Amazon zerschlagen – LobbyControl liefert Anleitung dafür
Gutachten zeigt, wie US-Onlinegigant mit neuem Gesetz gezähmt werden könnte. Offen bleibt, ob die Bundesregierung handelt. Das sind die Hintergründe.
Ein Leben ohne Amazon? Nicht auszudenken oder nur zu schön, um wahr zu sein. Für Rechtsanwalt Kim Manuel Künstner wäre das Aus des Onlineriesen ein Befreiungsschlag – für die Wirtschaft, die Beschäftigten, die Verbraucher, nicht zuletzt die Demokratie. Künstner hat auch sehr konkrete Vorstellungen dazu, wie die Menschheit den US-Techkonzern loswird: durch Zerschlagung und Zerlegung in seine Einzelteile, auf dass er nicht mehr so viel Unheil anrichtet.
Der Experte für Kartellrecht in Diensten der Kanzlei Schulte Rechtsanwälte mit Sitz in Frankfurt (Main) hat ein Gutachten verfasst, das die Abwicklung des Systems Amazon auf 80 Seiten vorzeichnet. Dessen Titel – "Amazon entflechten?" – zeugt nicht etwa von Zweifeln daran, ob das Projekt rechtlich umsetzbar ist. Die Frage ist vielmehr: Sind Politik und Behörden bereit und willens, Firmenboss Jeff Bezos die Tour zu vermasseln.
Die Mittel dazu wären auf alle Fälle vorhanden, in Deutschland liegen sie praktisch frisch auf dem Tisch. Künstners Expertise entstand im Auftrag von LobbyControl und nicht zufällig ging der Verein damit genau an dem Tag an die Öffentlichkeit, an dem die neueste Fassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft getreten ist und das nach den Verlautbarungen führender Koalitionäre ein richtig großer Wurf sein soll.
Behörde mit Klauen und Zähnen
Dessen elfte Novelle wurde von der Ampelregierung im Lichte der Spritpreisrallye nach dem russischen Überfall auf die Ukraine auf den Weg gebracht. Unter dem Eindruck von Kosten jenseits der zwei Euro pro Liter verlangte etwa Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) "ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen". Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bemühte dasselbe Bild, indem er verkündete: "Schon die Erfinder der sozialen Marktwirtschaft wussten: Wir brauchen eine Wettbewerbsbehörde mit Biss."
Die gibt es nun – zumindest auf dem Papier. Mit dem neuen GWB verfügt das Bundeskartellamt seit Dienstag über bisher unbekannte Eingriffsbefugnisse im Falle "erheblicher und fortwährender" Marktstörungen. Erbrächte eine sogenannte Sektoruntersuchung im Onlinehandel den Nachweis, dass der Wettbewerb nicht funktioniert, kann das Amt "etwa neuen Wettbewerbern den Marktzugang erleichtern, stillschweigende Abstimmungen der großen Anbieter auf einem Markt direkt bekämpfen und notfalls marktmächtige Unternehmen sogar entflechten".
Bisher mündeten Sektoruntersuchungen lediglich in einem Bericht der Aufsichtsbehörde, was ohne Konsequenzen blieb, solange keine Hinweise auf Bildung eines Kartells oder andere kartellrechtliche Verstöße vorlagen, die die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens begründen würden. Ab sofort kann das Amt schon zur Tat schreiten, sobald ein einzelner Player eine problematische Machtkonzentration auf einem Markt erlangt hat und so das beschworene freie Spiel der Kräfte beeinträchtigt ist.
Markt in einer Hand
Bei Amazon sei das längst der Fall, meinen die Aktiven von LobbyControl. Der Konzern nutze sein Monopol in vielerlei Hinsicht: "Er verschiebt Gewinne aus anderen Geschäftsbereichen, um Konkurrenten zu unterbieten, nimmt viel Geld von Unternehmen, um ihre Produkte auf der Plattform anbieten zu können, schließt unliebsame Konkurrenten einfach von seiner Plattform aus oder kopiert deren erfolgreichste Produkte."
"Amazon agiert nicht frei am Markt, sondern bevorzugt sich selbst", befand Gutachter Künstner am Dienstag bei einer Onlinepresskonferenz. Max Bank, Campaigner bei LobbyControl, sekundierte: "Amazon ist nicht nur auf dem Markt aktiv, es ist der Markt." Seine Stellung mache das Unternehmen "unregulierbar" und werde zusehends zu "einer Gefahr für die Demokratie".
