Aktionstraining mit Extinction Rebellion: gewaltfrei, aber entschlossen zu stören
Bei den Blockaden, die gerade in Berlin beginnen, geht es nicht darum, einzelne Autofahrer zu nerven. Das ist aus Sicht der Klima-Aktivisten nur leider unvermeidbar
Sie wollen stören und den Verkehr in der Hauptstadt lahmlegen, um zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann: Sechs Tage, nachdem der Weltklimarat seinen Bericht veröffentlicht hat, sind am Sonntag viel mehr Menschen zum Aktionstraining von Extinction Rebellion in Berlin gekommen, als die Trainerinnen erwartet haben. Knapp 100 Personen sind es geworden. Zum Glück ist der Übungsraum – ein stillgelegtes Autoscooter-Fahrgeschäft auf einem Hinterhof in der Karl-Marx-Allee – nach allen Seiten offen und es regnet nicht, so kann das Training trotzdem "coronakonform" stattfinden.
In dieser Woche werden sie in der Hauptstadt viele Leute verärgern und deren Alltag mit Straßenblockaden durcheinander bringen. Sie werden die genervten Leute reden lassen, ihnen zuhören und Verständnis zeigen, wenn sie sich anhören müssen: "Was soll der Scheiß?", "Ist das überhaupt legal?" oder "Geht arbeiten". Denn das haben Sie am Sonntag mit Masken und verteilten Rollen geübt: Ruhig bleiben und argumentieren, warum es falsch ist, zur Tagesordnung überzugehen und die Umwelt- und Klimakrise einfach zu verdrängen, bis sie sich gar nicht mehr verdrängen lässt – und dass sie einige Menschen auch in Deutschland schon jetzt eingeholt hat.
Manche werden in diesem Rollenspiel richtig pampig oder mutieren zu Leugnern des menschengemachten Klimawandels. Nachdem Edgar, 52, die junge Aktivistin angepöbelt hat, werden die Rollen getauscht: Sie ist jetzt die gestresste Autofahrerin. "Sie haben doch vielleicht Kinder", sagt er, um sie zum Nachdenken über die Zukunft des Planeten zu bringen. "Ja, die muss ich gleich von der Schule abholen, aber sie lassen mich ja nicht!" Gleichwohl versucht er, sie zu agitieren, weil es bald zu spät sein könnte, um die Erderwärmung auf 1,5 bis maximal zwei Grad zu begrenzen. "Sie können auch jederzeit bei uns mitmachen!" – "Dazu bin ich ein bisschen zu alt", sagt die etwa 20-Jährige". Beide lachen.
Viele sind hier gut gelaunt. Die Aussicht, etwas tun zu können, auch wenn unklar ist, was es bringen wird, und die Katastrophe nicht passiv auf sich zukommen zu lassen, hebt ihre Stimmung. Niemand hat etwas dagegen, dass eine Journalistin anwesend ist, aber nicht alle wollen fotografiert werden oder ihre Klarnamen in der Presse lesen. Vornamen oder Aktionsnamen wie "Chili" oder "Erdferkel" werden verwendet.
"Wir wollen so viele Menschen wie möglich 'abholen'"
Gesprochen wird auch über die rechtliche und moralische Bewertung von Aktionsformen: Was ist illegal, aber möglicherweise legitim? Wo liegen die Grenzen der Legitimität – und was ist vielleicht legitim, aber dem Durchschnittsdeutschen so schlecht vermittelbar, dass es trotzdem keine gute Idee wäre? – Die Trainerinnen erinnern hier an eine Auseinandersetzung mit aufgebrachten Pendlern 2019 in London, wo englische Aktivisten ausgerechnet Nahverkehrszüge blockiert hatten. Extinction Rebellion (XR) hatte den Vorfall kurz darauf selbstkritisch aufgearbeitet, stand aber daraufhin erst einmal im Ruf, zu wenig Verständnis für "normale Arbeiter" zu haben. Nicht nur in Großbritannien, wo das internationale Netzwerk gegründet wurde.
"Wir wollen so viele Menschen wie möglich 'abholen'", sagt Trainerin Nikki. Denn erklärtes Ziel von XR ist die Durchsetzung von Bürgerräten, die verbindliche Beschlüsse zur Bewältigung der Klimakrise fassen können – und nicht nur Empfehlungen ausarbeiten, wie es ein zivilgesellschaftlich organisierter "Bürgerrat Klima" bereits getan hat. XR begrüßte das, kritisierte aber, dass die Politik mit diesen Empfehlungen im Grunde machen kann, was sie will. Richtig ist aber nach Überzeugung von XR, an die Kraft und Intelligenz der Bevölkerung zu glauben – die Bürgerräte sollen daher repräsentativ ausgelost werden.
