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Angriff auf Afrin: Weiter wenig erfolgreich für die Türkei

Kampfgeschehen mit Panzer. Screenshot Video TRT Haber/YouTube

Der kurdische Guerilla-Widerstand hält; Syrien verurteilt die militärische Aktion; die religiösen Extremisten, die im Bund mit der türkischen Streitmacht stehen, sorgen für schändliche Schlagzeilen

Seit genau zwei Wochen läuft die türkische Mitäroperation Olive branch [1] in Nordsyrien. Bereits zuvor hatte es sporadisch immer wieder Angriffe auf Afrin gegeben; die Präsenz der PYD/YPG in der unmittelbaren Nachbarschaft zur Türkei war für den türkischen Präsidenten Erdogan schon seit langem zu einem großen politischen Dorn im Auge ausgewachsen, der ihn davon reden ließ, eine ganze Region von "Terroristen" zu säubern - ungeachtet dessen, dass sich die Region auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates befindet. Aber hier denkt der türkische Präsident in Linien aus alten osmanischen Karten. Gegenwärtige Grenzen interessieren ihn weniger.

Eine Strategie für den Herrscher-Spiegel

Der Angriff auf Afrin, der am Samstag, dem 20. Januar, startete und zuvor laut und deutlich angekündigt worden war, ist eine militärische Operation, an der viel Prestige hängt. Er war Reaktion auf die US-Ankündigung, dass man zusammen mit den SDF, wo die YPG eine Schlüsselrolle spielen, eine 30.000 Soldaten starke Grenztruppe [2] bilden werde. Für die türkische Regierung war das nicht hinnehmbar. Viele Beobachter halten die Ankündigung der USA für den "Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte".

Doch wie eingangs angedeutet: Es gab bereits vor der laufenden Operation "Olivenzweig" Angriffe auf Afrin und die laufende Operation wurde nicht einfach so "aus dem Boden gestampft", sondern benötigte Vorbereitung. Sie gehört zu einer Strategie, in der die Türkei unter Erdogan eine große geschichtsmächtige Rolle im Nahen Osten spielt und der Präsident einen hervorragenden Platz in der Ruhmeshalle bekommt - und zuvor eine Erweiterung der Machtbefugnisse wie sie die Türkei seit Sultanszeiten nicht mehr gesehen hat.

Ruhm und Ehre?

Die bisherige Bilanz der türkischen Militäroperation hält allerdings mit den vollmundigen Ankündigungen und großen Ambitionen nicht wirklich Schritt. Es gibt keine spektakulären militärischen Eroberungen oder Erfolge [3], die der Weltöffentlichkeit Ruhm und Ehre der türkischen Operation [4] in Nordsyrien verkünden.

Ein erfolgreicher Vormarsch zeigt sich selbst in türkischen Medien nicht deutlich [5]; eroberte Gebiete fallen wieder an kurdische Milizen zurück [6].

Was in der internationalen Öffentlichkeit in den USA, in Frankreich, Großbritannien, Italien und anderen EU-Ländern und in Medien im Nahen Osten ankommt, sind Dinge, die der türkischen Regierung nicht zur Ehre gereichen: Türkische Luftangriffe, die Zivilisten treffen [7], und Bilder, die der Öffentlichkeit die Brutalität der eher primitiven Kämpfer [8] im Bunde mit der türkischen Armee zeigen: Dschihadistische Fanatiker, die Frauen-Leichen schänden, zum Beispiel [9].

In der Türkei geht die Regierung mit harschen Methoden gegen Kritiker vor, die auf die schmutzige Seite des Angriffs in Afrin verweisen (siehe Wegen Friedensaufruf werden Mediziner wegen Terrorpropaganda verhaftet [10]). Gegen die größere internationale Öffentlichkeit, die kurdische Publikationen gut zu bedienen wissen, ist sie machtlos.

Am Umgang mit Kriegs-Kritikern in der Türkei ist zu sehen, dass Erdogan die öffentliche Reaktion alles andere als gleichgültig ist. Welchen Einfluss die internationale Öffentlichkeit auf Handlungen der Regierung in Ankara hat, ist allerdings schwer einzuschätzen.

