Als Jörg M. schockiert feststellte, dass er von Rechtsextremen umgeben war
Jahrelang war Jörg M. Funktionär einer bürgerlichen Partei, von der er dachte, sie sei nur gegen den Euro und ein bisschen islamkritisch. Dann merkte er, dass irgendetwas nicht stimmte
Es gab lange Zeit nur kleine, schwer zu deutende Anzeichen. Etwa 2017, als Jörg M.s Parteifreund Björn H. von einer "dämlichen Bewältigungspolitik" sprach und befand: "Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat" - und damit anscheinend das Holocaust-Mahnmal in Berlin meinte. Jörg M. ließ jedoch die Unschuldsvermutung gelten. Das konnte doch gar nicht so gemeint sein, schließlich war sein Parteifreund ausgebildeter Geschichtslehrer.
Es klang zumindest systemkonform
Aber deshalb musste Björn H. ja nicht zwangsläufig an den NSDAP-Politiker Joseph Goebbels denken, als er im Jahr darauf etwas und Schafen und Wölfen faselte: "Wir müssen uns entscheiden, ob wir Schafe oder Wölfe sein wollen. Und wir entscheiden uns dafür, Wölfe zu sein." Jener Björn H. erwies sich zwar als zuverlässiger Lieferant solcher kleinen Anhaltspunkte, aber Jörg M. wollte nicht gleich das Schlechteste denken.
Natürlich auch nicht von seiner smarten blonden Parteifreundin Alice W., als diese von "Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierten Messermännern und sonstige Taugenichtsen" sprach, die "unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern" würden. Schließlich war das, was sie sagte, rein wirtschaftspolitisch völlig systemkonform. Das Sozialstaats-Gedöns mochten doch andere bürgerliche Parteien auch nicht.
Im Frühsommer 2018, als Jörg M.s Parteifreund Alexander G. frei von der Leber weg sagte: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte", fand Jörg M. diese Formulierung aber schon "ausgesprochen unglücklich". Langsam dämmerte ihm etwas, das eigentlich nicht wahr sein durfte.
Geduldiger als seine Ex-Ko-Chefin
Aber erst dreieinhalb Jahre später hatte er so etwas wie Gewissheit. Vorher konnte der gutbürgerliche Euro- und Islamkritiker den Gedanken, dass er Chef eines ultrarechten Haufens sein könnte, einfach nicht an sich heranlassen. Obwohl seine Ko-Chefin Frauke P. schon im Herbst 2017 kalte Füße bekommen hatte und aus der Partei ausgetreten war. So einfach wie sie wollte Jörg M. es sich nicht machen. Er versuchte weiterhin geduldig, seine Parteifreunde zur Mäßigung in ihrer Wortwahl zu bewegen.
Erst in dieser Woche hatte auch er endgültig genug gehört und gesehen: Er habe der Bundesgeschäftsstelle mitgeteilt, dass er sein Amt niederlegen und die AfD verlassen werde, sagte M. am Freitag laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor hatten WDR, NDR und das ARD-Hauptstadtstudio berichtet. "Das Herz der Partei schlägt heute sehr weit rechts", zitierten ihn die Sender zur Begründung.
Teile der Partei stünden seiner Meinung nach nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung, sagte er nach Angaben der ARD: "Ich sehe da ganz klar totalitäre Anklänge." Sein Mandat im Europäischen Parlament will der 60-jährige Volkswirt aber behalten.
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