Amerikas Wutproblem: Warum Linke keine Antwort darauf finden

Andrea Mazzarino

Protestierende vor einer Militärbasis in Kalifornien: Sie stellen sich mit US-Flaggen gegen eine Friedensdemo. Der Graben ist tief zwischen den Lagern. Bild: Pamela Taubman / Public Domain

Trump und die Republikaner setzen auf Wut. Sie haben damit die Herzen und Köpfe vieler US-Amerikaner erobert. Wie Progressive die gesellschaftliche Spaltung überwinden können.

Es scheint, dass die Amerikaner zunehmend ein Wutproblem haben. Allzu viele von uns haben jetzt den Drang, Beschimpfungen, gewalttätige Posts in den sozialen Medien, Drohungen, Baseballschläger und Waffen zu benutzen, um das zu tun, was wir früher mit Überzeugungsarbeit und Wahlen erreicht haben.

Andrea Mazzarino ist Mitbegründerin de Costs of War Project der Brown University. Sie arbeitet als Gesundheitsexpertin für das US-Militär und NGOs.

Im Jahr nach dem Einzug von Donald Trump in das Oval Office haben sich beispielsweise die Gewalt- und sogar Todesdrohungen gegen Parlamentarier und Regierungsvertreter beider Parteien mehr als vervierfacht. Und allzu oft scheint der Aufruf zu Gewalt von ganz oben zu kommen. In letzter Zeit haben Angeklagte in Fällen extremistischer Gewalt behauptet, dass ein gewählter Führer oder Experte sie dazu "aufgefordert" habe.

In einem Land, in dem sich ein amtierender Präsident aus Wut auf sein eigenes Sicherheitspersonal stürzen würde, ist das wohl nicht mehr so überraschend. Die amerikanische Politik wird von Emotionen beherrscht, und viele neigen heute dazu, aus der Hüfte zu schießen, ohne zu wissen, warum.

Immer mehr von uns reagieren jedoch auf die zunehmende Dramatik des Augenblicks, indem sie politische Schlagzeilen und politisches Engagement meiden, aus Angst, traumatisiert zu werden, selbst wenn sie "die Nachrichten" sehen. Als Psychotherapeutin, die mit Veteranen und Militärfamilien arbeitet, spreche ich oft mit Menschen, die beschlossen haben, ihren Nachrichtenkonsum einzuschränken oder die Nachrichten gar nicht mehr zu verfolgen. Wiederholte Massenerschießungen an Orten wie Schulen oder Kirchen in Verbindung mit der zunehmenden Sichtbarkeit und dem Einfluss von Milizen bei an sich friedlichen Demonstrationen können mehr Narben hinterlassen als die Wunden, die Soldaten einst in Kampfgebieten erlitten haben.

Ich muss zugeben, dass meine Familie und ich manchmal eine ähnliche Form der Politikvermeidung praktiziert haben. Kürzlich plante ich, mit meinen beiden kleinen Kindern an der Veranstaltung "March for Our Lives" zu Waffenkontrolle auf der National Mall in Washington teilzunehmen. Mein Mann, ein aktiver Soldat, riet mir jedoch dringend davon ab. Wenn Extremisten auftauchen würden, könnte es für mich allein schwierig werden, unsere Kinder aus der Gefahrzone zu bringen. Ich habe es mir anders überlegt und bin zu Hause geblieben.

In einem Land, in dem ein republikanischer Senatskandidat einen Werbespot schalten kann, in dem er mit einer bewaffneten Militäreinheit auf einer Wohnstraße zu sehen ist und die Amerikaner auffordert, "RINOS" – "Republicans in Name Only" bzw. diejenigen, die Trump kritisieren – zu jagen, ohne dafür von seiner Partei gerügt zu werden, halte ich die Ängste meiner Familie für begründet.

Die Frage "Was, wenn etwas passiert?" bei einer Demonstration wäre weder meinem Mann noch mir in den Sinn gekommen, als wir uns vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal trafen.

Als Menschenrechtsaktivistin, die jahrelang in Wladimir Putins Russland gearbeitet hat, kann ich sagen, dass ich jetzt mehr Angst vor den Reaktionen rechtsgerichteter Amerikaner habe als vor der weitaus gezielteren Gewalt des Kreml-Machthabers. Ich schätze, die Erinnerung an den Aufruhr, den Aufstand, den Putschversuch (oder wie auch immer man das bezeichnen will) am 6. Januar im Kapitol durch einen Mob wütender Trump-Anhänger lastet immer noch schwer auf mir.