Wichtig ist, was Russland erlaubt

Allzu groß dürfte der Wirkungsgrad wahrscheinlich nicht sein. Wenn nun die Webseite für das "Protokollieren" von Luftangriffen in Kriegszonen, Airwars, ankündigt [11], dass man nun auch die Angriffe der türkischen Luftwaffe in Nordsyrien dokumentiert, so ist das für Beobachter des Geschehens eine wichtige Quelle.

Auch bei Protesten gegen die türkische Militäroperation in Nordsyrien werden die zivilen Opfer von türkischen Luftangriffen eine Rolle spielen - zusammen mit Vorwürfen von Brandbombenabwürfen [12] und den Waffendeals von Nato-Verbündeten wie Deutschland mit der Türkei [13]. Welchen politischen Effekt das aber genau hat, wird sich erst noch zeigen.

Wichtiger wird für die türkische Regierung sein, wie sich Russland zur türkischen Operation stellt. Die türkischen Luftangriffe würden mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort aufhören, wenn Russland damit nicht mehr einverstanden ist.

Geht es nach - zum Teil kontrovers diskutierten [14] - Äußerungen von SDF-Gegnern, einem in Expertenkreisen bekannten Unterstützer der Operation Olive Branch in Azaz [15] und einem kurdischen Milizionären [16], welcher der türkischen Regierung nahesteht, so ist die "lange Leine", welche die Türkei für ihre Aktionen in Afrin bekommen hat, damit zu erklären, dass niemand sonst außer der Türkei einen derartigen Einfluss auf die dschihadistischen oder radikal-islamistischen Milizen in Nordsyrien inklusive Aleppo hat.

Für Russland besteht das Interesse an einer Vereinbarung mit der Türkei somit darin, dass die Türkei im Gegenzug zum Aktionsradius ihrer Luftwaffe dafür sorgt, dass die extremistischen Milizen im Norden Syriens unter Kontrolle bleiben und die syrische Armee bei ihren militärischen Vorstößen [17] zur Rückeroberung ihres Territoriums möglichst keine Probleme durch sie bekommt.

Die syrische Regierung beschwert sich

Ganz einfach und "pur" aufzuschlüsseln sind die Beziehungen im syrischen Konflikt allerdings selten. Denn, wie die syrische Regierung, die bekanntermaßen eng mit Russland verbündet ist, vergangene Woche deutlich machte [18], ist sie überhaupt nicht einverstanden mit der "militärischen Aggression" der Türkei in Syrien.

In Schreiben des syrischen Außenministeriums an den UN-Generalsekretär und an den Vorsitzenden des UN-Sicherheitsrates wurde mitgeteilt, dass die Begründung der Türkei für die "militärische Aggression" aus Lügen bestünde und sich mitnichten aus dem Artikel 51 der UN-Charta [19] zur Selbstverteidigung begründen ließe, wie sie auch ebenso wenig aus UN-Resolutionen zum Konflikt in Syrien herzuleiten sei.

Das ist eine ehrlichere Sprache als diejenige, die zuletzt aus der Nato, Mitgliedsstaaten oder von US-Vertretern zu hören war, die das Recht der Türkei zur Verteidigung gegen Terroristen betonten und damit vor allem demonstrierten, wie wichtig die Türkei für das Nato-Bündnis ist.

Der Regierung in Damaskus, die im Gegensatz zu den Regierungen im Westen - wer erinnert sich noch an Aussagen Obamas und befreundeter Partner vor ungefähr sechs Jahren darüber, dass Baschar al-Assad bald am Ende sei - über einen Blick verfügt, der größere zeitliche Horizonte umfasst (was die Regierungsform nicht unbedingt besser macht, aber das ist ein eigenes Thema), bleibt gegenwärtig, dass der türkische Präsident Erdogan seit vielen Jahren ein enges Verhältnis mit den Muslimbrüdern pflegt - also mit ausgewiesenen, traditionellen und erbitterten radikal-religiösen Gegnern der Baath-Regierung.

Nach bereits zitierten [20] Informationen des erfahrenen Kriegsreporters und Beobachters Elijah J. Magnier [21] läuft die an Ort und Stelle praktizierte Politik der syrischen Regierung darauf hinaus, dass die kurdischen Kämpfer möglichst große Bewegungsfreiheit haben und Waffenlieferungen nicht groß behindert werden.

