Abkehr von Russland: Wen wir nun für unsere Energiewende brauchen

Solarpaneele und Windkraftanlagen – ohne Rohstoffe und Vorleistung aus China wird es schwierig. Bild: pixabay.com

Um von russischen Energieträgern unabhängig zu werden, soll Solar- und Windenergie ausgebaut werden. Dabei gibt es ein erhebliches Problem

Angesichts der internationalen Spannungen im Kontext des Ukrainekrieges und möglichen Sanktionen gegen China, falls Peking Russland offen unterstützen sollte, führt das Reich der Mitte derzeit einen Stresstest seiner Wirtschaft durch.

So soll ermittelt werden, wie widerstandsfähig die international hoch vernetzte chinesische Wirtschaft gegen mögliche externe Schocks ist. Fast identische Gedanken machen sich Ökonom:innen, Unternehmen und Wirtschaftsverbände auch hierzulande. So hat etwa das ifo-Institut untersuchen lassen, wie sehr Deutschland in seinen Handelsbeziehungen von China abhängt.

Chinas Anteil am globalen Güterhandel von zwei Prozent im Jahr 1990 auf 13,1 Prozent im Jahr 2020 gestiegen. Die Zuwächse im bilateralen Handel Chinas mit Deutschland verliefen parallel dazu: Im selben Zeitraum stiegen Ein- und Ausfuhren von und nach China von einem auf zehn Prozent des deutschen Güterhandels.

2018 stand China immerhin für sieben Prozent der ausländischen Vorleistungen (Importe) und für neun Prozent der ausländischen Endnachfrage für deutsche Güter (Exporte).

Für die Produktion fallen diese Werte jedoch deutlich niedriger aus, da Fertigprodukte hier nicht berücksichtigt werden. Zudem werden nicht monetäre Berechnungen, sondern Schätzungen zu Anteilen an der Wertschöpfung in Lieferketten gemacht: So betrugen die chinesischen Vorleistungen nur etwa ein Prozent der Wertschöpfung in der deutschen Produktion und deutsche Vorleistungen ein halbes Prozent der chinesischen Fertigung.

Während aber die deutschen Wertschöpfungsexporte nach China in den letzten 25 Jahren deutlich zugenommen haben, sinkt der prozentuale Anteil ausländischer Wertschöpfung an der chinesischen Nachfrage stetig. Das ist vorwiegend dem einzigartigen Wirtschaftswachstum Chinas in den letzten 30 Jahren geschuldet.

Rohstoffe und Vorleistungen

Um die Risiken für deutsche Unternehmen und die Volkswirtschaft als Ganzes genauer abschätzen zu können, ist ein Blick auf die verschiedenen Sektoren und hier vor allem auf Schlüsseltechnologien nötig. Und hier zeigt sich ein interessantes Bild: Die EU importiert etwa 65 Prozent der Rohstoffe für Elektromotoren aus dem Reich der Mitte. Auch bei Seltenen Erden führt die Dominanz Chinas auf den Weltmärkten zu erhöhten Risiken in der Wertschöpfungskette.

"Vor allem die in den Permanentmagneten enthaltenen Seltenen Erden wie Dysprosium, Neodym und Praseodym sind für den Bau von Motoren für Elektrofahrzeuge und Windgeneratoren unerlässlich", warnt das ifo-Institut.

Bei Windkraftanlagen wird der Anteil chinesischer Rohstoffe auf 54 Prozent, in der Photovoltaik auf 53 und bei Lithium-Batterien immerhin noch auf 32 beziffert. Deutlich zeigt sich, dass die Energiewende ohne eine intensive Zusammenarbeit mit China schwierig werden dürfte.

Gilt dem ifo-Institut die Substituierung von Rohstoffen in den Lieferketten als schwierig, wird die Suche nach neuen Anbietern für Vorleistungen dagegen als "einfach" bezeichnet. Angesichts des Umfangs chinesischer Vorleistungen an den Gesamtimporten in die deutsche Produktion scheint diese Einschätzung jedoch ungewiss.

In der Automobilindustrie kommen drei Viertel aller importierten Vorleistungen aus China, bei Datenverarbeitung und elektrischer Ausrüstung über 70 Prozent. Im Maschinenbau sowie im Pharmabereich stammen noch über die Hälfte aller importierten Vorleistungen aus China und bei der chemischen Industrie sind es über 40 Prozent.