Der Teufel steckt im Detail

Heutzutage sind es alltägliche Dinge wie die Treffen der republikanischen Partei, die Details zutage fördern, auf die wir achten sollten. Solche Konferenzen offenbaren ein neues Maß an Kampfeslust, da die Parteiführer versuchen, staatliche und lokale Gesetze und Politiken nach ihren immer weniger demokratischen Wünschen zu gestalten. So erhielt Politico vor kurzem Mitschnitte von Mitarbeitern des Republican National Committee (RNC), das nationale Organisationsgremium der Republikanischen Partei, die Tausende von freiwilligen Wahlbeobachtern ausbilden, um künftige Wahlen in von Demokraten gehaltenen Bezirken in sogenannten Swing States wie Michigan zu stören, indem sie die Wahlberechtigung von Wählern aktiv in Frage stellen.

Das RNC und seine Mitgliedsorganisationen bringen diese "Wahlbeobachter" mit Hotlines und Websites in Verbindung, auf denen parteifreundliche Anwälte, Polizeibeamte und Staatsanwälte aufgelistet sind, die bereit sein könnten, während der Wahl und der Stimmenauszählung in Echtzeit einzugreifen. Die von der rechtsgerichteten Organisation Amistad Project rekrutierten Staatsanwälte sind beispielsweise in der Lage, immer schneller Ermittlungen einzuleiten und Vorladungen zu erlassen.

Die Republikaner-Initiative bei den Wahlen beruht natürlich auf der unbegründeten Behauptung, dass die Wahl 2020 vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump gestohlen wurde. Die Identifikation dieses Ausschusses mit einer solchen Lüge sollte jede Vorstellung davon, dass solche Möchtegern-Wahlbeobachter fair handeln könnten, sofort widerlegen. Die Rolle von Wahlbeobachtern und Wahlanfechtern muss rechtlich eigentlich getrennt sein, und nur Wahlanfechter sind in den meisten Bundesstaaten, darunter auch Michigan, befugt, in den Wahlprozess einzugreifen – und das auch nur auf der Grundlage von Fakten.

Doch wir befinden uns eindeutig in einer Welt, in der die republikanische Parteispitze begonnen hat, die Wahllokale wie Kriegsgebiete zu behandeln. In diesem Geiste beschrieb Matthew Seifried, ein RNC-Beauftragter für Wahlintegrität in Michigan, seine zukünftigen Wahlhelfer und die sie unterstützenden Beamten so: "Es wird eine Armee sein." Er fügte hinzu, dass seine Partei "mehr Anwälte haben wird, als wir je rekrutiert haben, denn seien wir mal ehrlich, dort wird der Kampf stattfinden, richtig?"

Seifried und seine Kollegen aus Michigan sind mit ihrer kämpferischen Rhetorik alles andere als allein. Eine derart militarisierte Sprache ist längst Teil unserer politischen DNA. Erst kürzlich veröffentlichte die Republikanische Partei in Texas eine Erklärung, in der sie sich weigerte, die Legitimität von Joe Bidens Wahlsieg 2020 anzuerkennen. Die Führung rief die Republikaner in diesem Bundesstaat auf, "in die Offensive zu gehen und den Kampf für unser Land zu gewinnen!"

In Texas und anderswo werden Personen, die diese Wut (und manchmal auch die Vision eines zukünftigen weißen Ethnostaats) zum Ausdruck bringen, gewählt. Erstaunlich viele republikanische Kandidaten und Amtsträger, die die Ansicht teilen, dass die Wahl 2020 gestohlen wurde, äußern sich ebenfalls regelmäßig zur rassistischen "Great Replacement Theory" (Theorie der Umvolkung) der Weißen. In der Zwischenzeit werden im ganzen Land von den republikanisch kontrollierten Landesparlamenten mehrere Wahlgesetzentwürfe geprüft, die es ihnen in Zukunft ermöglichen würden, Wahlen zu annullieren.

Nach Angaben des "International Center for Not for Profit Law" haben 45 Bundesstaaten 230 Gesetzesentwürfe in Erwägung gezogen, die die "Bedrohung" durch gewalttätige Proteste von Linken oder Schwarzen unter Strafe stellen würden. Und leider sind rechtsextreme Aktivisten alles andere als eine Randgruppen-Bewegung, da sie die Idee friedlicher Wahlen und öffentlicher Proteste (die nicht die ihren sind) in Frage stellen.

