Als die US-Interventionisten ihre "Rote-Linien"-Politik räumen mussten – und was folgte

US-Präsident Barack Obama und der britische Premierminister David Cameron. Bild: Pete Souza, Weißes Haus / Public Domain

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten verloren die Kriegsbefürworter in den USA. Das war vor zehn Jahren wegen Syrien. Was damals geschah, und welche Lektion Washington daraus zog. Gastbeitrag.

Vor zehn Jahren wurden die USA und Großbritannien von der Debatte darüber erschüttert, wie sie auf den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung im Bürgerkrieg des Landes reagieren sollten.

Daniel Larison ist Redakteur bei Antiwar.com und leitete zuvor die Zeitschrift The American Conservative.

US-Präsident Barack Obama hatte im Jahr zuvor gedroht, dass der Einsatz solcher Waffen eine "rote Linie" für seine Regierung überschreiten würde. Als der Angriff erfolgte, wollte Obama seine unbedachte Drohung wahr machen.

Es schien, als könnte sich die Intervention in Libyen von 2011 wiederholen, als sich die USA gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich an einer zunächst begrenzten Mission beteiligten, die sich dann zu einem Krieg mit Regimewechsel ausweitete.

Zumindest bereitete sich Obama darauf vor, Gewalt gegen einen anderen Staat anzuwenden, obwohl weder die Sicherheit der USA noch die der Verbündeten das erforderte.

Dann geschah etwas Bemerkenswertes: Die gewählten Vertreter sowohl in Großbritannien als auch in den Vereinigten Staaten kamen zu Wort und verweigerten ihre Zustimmung zu der Intervention. Zunächst lehnte das britische Unterhaus den Antrag der Regierung auf Genehmigung der Militäraktion ab. Aufgrund dieses Ergebnisses sah sich Obama gezwungen, sich an den US-Kongress zu wenden, um eine Genehmigung zu erhalten, die nicht erteilt wurde.

Letztendlich waren die Regierungen Cameron und Obama nicht in der Lage, die Bombardierung fortzusetzen, die sie nur wenige Wochen zuvor begonnen hatten. Ohne die Beteiligung der USA und Großbritanniens hielt sich Frankreich zurück.

Anstelle der "unglaublich kleinen" Aktion, die der damalige Außenminister Kerry versprochen hatte, fanden die USA und Russland eine vielfach geschähte diplomatische Lösung, mit der die meisten syrischen Chemiewaffenbestände erfolgreich beseitigt wurden.

Über einige Wochen in der Zeit von Ende August bis Anfang September 2013 gab es eine lebhafte Debatte über militärische Maßnahmen, bevor sie begonnen hatten. Die Debatte trug dazu bei, die Eile zur Anwendung von Gewalt zu verlangsamen und schließlich zu stoppen.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten haben die Interventionisten verloren. Es zeigt, was passieren kann, wenn die Rolle des Kongresses in Kriegsangelegenheiten respektiert wird. Das hat die USA davon abgehalten, Feindseligkeiten gegen ein Land einzuleiten, das uns nicht angegriffen hat und uns nicht bedroht.

Es gab einen Moment, in dem es so aussah, als ob die US-Außenpolitik zumindest etwas vernünftiger und zurückhaltender werden könnte, als sie es seit Beginn des Jahrhunderts ist, aber das stellte sich als Trugschluss heraus.

Leider hat Obama seine Lektion aus der Syrien-Episode gelernt. Die Lektion, die er gelernt hat, war, dass er nie wieder die Zustimmung des Kongresses für militärische Aktionen oder ein Engagement irgendwo anders einholen würde.

Nur ein Jahr, nachdem er den Kongress gebeten hatte, eine Resolution zu verabschieden, die den Einsatz von Gewalt in Syrien genehmigte, ordnete er eine nicht genehmigte Militäraktion im Irak und dann in Syrien an, diesmal gegen die Kräfte des Islamischen Staats.

Diese Intervention war in Washington weitgehend populär und unumstritten. Kaum jemand nahm den Beginn eines weiteren illegalen Krieges zur Kenntnis.

Neun Jahre später befinden sich die US-Streitkräfte immer noch ohne Genehmigung in Syrien. Die meisten Mitglieder des Kongresses wollen sich nicht damit beschäftigen, geschweige denn ihren Abzug fordern.

In den Jahren seit der ersten Debatte über die "rote Linie" haben die USA während der Trump-Administration auch Angriffe auf die syrische Regierung durchgeführt, die nichts anderes bewirkt haben, als die Verfassung und das Völkerrecht zu verhöhnen. Trumps Entscheidungen, 2017 und 2018 Gewalt gegen die syrische Regierung anzuwenden, zeigen auch, wie ineffektiv ein militärisches Vorgehen im Jahr 2013 gewesen wäre.

