Abschieben nach Syrien: Debatte trotz Bürgerkrieg und unklarer Zukunft in vollem Gang
Baschar al-Assad ist gestürzt. Ein stabiler Frieden ist noch nicht in Sicht. Was deutschen Politikern dazu einfällt – und was über Fluchtgründe bekannt ist.
Die Debatte über die Rückkehr Geflüchteter aus Syrien hat wieder Fahrt aufgenommen, seit am Wochenende Tausende auf deutschen Straßen den Sturz von Baschar al-Assad feierten.
Damit, so heißt es, sei ja der Asylgrund entfallen. Manche AfD-Politiker lassen es sich nun nicht nehmen, "allen Syrern in Deutschland eine gute Heimreise" zu wünschen, so etwa der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Miguel Klauß auf der Plattform X.
Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt ging am Montag im ZDF-Morgenmagazin davon aus, "dass man zu einer Neubewertung der Lage in Syrien kommen wird und damit auch zu einer Neubewertung der Frage, wer bei uns Schutz suchen darf und wer nicht".
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Asylanträge auf Eis
Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) brachte als Anreiz zur schnellen Rückkehr Charterflüge und "1.000 Euro Startgeld" ins Spiel, während das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Entscheidungen über Asylanträge aus Syrien vorerst gestoppt hat.
Diese Regelung gelte aber nicht für sogenannte Dublin-Verfahren, bei denen ein anderes EU-Land für das Asylverfahren zuständig sei, sagte ein Behördensprecher dem ZDF.
Linke und Grüne kritisieren Abschiebe-Vorstöße
Die Linke hält es mit Blick auf die chaotische Situation in Syrien für verfrüht, von weggefallenen Fluchtgründen zu sprechen. "Ob jemand geprüft hat, ob Syrien jetzt sicher ist? Natürlich nicht – Hauptsache, der schnelle Hass gegenüber Menschen kann wieder verbreitet werden", kritisierte die Abgeordnete Clara Bünger am Montag.
Ähnlich äußerte sich Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang: "Die erste Reaktion mancher Politiker auf den Sturz eines grausamen Diktators, aber auch eine vollkommen ungewisse Zukunft und Rolle der Islamisten in Syrien ist also: Abschieben! Menschlich unterirdisch, mit Blick auf Integration schädlich und außenpolitisch kurzsichtig."
Linken-Ko-Chef Jan van Aken gratulierte zunächst der syrischen Bevölkerung und Exil-Community zum Sturz des Regimes und nannte dann alle, die jetzt schon anfingen, über Abschiebungen nach Syrien zu reden "einfach nur verkommene Drecksäcke".
Politisches Asyl vs. Subsidiärer Schutz
Rein rechtlich wurde den wenigsten Syrerinnen und Syrern aufgrund individueller politischer Verfolgung unter Assad Asyl gewährt. Ein Großteil steht unter subsidiärem Schutz, der einer noch nicht beendeten Bürgerkriegssituation geschuldet ist.
Subsidiär schutzberechtigt sind laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Menschen, denen im Herkunftsland ein "ernsthafter Schaden" droht, der sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann.
Auch Angst vor Islamisten war ein Fluchtgrund
In einer Umfrage von 2015 unter Geflüchteten aus Syrien haben auch keineswegs alle Befragten behauptetet, ausschließlich vor dem Assad-Regime geflohen zu sein. Die Mehrheit gab zwar dem Regime die Schuld an den bewaffneten Auseinandersetzungen, durch die sie sich zur Flucht gezwungen sahen, 42 Prozent hatten aber auch Angst vor Verschleppung und Übergriffen durch den "Islamischen Staat" (IS).
52 Prozent nannten damals das Ende des Assad-Regimes als eine Bedingung für ihre Rückkehr – was aber nicht heißt, dass sie sich dann freiwillig einer Bürgerkriegssituation aussetzen oder die mögliche Machtübernahme von Islamisten begrüßen würden.
Die Mehrheit der syrischen Männer hat Arbeit
Zwar wollten 2015 nur acht Prozent der Befragten dauerhaft in Deutschland bleiben, die Frage ist aber, ob sie mehrheitlich die Dauer des bewaffneten Konflikts richtig einschätzten – und ob aus Syrien geflohene Eltern vor neun Jahren damit rechneten, dass ihre Kinder den größten Teil ihrer Schullaufbahn in Deutschland verbringen und hier in die Pubertät kommen würden.
Arbeit hatten Anfang dieses Jahres rund 70 Prozent der syrischen Männer, die in der ersten großen Fluchtwelle 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen waren. Da sei "eine ganze Menge Arbeitsintegration gelaufen", sagte der Bundesbeauftragte für die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Daniel Terzenbach, im April 2024 der Deutschen Presse-Agentur. Bei der Frauenintegration sah er noch Nachholbedarf.
Generalamnestie: Es feiern nicht nur Islamisten
Wie sich die Lage in Syrien weiter entwickeln wird, ist aktuell kaum absehbar. Aufgrund der Dominanz islamistischer Kräfte in der nun siegreichen bewaffneten Opposition steht aber auch die Frage im Raum, ob und für wen dies ein Grund zum Feiern ist.
Die feiernden Geflüchteten könnten mit Sturz Assads unterschiedliche Hoffnungen verbinden. Gegen die Annahme, dass nur Islamisten feierten, spricht nicht nur, dass auf manchen Bildern Mädchen und Frauen ohne Kopftuch zu sehen sind, sondern auch, dass in Syrien Gefangene des Regimes freikamen, die keiner islamistischen Gruppe angehört haben.
In Deir ez-Zor hatten nach dem Rückzug der Regierungstruppen die säkularen Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) die Kontrolle übernommen und als eine der ersten Amtshandlungen eine Generalamnestie beschlossen.
Auch in anderen Landesteilen kamen Gefangene frei, die teils lange vor der Gründung des IS und der nun maßgeblich am Umsturz beteiligten islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) inhaftiert worden waren.
Laut Medienberichten konnten syrische Familien zum Teil unverhofft Angehörige begrüßen, die seit Jahrzehnten als "verschwunden" galten. Manche von ihnen hätten nach strikter Isolation von der Außenwelt nicht einmal gewusst, dass Baschar al-Assad die Nachfolge seines Vaters Hafez angetreten hatte, der im Jahr 2000 gestorben war.
Die Ängste der syrisch-kurdischen Community
Ausgeprägte Zukunftsängste gibt es aktuell aber in der säkularen syrisch-kurdischen Community, denn die selbstverwalteten Gebiete im Nord- und Ostsyrien sind nach wie vor Ziel türkischer Angriffe.
Die türkische Regierung soll auch die HTS-"Rebellen" mindestens indirekt unterstützt haben, ohne sie vollständig kontrollieren zu können. In den USA und Großbritannien ist die Gruppe, die sich vor Jahren von Al-Qaida abgespalten hat, als Terrororganisation gelistet.
Die britische Regierung erwägt allerdings, diese Einstufung zu überdenken. Die Entscheidung werde teilweise davon abhängen, wie sich die Gruppe nun verhalte, sagte der britische Minister für zwischenstaatliche Angelegenheiten, Pat McFadden dem Sender SkyNews.