Gewiss, linke Gewalt und kämpferische Rhetorik gibt es in diesem Land, wenn auch nur in geringem Umfang. Die Erschießung eines Trump-Anhängers durch einen Antifa-Demonstranten in Portland, Oregon, während einer Black-Lives-Matter-Demonstration im August 2020 ist das einzige Beispiel für einen tödlichen Angriff durch diese linke Gruppe oder andere Antifaschisten in den letzten 25 Jahren. Von den 450 Morden, die in den letzten zehn Jahren von politischen Extremisten begangen wurden, entfielen etwa vier Prozent auf linke Gruppen und etwa 75 Prozent auf rechtsgerichtete (weiße, an die Vorherrschaft der weißen Rasse glaubende und regierungsfeindliche) Gruppen.

In meiner eigenen Großfamilie mit Eltern, Geschwistern, Tanten und Onkeln, von denen die meisten Trump unterstützen, hat etwa die Hälfte aufgehört, mit mir zu sprechen, während einige mich in den sozialen Medien als "schwach" und "Feigling" bezeichnet haben, weil ich in Aufsätzen wie diesem die US-Regierung und ihr Militär offen kritisiert habe. (Anzumerken ist, dass meine unmittelbare militärische Familie und meine Freunde unseren Differenzen weitaus freundlicher begegnen).

Die Rettung der Demokratie

Was sollen wir also tun? Zunächst einmal müssen wir angesichts der Richtung, die die Trump-Bewegung und ein Großteil der Republikanischen Partei einzuschlagen scheinen, wirklich etwas tun – und das sehr umfassend. Wie die Ministerin des Bundesstaates Michigan, Jocelyn Benson, eine Demokratin, angesichts der wachsenden Krise auf der Rechten feststellte, habe sie "keine signifikante Zunahme der Unterstützung durch führende Parteimitglieder gesehen, wie wir sie 2018 erlebt haben", zu einem Zeitpunkt, als die Wachsamkeit der Partei zwar größer, aber nicht annähernd ausreichend war.

Die Überschrift eines Artikels in der satirischen Online-Zeitung The Onion trifft die Stimmung unter den Progressiven: "Linke Gruppe zu unorganisiert für FBI-Agenten, um sie zu infiltrieren". Darin sagt ein fiktiver FBI-Agent: "Diese Leute tun nie etwas Gewalttätiges – sie tun überhaupt nichts".

Kürzlich klopfte ein Kandidat der Demokraten in Maryland an meine Tür und bat mich um meinen Namen und meine Kontaktdaten als möglichen Freiwilligen für seine Kampagne. Es stellte sich jedoch heraus, dass er nicht einmal einen Stift oder ein Papier dabei hatte. Das ist das Problem, das ich beim progressiven Aktivismus feststelle. Ich gab ihm Papier zum Beschreiben und einen Marker, den wir herumliegen hatten. Und es ist leider wahr, dass Demokraten und Progressive im Allgemeinen keine konzertierte Antwort auf die Wut und Gewalt der Rechten haben.

Ironischerweise ist eine Regierungsinstitution, die zumindest einen Versuch unternommen hat, der rechten Gewalt entgegenzuwirken, das Militär. Seit den Anschlägen vom 6. Januar hat das Verteidigungsministerium unter Verteidigungsminister Lloyd Austin eine Zunahme extremistischer Gewalttaten im Land festgestellt, die von Soldaten oder Reservisten verübt wurden. Als Reaktion darauf hat er eine mehrgleisige Strategie gefahren, um neue Rekruten zu überprüfen, das Militärpersonal über Extremismus aufzuklären und extremistische Aktivitäten in den eigenen Reihen zu untersuchen.

An den fünf Dienststellen, wo wir gedient haben, bin ich zwar auch auf bigotte Bemerkungen gestoßen, aber ich habe beim Militär mehr Menschen getroffen als in anderen Einrichtungen, die bereit sind, Freundschaften mit Menschen anderer ideologischer Ausrichtung zu schließen. Wenn man in der Heimat oder im Ausland in Sachen Kameradschaft und sogar Überleben aufeinander angewiesen ist, kann man nicht allzu wählerisch sein, was die Überzeugungen der Kameraden angeht.

Da sich die parteipolitische Rhetorik in diesem Land aufheizt, würde ich sagen, dass sich die Progressiven schuldig gemacht haben, sich zu sehr auf die am stärksten politisierten Identitätsfragen zu konzentrieren, wie wertvoll sie auch sein mögen, oder sogar auf jedes noch so dumme Verhalten, das in einem bestimmten Moment die Öffentlichkeit bestimmt, sei es Trumps QAnon-Verschwörungsmache oder das Befummeln des ehemaligen New Yorker Gouverneurs Andrew Cuomo. Das Problem ist, dass die Wut der Trumpisten immer größer wird. Wenn die Progressiven nicht bald eine verbindende Botschaft der Kooperation und Empathie finden, könnten die Waffen, die bereits im Umlauf sind, auf extreme Weise eingesetzt werden.

