Aktionstage mit Blockade-Marathon: Klimabewegung trifft Verdrängungsgesellschaft

Die Bannmeile im Berliner Regierungsviertel ist für die "Letzte Generation" kein Tabu. Foto: Letzte Generation

Bewusst nerven, um wachzurütteln? – Viele, die selbst mehr Klimaschutz wollen, kritisieren diese Taktik. Auf den ersten Blick wirkt sie kontraproduktiv. Klarer Fall – oder doch nicht?

Wer in Berlin von Verkehrsbehinderungen durch die Klimabewegung genervt ist, sollte erst einmal tief durchatmen: Bereits morgen startet in der Hauptstadt die "Frühlingsrebellion" des Netzwerks Extinction Rebellion (XR), die bis zum 17. April andauern soll. Neben angemeldeten Demonstrationen und einem Protestcamp im Invalidenpark stehen auch wieder Aktionen des zivilen Ungehorsams auf dem Programm.

Danach gibt es gerade einmal zwei Tage Pause – denn für den 19. April kündigt die Gruppierung "Letzte Generation" an, im Berliner Regierungsviertel mit mehr als 700 Personen "friedlichen zivilen Widerstand gegen den zerstörerischen Kurs der Bundesregierung zu leisten".

Letztere ist der eigentliche Adressat, wenn die berüchtigten "Klimakleber" den Verkehr aufhalten – sowohl XR als auch die "Letzte Generation" betonen immer wieder, dass sie die individuell betroffenen Autofahrer nicht als Feinde sehen. Die Bevölkerung soll eher "wachgerüttelt" und auf die mittel- bis langfristigen Folgen des Normalwahnsinns aufmerksam gemacht werden – sie darf genervt und aufgehalten, aber nicht attackiert und beleidigt werden.

In Aktionstrainings beider Gruppierungen wird sogar geübt, auf derbe Beschimpfungen durch Autofahrer ruhig und sachlich zu reagieren – was aber nicht in sämtlichen Fällen Wutausbrüche bis hin zu Gewaltattacken von Autofahrern auf Beteiligte der Blockaden verhindert. Der "harte Kern" lässt sich davon allerdings genauso wenig abschrecken, wie durch Polizeigewalt und Präventivhaft.

Ein Volksentscheid als Stimmungsbarometer?

Dass solche Aktionen die meisten "Normalos" eher nerven, als sie für das eigene Anliegen zu sensibilisieren, ist ein häufiger Kritikpunkt auch aus linken Kreisen, die nicht grundsätzlich den Handlungsbedarf zur Begrenzung der Klimakatastrophe leugnen. Als weiterer Beleg dafür dürfte die Niederlage der Initiatoren beim Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral gelten.

Allerdings scheiterte dieser eher mangels Beteiligung als daran, dass genervte Autofahrer in Scharen mit Nein stimmten, um sich an der nervigen Klimabewegung zu rächen. Zumindest gab es mehr Ja- als Nein-Stimmen. Doch anders als bei der Wahl von Regierenden hätten hier mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten aktiv zustimmen müssen. Warum das so ist und was es über die demokratische Legitimation der Regierungsparteien ohne eine solche Mindeststimmenzahl aussagt, wäre ein Thema für sich.

Unklar ist, wie viele Menschen beim Volksentscheid in der Hauptstadt aus Desinteresse am Klima zu Hause blieben – und wie viele vielleicht eher wegen der frustrierenden Erfahrung, wie die Berliner Landespolitik mit satten Mehrheiten bei Volksentscheiden umgeht.

Eine satte Mehrheit hatte immerhin die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen im September 2021 am Tag der Bundestagswahl erreicht – die geforderte Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne hat es aber seither nicht gegeben. Schon die "rot-grün-rote" Berliner Landesregierung ließ die Umsetzung des Volksentscheids im Sand verlaufen, eine Expertenkommission sollte erst einmal prüfen, ob sie denn wirklich möglich sei, nachdem sich die Enteignungsinitiative auf Artikel 15 des Grundgesetzes berufen hatte.

Wer heute von der Bundesregierung effektiveren Klimaschutz fordert, kann sich immerhin auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr 2021 berufen. Das Gericht hatte damals noch die Vorgängerregierung ermahnt – das Klimaschutzgesetz war daraufhin verschärft worden. Nun hat der Koalitionsausschuss der Ampel-Bundesregierung die Regeln allerdings wieder aufgeweicht – Sektorziele mit jährlichen Zwischenschritten sind vorerst abgeschafft; vor allem Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) dürfte aufatmen.

Bedingt aussagekräftig: Appell mit schlechter Resonanz

Dagegen richtet sich nun auch eine Petition mit der Überschrift "Unsere Generation - unser Job: Aufruf zur gemeinsamen Generationenverantwortung" – und bisher mäßigem Erfolg: Seit sie am Mittwoch vergangener Woche veröffentlicht wurde, haben nicht einmal 25.000 Menschen unterschrieben, obwohl sie von einem breiten Bündnis und teils prominenten Persönlichkeiten gestartet wurde.

Vielleicht wäre die Resonanz etwas größer, wenn das Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz heftig skandalisiert worden wäre – wie das "Manifest für Frieden" von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, das anfangs mehr als 100.000 Unterschriften pro Tag erhielt.

Millionen wählten in der Hoffnung auf mehr Klimaschutz die Grünen

Dass sich so viel weniger Menschen effektiven Klimaschutz wünschen, ist nicht anzunehmen, denn immerhin waren die Grünen mit diesem Thema im Bundestagswahlkampf relativ erfolgreich – sie warben damals nicht primär mit harter Nato-Rhetorik für sich und erhielten mehr als sechs Millionen Zweitstimmen, indem sie die heutige Ampel-Außenministerin Annalena Baerbock als mögliche "Klimakanzlerin" anpriesen.

Viele könnten aber inzwischen der Meinung sein, dass es sowieso nichts bringt, diese Regierung an ihre Wahlversprechen zu erinnern. Manche Klima-Aktivisten erklären unterdessen ihre Nerv-Taktik damit, dass es erst einmal darum gehe, die gedankliche Verdrängung des Problems zu verhindern.

Laut Umfragen gibt es zumindest keine Mehrheit, die grundsätzlichen Leugnern des menschen- beziehungsweise systemgemachten Klimawandels glaubt oder ihn für harmlos hält. Im Gegenteil: Nur 15 Prozent sahen hier laut Infratest dimap im vergangenen Jahr keinen oder wenig Handlungsbedarf, mehr als 80 Prozent großen oder sehr großen. Die Verdrängung des Problems im kapitalistischen Alltag, der es immer weiter verschärft, dürfte also tatsächlich das Hauptproblem sein.