Am Anfang war das Bit
Neuer Ansatz in der Quantenmechanik?
Dr. phil. Anton Zeilinger und seine Forschungsgruppe an der Wiener Universität berichten in der heutigen Ausgabe von New Scientist über die Suche nach dem Wesen der Quantenmechanik, dem nicht reduzierbaren Kern, dem Urprinzip, das alles Weitere bedingt. Zeilinger glaubt, fündig geworden zu sein. Sollte er richtig liegen, könnten sich die Mysterien der Quantenwelt als unausweichliche Konsequenzen einer einzigen simplen Idee herausstellen. Dabei hängt die Anerkennung seines Denkansatzes von weit mehr ab als den Reaktionen der Elektronen, nämlich von den Reaktionen der anderen Quantenphysiker.
Die Quantentheorie kann sowohl Elementarteilchen, die um ein Hunderttausendfaches kleiner sind als Atome, als auch Systeme, die wesentlich größer sind, mit erstaunlicher Präzision beschreiben. Gleichzeitig aber produziert sie eine ganze Reihe untrennbar miteinander verbundener Rätsel, denen allesamt eines gemeinsam ist: Die vermutete Natur der Quantenwelt ist mit den eindeutigen Eigenschaften der klassischen Physik nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Die aus der Quantentheorie heraus entwickelte Quantenmechanik ist das Ergebnis von verschiedenen philosophischen Interpretationen, was letztlich gleichzeitig gegen die Überzeugungskraft jeder einzelnen spricht. Laut Zeilinger liegt das jedoch eher in der Natur der Sache, als dass es die mögliche Richtigkeit seiner Ergebnisse in Frage stellen würde.
Für ihn liegt das Hauptproblem für das Verständnis der Quantenmechanik darin, dass ihr ein einfaches zugrundeliegendes Prinzip fehlt: eine prägnante, verständliche Maxime, auf der auch alle anderen wichtigen physikalischen Theorien beruhen, eine Maxime, die eine Verbindung zwischen den abstrakten Formeln und der alltäglichen Wahrnehmung schaffen könnte.
Jetzt will Zeilinger die Quantenmechanik auf eine ähnliche Basis stellen, sie so beschreiben, dass philosophische Debatten zukünftig hinfällig würden. Dabei will er das Konzept der Information anwenden, das in der Physik bis heute lediglich ein Nischendasein fristet.
Was wir heute Realität nennen, ergibt sich aus den Fragen, die wir stellen, und den Antworten, die wir erhalten. In Zukunft werden wir lernen, die gesamte Physik in der Sprache der Information zu verstehen und zu beschreiben.
John Archibald Wheeler
Wie komplex die Fragen, die sich in einem Experiment stellen, auch immer sein mögen, sind sie doch jeweils auf einfachere Fragen zurückführbar. Die kleinste Informationseinheit, das Bit, ist dabei die Antwort auf jede Frage, die ein Ja oder Nein bedingt.
Zeilinger, der mit einem Experiment der "Teleportation" von Quanten (Die Beschränkung der Mikrowelt) bekannt geworden ist, legt hier einen konzeptionellen Sprung vor, indem er diese Bits in Verbindung mit den Bausteinen der Materie bringt. In der Quantenmechanik sind diese Bausteine die Elementarsysteme, welche sich wiederum nur durch die Bewegung der Elektronen in die eine oder andere Richtung messen lassen. Dieses ausschließende Entweder-Oder-Prinzip entspricht der Ja-oder-Nein-Antwort oder auch dem "1" und "0"-Prinzip des Computers.
Dieses System ist viel allgemeiner anwendbar als es zunächst scheint. Die Formel lässt sich unverändert auf alle vorstellbaren quantenmechanischen Systeme, die sich allein durch zwei verschiedene Zustände definieren, anwenden. Zeilinger umgeht dabei die Frage "Was ist ein Elementarsystem?", indem er stattdessen fragt "Was kann man über ein Elementarsystem aussagen?". Seine Schlussfolgerung ist, einfach ausgedrückt: Ein Elementarsystem enthält exakt ein Informationsbit.