Das zeigt sich auch am politischen Einfluss, den der Handelsgigant ausübt. Nach Recherchen der des Vereins gehört Amazon zu den schlagkräftigsten Lobbyisten in Berlin und Brüssel. Im Jahr 2022 hat der Konzern in Deutschland knapp 2,5 Millionen Euro fürs Klinkenputzen aufgewendet und bezahlte damit nicht weniger als 33 hauptamtliche Einflüsterer.
Überhaupt steckt die Digitalbranche unter allen Wirtschaftszweigen das meiste Geld in die politische Beziehungspflege, vorneweg die ganz Großen wie Meta, Google oder Microsoft. Jährlich machen die zehn führenden Akteure rund 40 Millionen Euro fürs Lobbyieren auf dem EU-Parkett locker. So erklärt sich auch, warum Amazon praktisch freie Hand hat mit einem Geschäftsmodell, das auf der Ausbeutung und Überwachung seiner Beschäftigten beruht, auf dem Missbrauch der Daten seiner Kunden, auf Steuervermeidung und der Verschwendung und Zerstörung natürlicher Ressourcen.
Fortgesetzte Beißhemmungen
Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die per GWB-Gesetz aufgerüsteten Wettbewerbshüter ihre neuen Waffen tatsächlich einsetzen wollen. Speziell das Bundeskartellamt fiel in der Vergangenheit immer wieder mit Beißhemmungen auf, wenn es darum ging, die Bürger vor gierigen Mono- oder Oligopolen zu schützen. Die Tageszeitung (taz) hat bei Behördenpräsident Andreas Mundt nachgehakt. "Die entsprechenden Verfahren werden aufwendig sein. Dies gilt in besonderem Maße für die als Ultima ratio vorgesehene Entflechtung", beschied dieser. Die Abteilung Attacke hat wohl auch weiterhin geschlossen.
Das passt ins Bild: Gegen die ganz harte Gangart, also die Zerschlagung von Unternehmen, werden in der Debatte seit jeher die angeblich hohen Kosten und die Dauer des Prozesses angeführt. Rechtsanwalt Künstner weist derlei Argumente zurück. "Ist das kontrafaktische Szenario behördliche Untätigkeit, so ist jede strukturelle Maßnahme naturgemäß langwieriger, kostspieliger und invasiver", schreibt er in seiner Analyse.
Die Realität sei dagegen "von immer neuen Verfahren und Gesetzesinitiativen" zur Ahndung und Verhinderung von Wettbewerbsverstößen gekennzeichnet. Deren Durchsetzung, Überwachung und Kontrolle seien "häufig deutlich aufwendiger" und teurer als der Eingriff in die Strukturen. Für Amazon empfiehlt der Jurist eine Aufspaltung in die Geschäftsfelder "Einzelhandel, Dienstleistungen gegenüber Drittverkäufern (Marketplace), Cloud (Amazon Web Services), Smart Home Devices (Echo und Alexa) und Logistik".
US-Kartellbehörde rücksichtslos
Um die "negativen Folgen von Amazons Geschäftsmodell für Mitarbeitende, Umwelt und unsere Demokratie künftig zu begrenzen, reicht es nicht, bloß das problematische Verhalten des Konzerns zu beschränken", bemerkte LobbyControl-Aktivist Bank. Vielmehr müsse das Monopol an sich geknackt werden. Für ihn ist Amazon lediglich ein Fall unter mehreren, in denen die Macht der Digitalkonzerne überhandgenommen hat. Allein mit ihrer Entmachtung komme man dahin, dass "wir die Regeln wieder selbst bestimmen" und zu einer wehrhaften Demokratie zurückfänden. "Das deutsche Kartellrecht bietet die Grundlage dafür."
Ob das die Herren Habeck, Buschmann oder der Bundeskanzler vernommen haben? Bei aller "Unabhängigkeit" der Wettbewerbswächter wären letztlich sie es, die grünes Licht zum großen Schlag gegen Amazon, Meta und Co. geben müssten. Und dass dies ausgerechnet in Zeiten innigster transatlantischer Nähe geschieht, erscheint doch eher unwahrscheinlich.
Andererseits: Die US-Kartellbehörde Federal Trade Commission (FTC) sorgt in jüngerer Zeit mit purer Angriffslust gegen Amazon für Aufsehen. Ende September reichte die Behörde gemeinsam mit 17 Bundesstaaten eine Kartellklage gegen das Bezos-Imperium wegen des Missbrauchs seiner Marktmacht ein. Wie es heißt, hat es FTC-Chefin Lina Khan auf nichts weniger als die Zerschlagung des Konzerns abgesehen.
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