Wenn dabei annähernd das herauskommen soll, was die Aktiven sich wünschen, ist noch viel Überzeugungsarbeit gefragt. XR wolle "so inklusiv wie möglich sein", betont die Trainerin. Diskriminierendes Verhalten, Sexismus und Rassismus würden hier nicht akzeptiert – ansonsten könne aber auch mitmachen, "wer gestern noch CDU gewählt hat".
Das Netzwerk meldet zwar seine Aktionen nicht an und unterscheidet zwischen "legitim" und "legal", hat sich aber klar für Gewaltfreiheit entschieden – auch für gewaltfreie Kommunikation, was nicht immer ganz einfach ist, wenn zornige Autofahrer Beleidigungen unterhalb der Gürtellinie ausstoßen. "Wir versuchen auch keine Gewalt zu provozieren", sagt Nikki. Das sei wichtig, damit auch Schwangere, Ältere und Menschen mit Behinderung an Aktionen teilnehmen könnten.
"Die meisten Menschen wollen die Umwelt nicht zerstören", ist Toni überzeugt. Es müsste ihnen nur leichter gemacht werden, das nicht zu tun. Dazu müssten sich die politischen Rahmenbedingungen ändern und die Verkehrswende endlich in die Gänge kommen. Deshalb macht sie nun bei XR mit, obwohl sie bisher ziemlich staatskonform gewesen sei, sagt die 54-jährige. Die meisten hier sind deutlich jünger, der Schwerpunkt dürfte zwischen 18 und 30 Jahren liegen. "Wir heben hier den Altersdurchschnitt", sagt Edgar, der in Wirklichkeit anders heißt und als Lehrer an einem Abendgymnasium in Bonn arbeitet.
Mit heute 52 Jahren war er schon vor vielen Jahren in der Umweltbewegung aktiv. Die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth, die auf Extinction Rebellion eher schlecht zu sprechen ist, fand er mal "richtig gut", ihre scharfe Kritik an den Grünen hält er auch heute für "brillant". Dass Ditfurth vor zwei Jahren XR als "Weltuntergangssekte" bezeichnete, sorgt hier für Kopfschütteln.
"Listen to the Science" – also auf die Wissenschaft zu hören – ist eines der zentralen Prinzipien. So bezieht sich der Name "Rebellion gegen das Aussterben" nicht darauf, dass in wenigen Jahrzehnten die Menschheit aussterben könnte, sondern auf die Gefahr, dass in diesem Zeitraum ein "Point of no Return" erreicht wird, auch wenn sich das Elend dann noch ein paar Jahrhunderte hinziehen könnte – und natürlich auf das Artensterben in der Tier- und Pflanzenwelt.
"Ein stärkeres Signal"
Sonntagnachmittag in einem Berliner Park: Hier haben sich etwa 25 Aktive versammelt, die sich vorstellen können, vielleicht etwas weiterzugehen und die Blockade zu verlängern, wenn die meisten anderen schon von der Polizei weggetragen wurden. Im "Lock-On und Glue-On Training" lernen sie alles über effektives Anketten und Festkleben. "Wir sagen euch nicht, dass ihr das tun müsst, wir zeigen euch nur, wie es geht", sagt einer der Trainer. Es sei ein stärkeres Signal, um zu zeigen, wie ernst es einem sei, weil die Lage schließlich auch ernst sei.
Der Workshop findet auf Englisch statt, denn ein Teil der Interessierten ist aus Polen angereist. Vor- und Nachteile verschiedener Ketten, Fahrradschlösser und des beliebten "Rohr-Locks" werden erklärt, außerdem geht es um Verletzungsgefahren und die üblichen Überredungstaktiken der Polizei, sich doch loszumachen, weil es sonst sehr weh tun oder viele tausend Euro kosten könnte, wenn beispielsweise die Feuerwehr oder das technische Hilfswerk anrücken muss. Allerdings müssen diejenigen, die sich anketten oder festkleben, nicht damit rechnen, alleine auf den Kosten sitzenzubleiben.
"Uns wird manchmal vorgehalten, dass wir doch Glück haben, in Deutschland zu leben, wo die Polizei uns nicht verletzen darf, wenn sie solche Aktionen beendet", sagt der Trainer. "Aber deshalb machen wir es ja hier." Denn in anderen Ländern, die von der Klimakrise zum Teil schlimmer betroffen sind, hätten die Menschen diese Möglichkeit nicht.
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