Acht Prozent sind acht Prozent zu wenig

Seite 2: Unternehmen treiben die Inflation

Da die Unternehmen kaum in kostensenkende und produktivitätsverbessernde neue Technologien investieren, sind sie gezwungen, sich selbst vor Verlusten zu schützen, indem sie steigende Kosten an ihre Kunden, also über vielstufige Wertschöpfungsketten letztlich auf die Verbraucher überwälzen und bei diesen abladen.

Sie müssen versuchen, vor die Inflationswelle zu kommen, also möglichst als erste die Preise zu erhöhen. Wer das schafft, kann sogar die Profitabilität erhöhen, was den im DAX notierten Unternehmen – erkennbar an den zuletzt gestiegenen Gewinnen – gut gelungen ist. Andere müssen um ihre Existenz kämpfen, geben auf oder gehen insolvent.

Zwar gelänge es auch in einer gesunden Wirtschaft den wenigsten Unternehmen, die von den durch die Corona-Krise gestörten Lieferketten und den Ukrainekrieg ausgehenden heftigen Preissteigerungen durch eigene kostensenkende Maßnahmen vollständig auszugleichen.

Die enorme Dynamik des Verbraucherpreisanstiegs aber, der Ökonomen, Zentralbanken und auch die Politik überrascht, ist letztlich darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen den Preisanstieg nicht über die vielen Stufen der Wertschöpfungskette bis hin zum Endverbraucher dämpfen, sondern sogar befeuern, weil sie technologisch stagnieren.

In einer gesunden Volkswirtschaft, in der die Unternehmen technologische Verbesserungen erzielen und sie dadurch kontinuierlich ihre Kosten mit Hilfe von Arbeitsproduktivitätsverbesserungen senken, gelingt es den Unternehmen hingegen, Kostensteigerungen zumindest auf längere Sicht aufzufangen.

Sie können den Kostendruck, dem sie etwa durch Lohnforderungen ausgesetzt sind, relativ problemlos kompensieren, indem sie Prozess- oder Produktinnovationen erreichen, die kostendämpfend wirken. So gelang es den Unternehmen insbesondere während der Zeit des Wirtschaftswunders, hohe Lohnzuwächse zuzulassen und gleichzeitig das Preisniveau stabil zu halten.

Seitdem, und verschärft ab Mitte der 1990er Jahre, ist die Fähigkeit der Unternehmen auf diesem Weg Reallohnzuwächse zuzulassen, immer weiter erodiert. Ab Mitte der 1990er Jahre gelang es zwar die Preise weiterhin stabil zu halten, die nominalen Lohn- und Gehaltsteigerungen wurden jedoch immer dürftiger. Bis zur Corona-Krise wurde daher nur noch ein durchschnittlicher jährlicher Anstieg der Reallöhne von etwa 0,5 Prozent erreicht2, der sich nun jedoch in sein Gegenteil verkehrt.

Vor die Welle kommen

In der heutigen "Zombiewirtschaft", die praktisch keine Produktivitätssteigerungen mehr erreicht, sind die Unternehmen gezwungen, diese Preissteigerungen weiterzugeben. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die steigenden Kosten, die sie nicht durch eigene Maßnahmen ausgleichen können, bei den Endverbrauchern abzuladen. Letztlich gelingt auch das nur, wenn sie den Erwerbstätigen nicht gleichzeitig einen vollen Inflationsausgleich gewähren.

Wie die meisten Wirtschaftsforscher, Zentralbanken und Politiker überbewertet die IG Metall die nur temporär preistreibenden Effekte durch den Ukrainekrieg und die Lieferkettenstörungen, also die Auslöser der Inflation, während sie die langfristigen Ursachen der Inflation – die in der Stagnation der Arbeitsproduktivität und in der Klimapolitik liegen – in gefährlicher Weise unterschätzt oder gar nicht auf dem Schirm hat.

Das hat verheerende Folgen für die Erwerbstätigen: Denn in dieser Krise entscheidet sich, ob die auf Dauer ansteigenden Energiekosten auf die Erwerbstätigen und Transferleistungsempfänger abgewälzt werden. Dazu dient auch das Schüren von Ängsten vor einer, vermeintlich von steigenden Löhnen ausgehenden, Lohn-Preis-Spirale.

Um ihren Wohlstand erhalten zu können, dürfen sich die Beschäftigten in der Metall- und Elektrobranche nicht von derartigen Vorstellungen leiten lassen und müssen stattdessen eine Wirtschafts- Geld- und Klimapolitik einfordern, die Arbeitsproduktivitätssteigerungen ermöglicht, anstatt diese zu blockieren.

Außerdem sollten sie unmittelbar der Empfehlung des Unternehmensberaters und Ökonomen Hermann Simon folgen, der den Unternehmen vor kurzem die Tragweite der auf sie zurollenden ökonomischen Krise vermittelte. Unternehmen, so Hermann, "machen einen großen Fehler, wenn sie in der Inflation ihre Preise zu spät erhöhen", denn wer diesen Schritt nicht rechtzeitig macht oder nicht machen kann, verliere an wirtschaftlicher Substanz.

Für die Unternehmen geht es also ums wirtschaftliche Überleben und diejenigen, die ihre Preise nicht oder nicht rechtzeitig erhöhen können, müssen versuchen, ihre Kosten zu drücken. Sofern sie dies nicht über Restrukturierungen und technologische Innovationen erreichen können, werden sie immer abhängiger von niedrigen Löhnen und Gehältern, denn diese bilden in der Regel den größten Anteil an den Gesamtkosten der Unternehmen.

Die Erwerbstätigen sollten ihnen nicht diesen Gefallen tun. Nur wer rechtzeitig höhere Löhne durchsetzen kann, also vor die Inflationswelle kommt, kann seinen Wohlstand sichern und die Unternehmen letztlich dazu drängen, die steigenden Lohnkosten mit kostensenkendem und wettbewerbsverbesserndem technologischem Fortschritt auszugleichen.

Anstatt mit Reallohnsenkungen eine gescheiterte Wirtschafts-, Geld- und Klimapolitik zu unterstützen, die darauf hinwirkt, schwache Unternehmen, die hohe Löhne nicht verkraften, zu erhalten, sollten diejenigen Unternehmen überleben, die einen dauerhaft steigenden Wohlstand ermöglichen.

Mit einer ausführlichen Analyse der Produktivitätsstagnation befasst sich das aktuelle Buch von Alexander Horn: "Die Zombiewirtschaft - Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind" mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.