Äthiopien: Der Hungertod droht

Seite 2: Äthiopien gibt sich nach Sanktionsdrohung der USA antikolonial

Wurde der Kurs von Abiy Ahmed Ali unter Präsident Trump noch begrüßt und unterstützt, gehört die neue US-Regierung mittlerweile zu den Kritikern und droht aufgrund der humanitären Lage offen mit Sanktionen.

In der propagandistischen Auseinandersetzung setzt die äthiopische und eritreische Regierungspropaganda zunehmend auf antiamerikanische Reflexe und betont das Prinzip der Souveränität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten.

In sozialen Medien und teilweise in linken Medien wird dieses Vorgehen gefeiert. Endlich werden neokolonialen Bestrebungen des Wertewestens einmal die Grenzen aufgezeigt. Der unbeugsame Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed Ali im Verbund mit seinem neuen Freund Isaias Aferwerki zeigen den USA, dass sie sich nicht unterkriegen lassen.

Auf den ersten Blick und oberflächlich gesehen mag eine derartige Positionierung einleuchtend erscheinen. Dass die Verteidigung humanitärer Werte eher propagandistische Tarnung für westliche Machtpolitik ist, zeigen nicht nur die unzähligen Einmischungen, Destabilisierungen und Kriege durch die USA und ihre Bündnispartner in den letzten Jahrzehnten.

Heute reicht ein Blick auf die Bündnispartner der USA, um die Verlogenheit der Wertefassade zu entlarven. Die Türkei und Saudi-Arabien seien als zwei von vielen Beispielen erwähnt.

Ist die Positionierung der amerikanischen Außenpolitik seit dem Amtsantritt von Biden gegenüber dem äthiopischen und eritreischen Vorgehen in Tigray durch humanitäre Überlegungen bestimmt? Davon ist nicht auszugehen. Letztendlich geht es den USA – wie auch China oder Russland – einzig und allein um eigene ökonomische und geopolitische Interessen am strategisch wichtigen Horn von Afrika. China und Russland blockieren jegliche Sanktion im UN-Sicherheitsrat.

Müssen also deswegen Abiy Ahmed Ali und Isaias Aferwerki in ihrem Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung unterstützt werden? Führt ein "linker" antiamerikanischer Reflex immer auf die richtige Seite? Ganz sicher nicht.

Im Falle Äthiopiens hat die Politik Abiy Ahmed Alis und seiner Bündnispartner zunehmend faschistische Züge. Wer Imperialismus, Rassismus und Faschismus, weil die USA sich gegen Abiy Ahmed positionieren.

Äthiopien kurz vor dem Kollaps?

Äthiopien war vor dem Amtsantritt Abiy Ahmed Alis sicher keine Demokratie. Jedoch ist es unter den Vorgängerregierungen unter Führung der TPLF zu einer beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung gekommen. Mit jährlichen Wachstumsraten von über meistens über zehn Prozent in den Jahren 1991 bis 2017, einer politischen Stabilität zumindest bis 2012, einem vergleichsweise fairen Ausbalancieren zwischen den immerhin rund 80 Ethnien unter Meles Zenawi und einem Sieg über den Hunger, der vor 1990 regelmäßig für schockierende Bilder sorgte, hatte Äthiopien eine ausgesprochen positive wirtschaftliche und politische Bilanz.

Abiy Ahmed Ali schafft es in wenigen Jahren jegliche Errungenschaft der vergangenen Dekaden zu zerstören:

  • Äthiopiens Wirtschaft ist auf Ramschniveau gesunken, die Inflation nährt sich der 30-Prozent-Marke;
  • das Land ist zerrüttet, ethnische Spannungen nehmen im ganzen Land zu;
  • seit 2018 ist die Zahl der Binnenflüchtlinge auf mehrere Millionen gestiegen, zehntausende sind in den benachbarten Sudan geflüchtet;
  • ethnischer Hass wird von der Zentralregierung und amharischen Nationalisten insbesondere gegen Tigray geschürt;
  • ausgerechnet eines der repressivsten Regimes Afrikas – Eritrea – wurde eingeladen, um in einem mörderischen Bürgerkrieg die Oberhand zu gewinnen;
  • Kriegsverbrechen tragen zur zunehmenden außenpolitischen Isolierung Äthiopiens bei, selbst die Afrikanische Union – anfangs kritiklos in der Unterstützung für Abiy – beginnt auf Distanz zu gehen.

Kriegsverbrechen bleiben Kriegsverbrechen, egal unter welchem ideologischen Vorzeichen sie begangen werden. Eine Regierung, die offen die Vernichtung einer ganzen Bevölkerungsgruppe propagiert, Hunger und Vergewaltigung als Waffe einsetzt und die eigene Jugend in einem mörderischen Bürgerkrieg verheizt, kann sich nicht hinter der Fassade der Nichteinmischung verstecken.

Angesichts der dramatischen Lage für die Bevölkerung in Äthiopien – nicht nur in Tigray – ist sicher nicht zu kritisieren, dass mit Sanktionen gedroht wird. Es ist vielmehr zu kritisieren, dass nicht schon längst umfassende Sanktionen gegen die Regierungen Äthiopiens und Eritreas verhängt wurden.