Abgesehen von den peinlichen Lobeshymnen der Fernsehjournalisten waren Trumps illegale Gewaltanwendung gegen Syrien nutzlos und wurden schnell vergessen.

Die Ideologie des Glaubwürdigkeitsverlusts

Die Tatsache, die während der ursprünglichen Debatte über die Bombardierung Syriens im Jahr 2013 wenig Beachtung fand, war, dass die Bombardierung ohne die Genehmigung der Vereinten Nationen illegal gewesen wäre. Die USA und ihre Verbündeten hätten sich nicht selbst verteidigt, indem sie syrische Regierungstruppen angriffen.

Um eine internationale "Norm" aufrechtzuerhalten, beanspruchten die USA und ihre Verbündeten das Recht, eines der wichtigsten Verbote des Völkerrechts mit Füßen zu treten. Für die Befürworter der Intervention war es wichtiger, die sogenannte Glaubwürdigkeit der USA zu wahren, als die UN-Charta zu respektieren.

Die Debatte über die "rote Linie" war nützlich, um zu zeigen, wie die Verfechter der "regelbasierten Ordnung" das Völkerrecht verachten, wenn es ihnen in die Quere kommt.

Ein großer Teil der Argumente für eine Intervention bestand in der Fixierung auf die Bedeutung militärischer Maßnahmen, um die Glaubwürdigkeit der USA in den Augen von Gegnern und Verbündeten gleichermaßen zu erhalten. Wenn die USA ihre Drohung, die syrische Regierung anzugreifen, nicht umsetzen, würde das Verbündete und Partner entmutigen und die Gegner dazu veranlassen, aggressiver zu werden, so diese engstirnige Sichtweise.

Es spielt dabei keine Rolle, dass diese Sicht auf die Funktionsweise von "Glaubwürdigkeit" leicht zu widerlegen ist. Gegner beurteilen die Glaubwürdigkeit von Drohungen und Versprechungen anhand der Interessen, die für die USA auf dem Spiel stehen

Sie prüfen dabei die Fähigkeiten, die das Land zur Verteidigung dieser Interessen einsetzen könnte. Sie richten sich nicht danach, ob die USA immer auf Gewalt zurückgreifen, um Drohungen zu untermauern.

Niemand kann ernsthaft glauben, dass die Verlässlichkeit der US-Vertragsverpflichtungen von der Bombardierung eines Landes abhängt, das nicht mit den USA in Verbindung steht und eine halbe Welt entfernt ist. Aber das ist es, was uns die Hardliner bezüglich Glaubwürdigkeit weismachen wollen und müssen.

Der Vorteil des Glaubwürdigkeitsarguments der Außenpolitik-Falken besteht darin, dass es von der Tatsache ablenkt, dass für die USA an dem betreffenden Ort keine lebenswichtigen Interessen auf dem Spiel stehen. Die Interventionisten berufen sich auf die Glaubwürdigkeit, wenn sie wissen, dass die Argumente für eine militärische Aktion in der Sache besonders schwach sind.

Dann versucht man, den militärischen Eingriff in eine Debatte über die Rolle der USA in der Welt zu verwandeln. Sie nutzen den Appell an die Glaubwürdigkeit gerne als Allzwecklizenz zum Töten.

Im Jahr 2013 hat das nicht funktioniert. Die Öffentlichkeit und der Kongress ließen sich nicht dazu verleiten, unnötige Militäraktionen zu unterstützen. Nachdem das US-amerikanische Volk mit einem klaren Nein geantwortet hat, haben die Interventionisten gelernt, nicht erst um Erlaubnis zu fragen.

Das Argument der Glaubwürdigkeit machte vor zehn Jahren keinen Sinn. Es hat sich mit der Zeit nicht verbessert.

Trotz einiger verzweifelter Behauptungen, die russische Invasion in die Ukraine sei irgendwie darauf zurückzuführen, dass die USA in einem anderen Teil der Welt keine militärischen Maßnahmen ergriffen haben, ist in den Jahren nach der Debatte von 2013 nichts geschehen, was die Behauptungen der Glaubwürdigkeitsfanatiker stützt.

Die USA haben sich gegen Luftangriffe auf Syrien entschieden. Das hat zu keinem der von den Hardlinern heraufbeschworenen Katastrophenszenarien geführt.

Kein Verbündeter verlor den Glauben an die Versprechen der USA, kein Gegner zweifelte an der Bereitschaft der USA, ihre realen Verpflichtungen einzuhalten. Im Nachhinein können wir beobachten, wie falsch die Falken vor zehn Jahren lagen.

Daran sollten wir uns erinnern, wenn sie das nächste Mal darauf bestehen, dass unsere Regierung willkürlich Menschen töten muss, um Amerikas Ruf in Bezug auf die Anwendung von Gewalt aufrechtzuerhalten.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.