Machtpoker mit den Kurden

Dazu gehört im Hintergrund ein "Machtpoker" darüber, welche Befugnisse die PYD der syrischen Regierung einräumen wird. Die Verfassung spricht eindeutig für die Ansprüche aus Damaskus. Die PYD hat ein eigenes politisches Modell entwickelt, das Vorstellungen folgt, die demokratisch fortgeschritten sind und für die Region einen Aufbruch in hellere Zeiten bedeuten könnte.

Von den Mitstreitern der türkischen Militäraktion ist da wenig oder gar nichts zu erwarten, eher im Gegenteil wird darauf geachtet werden, dass die Region ganz dem Geist des frühen Mittelalters angehört. Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen aus Syrien wird sich damit ganz gewiss nicht erhöhen, um das so auszudrücken.

Inwieweit sich die Kurden mit der Regierung in Damaskus und mit dessen Verbündeten Russland [22] arrangieren können, was im Konflikt zu US-Loyalitäten [23] steht, wird sich zeigen. Die militärischen Erfolge der Kurden gegen den türkischen Angriff bestehen im Aufhalten einer weitaus überlegenen Militärmacht durch Guerillamethoden. Wie lange sie das gegen die Überlegenheit der türkischen Luftwaffe durchhalten?

Bislang, so meldete der Nothilfekoordinator OCHA in der vergangenen Woche, gebe es seit Beginn der Operation Olive Branch 15.000 Binnenflüchlinge [24]. Viele wollen in die Türkei [25].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3960181

Links in diesem Artikel:
[1] https://twitter.com/OliveBranchOp
[2] https://www.nytimes.com/2018/01/16/world/middleeast/syria-kurds-force.html?_r=0
[3] https://sputniknews.com/middleeast/201802031061326459-turkey-olive-branch-operation-syria-afrin-kurds/
[4] https://twitter.com/EHSANI22/status/959510603290349568
[5] http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-troops-getting-close-to-afrin-city-erdogan-126736
[6] http://www.moonofalabama.org/2018/02/syria-erdogans-bashibazouk-ravage-afrin.html
[7] https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/dr-mihemed-zahl-der-getoeteten-zivilisten-auf-127-gestiegen-2100
[8] https://twitter.com/jenanmoussa/status/959151218680631297
[9] https://www.theguardian.com/world/2018/feb/02/syrian-kurds-outraged-over-mutilation-of-female-fighter?CMP=share_btn_tw
[10] https://www.heise.de/tp/features/Wegen-Friedensaufruf-werden-Mediziner-wegen-Terrorpropaganda-verhaftet-3956030.html
[11] https://mailchi.mp/airwars/airwars-launches-new-project-tracking-civilian-harm-from-turkish-actions-in-iraq-and-syria?e=4974e7fe73
[12] https://www.voanews.com/a/kurds-accuse-turks-of-dropping-napalm/4228316.html
[13] http://civaka-azad.org/offener-brief-von-91-kulturschaffenden-kuenstlern-und-wissenschaftlern-an-die-bundeskanzerlin-und-den-aussenminister/
[14] https://twitter.com/joshua_landis/status/958736776893382656
[15] http://www.joshualandis.com/blog/when-the-sdf-was-shocked-an-azaz-activists-perspective-on-the-afrin-operations/
[16] http://www.aymennjawad.org/2018/02/afrin-operations-interview-with-a-kurdish#.WnS8-qDN8JA
[17] https://twitter.com/ejmalrai/status/959442541295882240
[18] https://sana.sy/en/?p=126100
[19] https://www.unric.org/de/charta
[20] https://www.heise.de/tp/features/Afrin-Der-tuerkische-Vormarsch-stockt-3952531.html
[21] https://twitter.com/EjmAlrai
[22] https://twitter.com/ejmalrai/status/958789066090274816
[23] https://twitter.com/ejmalrai/status/959437435229933568
[24] https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Latest_Developments_in_North-western_Syria_20180130.pdf
[25] https://twitter.com/OmarKadkoy/status/959039852992958465