:

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Vor einem Regierungsgebäude findet eine Explosion statt. Passanten werden verletzt, Sachschaden ist entstanden, nach den Tätern wird gefahndet. In den Nachrichtenagenturen formuliert man die ersten Berichte und Suchaufrufe. Das Wording für die Tat changiert zwischen "Explosion", "Bombenanschlag" und "Terrorangriff" und für die möglichen Täter zwischen "Angreifern", "Terroristen", "Kriminellen" und "Aktivisten".

Je nachdem, welche Bezeichnungen sich in der Berichterstattung durchsetzen, beeinflusst ihre Perspektivgebung die Wahrnehmung des Sachverhalts, spricht dem Ereignis teils mehr, teils weniger Plausibilität oder gar Legitimität zu, verurteilt es verhalten oder scharf, legt bereits mögliche Motive nahe.

Um die Gründe für das Wording von ARD und ZDF zu verstehen, bat Telepolis beide Sender um eine Begründung. Das ZDF schrieb:

In der heute-Sendung vom 15. Mai 2023 zum Besuch von Außenministerin Baerbock in Saudi-Arabien heißt es: "Im Mittelpunkt der Gespräche sollen die Krisen im Sudan und im Jemen stehen". Eine Formulierung, um beide Konfliktthemen zusammenfassen zu können. Unten zwei Links, unter denen Sie Beiträge mit der Formulierung "Krieg im Jemen" finden (hier und hier).

Diese Antwort erstaunt ein wenig, da zeitgleich ZDF selber von einem "Konflikt" im Sudan sprach (auch hier), die ARD sogar von einem Bürgerkrieg. Ebenso etwa Deutschlandfunk.

Wieso also die Einschätzung nicht als "Bürgerkriege", "militärische Konflikte" oder "Konflikte", sondern schlicht als "Krisen"?

Zum Wording des Auswärtigen Amtes

Die ARD antwortete Telepolis:

Die Tagesschau orientiert sich bei der Bezeichnung an der Einordnung des Auswärtigen Amts, das, ebenso wie die Vereinten Nationen, im Jemen auch von einer Krise spricht.

Die UN spricht zwar von einer Krise im Jemen, jedoch explizit von einer "humanitäre Krise" und bezieht sich damit offensichtlich nicht auf die militärische Situation, sondern die gravierende Notlage der leidenden jemenitischen Zivilbevölkerung.

Auch das Auswärtige Amt wählte wiederholt den Begriff einer "humanitären Krise". Die militärische Situation im Jemen wird in Berlin zwar nicht mehr als Krieg bezeichnet, wie noch vor einem Jahr, aber zumindest als Konflikt. Auf Nachfrage von Telepolis erklärt das Auswärtige Amt:

Im Sinne des humanitären Völkerrechtes handelt es sich im Jemen um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt.

Der Verweis auf die Einordnung des Auswärtigen Amtes, auf das sich die ARD beruft, ist daher kaum überzeugend. Insbesondere auch deshalb, weil die "Tagesschau" noch im April von einem "Bürgerkrieg" im Jemen sprach.

Medienanalytischer Blick auf die Wortwahl von ARD und ZDF

Die Begründung des eigenen Wordings der ARD mit einem Verweis auf das Auswärtige Amt und die UN kann aber auch ganz grundsätzlich kritisch eingeschätzt werden.

Sabine Schiffer kommentierte auf Anfrage von Telepolis:

"Aus medienwissenschaftlicher Sicht ist es eine bedenkliche Entwicklung, wenn Journalisten sich darauf beschränken regierungsamtliche Sichtweisen einzuholen und diese als Sachstand darzustellen.

Das widerspricht dem Idealtypus einer Vierten Gewalt. Und wird unter Medienschaffenden auch selbst kritisch diskutiert, weil man sich ja einst als Kontrollinstanz und nicht als Sprachrohr für offizielle Verlautbarungen betrachtete. Ich erkläre mir diesen Move hin zu dieser unkritischen Haltung damit, dass man meint, die Grundskepsis – also Basisrecherche und Faktencheck – ausschließlich auf Autokratien anwenden zu müssen, auf Demokratien jedoch nicht. Ganz so als gäbe es dort nicht Interessen und strategische Kommunikation. Es sind dann nicht selten NGOs, wie FragDenStaat oder dergleichen, die kritische Punkte aufdecken.

Damit schwächt sich der Journalismus selbst. Der beobachtbare Doppelstand ARD kratzt an der Glaubwürdigkeit von Medien.

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