Die Progressiven täten gut daran, einen Schritt zurückzutreten und über die wirklich wichtigen Themen nachzudenken, z. B. darüber, wie man allen – von den weißen Frauen in den Vorstädten über die Landwirte bis hin zu den schwarzen Alleinerziehenden – zeigen kann, dass sie im Leben viel zu verlieren haben, wenn die Regierung nicht bereit ist, die Gesundheitsfürsorge zu regulieren, und zwar auf weitaus bessere Weise. Sie würden so viel gewinnen, wenn in unserem allzu ängstlichen Land die Aufmerksamkeit wieder auf die Bedeutung der Kinderbetreuung für jede Familie, die sie braucht, gelenkt würde.

Vor alles ist es wichtig, dass sich die Menschen intensiv mit der immer gefährlicher werdenden Welt, in der wir leben, auseinandersetzen. Unabhängig davon, ob wir uns über die Ursachen der globalen Erwärmung einig sind oder nicht, ist es schwer, sich nicht darüber einig zu sein, dass wir in einem immer heißeren, von Dürre geplagten und immer extremeren Amerika leben. Niemand kann leugnen, dass es bereits verdammt heiß ist und der Sommer gerade erst begonnen hat.

Es muss etwas getan werden – und zwar bald –, um die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen, aber bisher ist noch keine politische Kampagne aufgetaucht, die der Dringlichkeit und Dramatik (und dabei denke ich ausnahmsweise nicht an Donald Trump!) des Moments entspricht. Vor allem diejenigen unter uns, die sich für Demokratie und einen besseren Planeten einsetzen, täten gut daran, die strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen Präsidenten Trump zu unterstützen, denn wenn er wieder an die Spitze des Landes kommt, könnten wir uns in Schwierigkeiten befinden, aus denen wir nicht mehr herauskommen.

Und ja, in so vielen Fragen sind viele von uns vielleicht nicht einer Meinung mit der Abgeordneten Liz Cheney aus Wyoming, der führenden Republikanerin im Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses zum Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar, oder sogar mit dem ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence, der sein eigenes Leben und das seiner Familie riskierte, um den Sieg von Joe Biden zu bestätigen. Aber ich stimme der demokratischen Abgeordneten Jaimie Raskin zu, dass sie zu den republikanischen Helden dieser Trumpschen Bedrohung gehören (es gibt nur wenige davon). Wie der russische Schriftsteller und Historiker Alexander Solschenizyn einmal schrieb: "Die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft mitten durch das menschliche Herz".

Im Herzen vieler Amerikaner befindet sich jedoch Donald Trump, ein beschädigter Mann, der unsere niedersten Instinkte verkörpert. Er muss von führenden Politikern aller Couleur energisch als die Bedrohung für die Demokratie identifiziert werden, die er ist. (Beeilen Sie sich, Generalstaatsanwalt Merrick Garland, und erheben Sie Anklage gegen ihn!)

In der Zwischenzeit sollten wir alle nach Möglichkeiten suchen, Gemeinsamkeiten zwischen ideologischen Gegensätzen zu finden. Laden Sie einen Nachbarn zum Essen ein, auch wenn Sie wissen, dass er auf dem Weg zur Arbeit konservative Radiosender hört. Helfen Sie einer anderen Familie bei der Kinderbetreuung, auch wenn Sie die politischen Schilder auf ihrem Rasen nicht gutheißen. Versuchen Sie einfach, den wütenden, bewaffneten Leuten aus dem Weg zu gehen, oder lassen Sie sie ihre Waffen an der Tür abgeben. Sie sind diejenigen, die ihre Taktik ändern müssen. Wenn man bedenkt, dass Zehntausende hochqualifizierter russischer Fachkräfte aus Wladimir Putins kriegslüsternem Regime geflohen sind, bin ich mir sicher, dass er ein paar offene Stellen für sie hat.

Wenn nur ihr Hass hier keinen Platz hätte. Es ist an der Zeit, weniger wütend und viel konzentrierter zu sein.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit TomDispatch. Übersetzung: David Goeßmann.

Andrea Mazzarino, regelmäßige Autorin auf TomDispatch, ist Mitbegründerin des Brown University's Costs of War Project. Sie war in verschiedenen Positionen in Kliniken, Forschungseinrichtungen und NGOs tätig, u. a. in einer Ambulanz für Veteranenangelegenheiten (Posttraumatische Belastungsstörungen), bei Human Rights Watch und in einer Agentur für psychische Gesundheit. Sie ist Mitherausgeberin von "War and Health: The Medical Consequences of the Wars in Iraq and Afghanistan".