So harmlos das klingt, so atemberaubend könnten die Konsequenzen von Zeilingers Prinzip sein, glaubt man New Scientist: Zunächst einmal geht es davon aus, dass die Welt selbst den Ausgangspunkt für die Quantenmechanik bildet. Und ähnlich, wie ein Anwalt einen Zeugen verhört, könnte die Natur ins Kreuzverhör genommen werden durch Fragen, die eine Ja-oder-Nein-Antwort nach sich ziehen.
Sind zwei Elektronen ineinander verschränkt, ist es unmöglich, eines getrennt vom anderen zu beschreiben; sie existieren nicht unabhängig voneinander. Das scheint nur anormal zu sein, bis man Zeilingers Prinzip anwendet: In der auf die Bewegung reduzierten Aussage enthält ein Zwei-Elektronen-System genau zwei Informationsbits; somit sind die Bits aufgebraucht und der Zustand ist vollständig beschrieben, ohne dass eine Feststellung über die Bewegungsrichtung gemacht wurde, da die ganze Zustandsbeschreibung nur aus relativen Aussagen oder Korrelationen besteht. Das bedeutet, dass, sobald die Bewegung eines Elektrons in eine bestimmte Richtung gemessen wird, die andere automatisch festgelegt ist, gleichgültig, wie weit die beiden voneinander entfernt liegen.
New Scientist
Die Kernbedeutung dieser Erkenntnis allerdings bleibt New Scientist dem Leser dank fehlender kognitiver Zusammenhänge nach wie vor schuldig ...
Mehr zum Rätsel der Quantenwelt erläutert Prof.Dr. Anton Zeilinger in seiner Abhandlung Jenseits jeder Gewissheit
Vergleicht man etwa den abstrakten Schauplatz des so genannten Hilbert-Raums, bei dem erfundene Zahlen, die auf einer Quadratwurzel von -1 basieren, verwendet werden, mit dem von Zeilinger und seinem Studenten Brukner vorgestellten dreidimensionalen Informationsraum, ist das Verhältnis zueinander ein wenig wie das einer genauen perspektivischen Zeichnung zu dem eines dreidimensionalen Objekts. Da die Bewegung eines Elektrons entlang der drei Achsen des realen Raums gemessen werden kann, erhält der Informationsraum einen direkteren Bezug zur Realität.
Jede Aussage in der Physik muss eine Aussage über beobachtbare Größen sein.
Ernst Mach
Nächstes Ziel wird es sein, diesen Ansatz von einem Elementarsystem auf viele anwendbar zu machen, und einen Weg zu finden, auch kontinuierliche Variablen wie Position und Geschwindigkeit miteinzubeziehen. Aber auch wenn Zeilinger und seinem Team das gelingen sollte, erscheint es naheliegend, dass dieser Ansatz von anderen Physikern abgelehnt wird: Warum sollten sie auch ein neues Prinzip annehmen, wenn es ihnen doch nichts Neues erzählt.
Dabei wäre eine neue Theorie der Quanteninformation vonnöten, um die Quantencomputer der Zukunft in den Griff bekommen zu können. Diese Technologie könnte eines Tages Berechnungen durch die Möglichkeiten des Quantensystems wesentlich schneller vollbringen, als es die heutigen herkömmlichen Computer vermögen.
Ohne die Quantentheorien wie etwa die des amerikanischen Ingenieurs Claude Shannon wäre der Fortschritt in der Telekommunikation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich langsamer vonstatten gegangen. Möglicherweise wird die totale Information ein ebenso wesentlicher Bestandteil des 21. Jahrhunderts werden.
Zeilingers Prinzip liegt noch in den Windeln. Es werden Jahre vergehen, bevor es unter einer Mehrzahl von Physikern Anerkennung finden könnte, sind doch auch die grundsätzlichen Standpunkte über den Realitätsstatus der Quantenwelt (vgl.Wenn das Quantenbit sich seiner selbst gewahr wird) noch längst nicht geklärt.