Auffällig ist zudem, dass Großunternehmen über die Hälfte ihrer Vorleistungen aus China beziehen, wobei etwa ein Drittel davon in eigenen Produktionsstätten hergestellt wird. Bei mittleren Unternehmen sind es 38 und bei Klein- und Kleinstunternehmen noch 28 Prozent.

Und überall in Deutschlands Unternehmen scheinen Planungen im Gang zu sein, Importe aus China zu ersetzen. Am deutlichsten ist dieser Trend bei der chemischen Industrie, die plant, zwei Drittel ihrer Importe aus China zu substituieren; Maschinenbau und metallverarbeitende Unternehmen wollen immerhin rund die Hälfte ersetzen.

Eine Ausnahme bildet die Automobilindustrie, die trotz ihrer großen Abhängigkeit vom Reich der Mitte ihre Importe von dort lediglich um ein Viertel drosseln möchte.

Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass die großen Autobauer traditionell erhebliche Investitionen in wichtigen Absatzländern getätigt haben. So gründete Ford sein erstes Werk in Deutschland schon 1925 und der VW Santana wurde immerhin ab 1983 in China gefertigt.

ifo-Empfehlungen bieten Altbekanntes

In der Summe lassen sich laut ifo-Institut "mehrere kritische Industriegüter und Rohstoffe identifizieren, die Deutschland aus China bezieht und derzeit nur sehr schwer substituieren könnte".

Der Politik empfehlen die ForscherInnen vor allem Altbekanntes: So seien vermehrt Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern abzuschließen, entsprechende Verhandlungen mit dem lateinamerikanischen Wirtschaftsraum Mercosur und Mexiko voranzutreiben, sowie die diesbezüglichen Gespräche mit Indien und Malaysia wiederzubeleben.

Ob diese Strategie so erfolgreich sein wird wie in den letzten Jahrzehnten, muss sich allerdings erst noch erweisen. Denn viele Entwicklungsländer sind mittlerweile dahintergekommen, dass ihre Rohstoffe stetig wachsende Werte darstellen und versuchen immer entschiedener, daraus Vorteile für ihre eigenen Volkswirtschaften herauszuholen. Hier einige aktuelle Beispiele aus den letzten Wochen:

- Die Militärjunta in Guinea hat die internationalen Rohstoffkonzerne aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, wie das Bauxit künftig in dem westafrikanischen Land zu Aluminium raffiniert werden kann. Das westafrikanische Land ist der weltweit zweitgrößte Bauxitexporteur.

- Ost-Timor wird seine Ölvorkommen demnächst wohl mit chinesischer Hilfe erschließen. Dabei geht es auch um die Frage, ob eine Anlage zur Gewinnung von Flüssigerdgas auf der Insel gebaut wird. Die Regierung erhofft sich davon vor allem Arbeitsplätze.

- Mexikos Regierung will den Lithium-Abbau verstaatlichen.

- Deutschland würde gerne verflüssigtes Erdgas aus Katar kaufen, um die Abhängigkeit von Russland zu mindern. Aber man streitet über Preise, Vertragslaufzeiten und Lieferbedingungen. Dabei zeigt sich die katarische Seite erheblich unflexibler als Russland (bisher).

Als vielversprechend gilt den Forschenden vom ifo-Institut zudem das Anti-Coercion Instrument (ACI) der EU, mit dem sich der Block künftig gegen Politiken von dritter Seite wehren will, die Handelspolitik und Gesetzesvorhaben der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten behindern oder bedrohen.

Der Vorschlag der Kommission liegt seit Ende letzten Jahres vor.

Das ACI soll der EU-Kommission erlauben, ihrerseits Handelssanktionen bis hin zu Importverboten zu verhängen. Brüssel hofft offensichtlich, dass seine Drohung schlimmer ist als die Anwendung und bezeichnet das ACI als Mittel zur Abschreckung.

Ob es diese Wirkung angesichts der tendenziell immer günstiger werdenden Position der Anbieterländer tatsächlich entfalten kann, ist jedoch zumindest zweifelhaft. Die Nachfrage nach überlebenswichtigen Gütern wird das Angebot auf absehbare Zeit wohl übersteigen.

Wahrscheinlicher ist, dass das Anti-Coercion Instrument als Keule im Verteilungskampf um die letzten natürlichen Ressourcen auf dem Planeten eingesetzt werden wird.