Alzheimer-Diagnose: KI wittert erste Anzeichen, Jahre bevor Ärzte es ahnen
KI analysiert Sprache und erkennt frühzeitig Alzheimer-Risiko. Neue Hoffnung: Durch Früherkennung könnten Therapien ansetzen. Doch was leistet die Technik wirklich?
In Deutschland leben knapp 1,8 Millionen Menschen mit Demenz und in den nächsten Jahrzehnten könnten es mehr werden. Schätzungen zufolge könnten im Jahr 2050 bis zu 2,8 Millionen Menschen im Alter von über 65 Jahren daran erkrankt sein – wenn es keinen Durchbruch bei Prävention und Therapie gibt, schreibt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.
Demenz in Deutschland: Millionen Betroffene bis 2050 erwartet
Unter Demenz verstehen die American Psychological Association (APA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Abbau und Verlust kognitiver Fähigkeiten. Betroffen sein können verschiedene Bereiche wie Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis, Orientierung, Urteilsvermögen, planendes Handeln (sogenannte exekutive Funktionen), Sprache, Motorik sowie die Fähigkeit zum sozialen Austausch mit anderen, die soziale Kognition.
Der kognitive Abbau schreitet mit der Zeit voran und beeinträchtigt zunehmend die Aktivitäten des täglichen Lebens. Es gibt viele verschiedene Formen von Demenz. Am häufigsten ist die Alzheimer-Demenz, gefolgt von der vaskulären Demenz, der Lewy-Body-Demenz und der Frontotemporalen Demenz.
Grundsätzlich kann eine Demenz in jedem Alter auftreten, das Erkrankungsrisiko steigt jedoch mit zunehmendem Alter stark an. Frauen sind insgesamt häufiger von Demenz betroffen als Männer.
Künstliche Intelligenz als Früherkennung von Alzheimer
Ob jemand an Alzheimer erkrankt, der häufigsten Ursache für Demenz, könnte sich künftig schon sehr früh feststellen lassen. Forscher der Boston University (BU) haben eine neue, auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software entwickelt, die Alzheimer bereits Jahre vor Ausbruch der Krankheit erkennen soll.
Das KI-Modell analysiert Sprachmuster und kann mit einer Genauigkeit von 78,5 Prozent vorhersagen, ob eine Person mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen in den nächsten sechs Jahren stabil bleibt oder eine Alzheimer-assoziierte Demenz entwickelt. Dies berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Alzheimer's & Dementia".
Traditionelle Diagnosemethoden und ihre Grenzen
Um festzustellen, ob eine Person an der Alzheimer-Krankheit leidet, sind in der Regel eine Reihe von Untersuchungen erforderlich, darunter Befragungen, bildgebende Verfahren des Gehirns und Untersuchungen von Blut und Rückenmarksflüssigkeit. Zu diesem Zeitpunkt haben jedoch häufig bereits erste Symptome wie Gedächtnisverlust und Persönlichkeitsveränderungen eingesetzt.
Neue Therapien könnten das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen, wenn sie früh erkannt wird. Bislang gibt es jedoch keine zuverlässige Methode, um vorherzusagen, wer eine Alzheimer-Demenz entwickeln wird.
KI-Modell analysiert Sprachmuster zur Vorhersage von Alzheimer
Das von den BU-Forschern entwickelte KI-Modell könnte dies ändern, indem es einfach die Sprache des Patienten analysiert. Laut Studienleiter Yannis Paschalidis, Direktor des BU Rafik B. Hariri Institute for Computing and Computational Science & Engineering, zeigt dies "die Macht der KI".
"Wir hoffen, dass es mehr Behandlungsmöglichkeiten für Alzheimer geben wird", sagt Paschalidis. "Wenn man vorhersagen kann, was passieren wird, hat man mehr Möglichkeiten und ein Zeitfenster, um mit Medikamenten einzugreifen und zumindest zu versuchen, den Zustand stabil zu halten und den Übergang zu schwereren Formen der Demenz zu verhindern."
Für die Entwicklung des Modells nutzten die Forscher Daten der Framingham Heart Study, einer der ältesten und am längsten laufenden Studien in den USA. Obwohl diese Studie die kardiovaskuläre Gesundheit untersucht, werden regelmäßig neuropsychologische Tests und Interviews mit Teilnehmern durchgeführt, die Anzeichen eines kognitiven Verfalls zeigen.
Die Forscher analysierten Audioaufzeichnungen von Interviews mit 166 Personen im Alter von 63 bis 97 Jahren mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Bei 76 blieb der Zustand über sechs Jahre stabil, bei 90 verschlechterte er sich.
Mithilfe von Spracherkennungstools und maschinellem Lernen wurde ein Modell trainiert, das Zusammenhänge zwischen Sprache, Demografie, Diagnose und Krankheitsverlauf erkennt. Es berücksichtigt dabei nur den Inhalt der Gespräche, nicht aber akustische Merkmale wie Aussprache oder Sprechgeschwindigkeit.
Potenzial der KI-Technologie als Screening-Instrument
Rhoda Au, Mitautorin der Studie, sieht in der KI-Technologie das Potenzial, kognitive Beurteilungen als Screening-Instrument unabhängig von Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung, Sprache, Kultur oder Einkommen einzusetzen.
Das Ergebnis könne man sich als Wahrscheinlichkeit vorstellen, mit der eine Person stabil bleibt oder an Demenz erkrankt, so die Forscher.
Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass KI den Prozess der Demenzdiagnose effizienter und automatisierter machen könnte, mit wenig menschlichem Eingreifen. In der Zukunft, so die Vision der Wissenschaftler, könnten ähnliche Modelle Patienten versorgen, die nicht in der Nähe medizinischer Zentren leben, oder eine routinemäßige Überwachung durch Interaktion mit einer App zu Hause ermöglichen.
Auf diese Weise könnte die Zahl der untersuchten Personen drastisch erhöht werden. Nach Angaben von Alzheimer's Disease International wird die Mehrheit der Demenzkranken weltweit nicht offiziell diagnostiziert und bleibt von Behandlung und Pflege ausgeschlossen.