Angst vor Staatsschulden schüren oder klar analysieren? Zum Fiscal Monitor des IWF

Seite 2: Für wen macht der US-amerikanische Staatshaushalt Schulden?

Die Abbildung 2 der Sektorsalden für die USA zeigt, wie eng das staatliche Defizit mit den anderen Salden zusammenhängt. Der einzige Überschuss der US-Regierung zu Anfang des 21. Jahrhunderts war nur möglich, weil genau zu dieser Zeit die privaten Haushalte ihre Sparquote auf unter null absenkten und auch die Unternehmen merkliche eigene Defizite akzeptierten. Auch in den beiden großen Krisen danach, in der globalen Finanzkrise und beim Corona-Schock, entwickelte sich der staatliche Saldo spiegelbildlich zu den Salden der Privaten (Unternehmen und Haushalte).

Bei einer isolierten Betrachtung des amerikanischen Staatshaushalts wird aber nicht nur das binnenwirtschaftliche Geschehen außer Acht gelassen, es wird obendrein auch der internationale Zusammenhang ignoriert.

Die Folgen der US-Verschuldung für den internationalen Markt

Die USA weisen seit Anfang der 1980er-Jahre durchweg Defizite in der Leistungsbilanz aus, was nichts anderes heißt, dass der Staat die dadurch an das Ausland verlorene Nachfrage auch noch ersetzen muss, wenn er eine Dauerrezession vermeiden will. Umgekehrt verhält es sich in den Überschussländern wie Deutschland. Sie können sich viel eher eine Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten, weil bei ihnen das Ausland einen Teil der notwendigen Verschuldung übernimmt.

Eine Kritik des US-amerikanischen Staatsdefizits muss folglich zugleich auch auf die internationalen Handelsbeziehungen blicken. Zu kritisieren sind hier die Länder, die seit Jahren im Vergleich zu ihrer Wirtschaftskraft bedeutende Handelsüberschüsse entweder direkt mit den USA oder indirekt über Drittmärkte erzielen. Wie schwer sich der IWF mit diesem Zusammenhang tut, wird deutlich, wenn man seine Kritik in Hinblick auf das US-amerikanische Staatsdefizit mit derjenigen vergleicht, die er an China übt.

Die Rolle von China in der globalen Wirtschaft

Die amerikanische Verschuldungsbereitschaft sei schlecht, weil sie das Zinsniveau auch andernorts erhöhe (sogenannte Zins-Spillovers). Die chinesische Wirtschaftsentwicklung bereite Sorge, weil das sich dort verlangsamende Wachstum und finanzielle Turbulenzen (gemeint ist der chinesische Immobiliensektor) das globale Wachstum und den Welthandel belasten und damit Staaten beeinträchtige, die starke Handels- und Finanzbeziehungen zu China pflegten.

Ja, was denn nun, möchte man die Autoren des IWF-Berichts fragen. Soll der chinesische Staat jetzt mehr Geld ausgeben, um durch höhere Nachfrage das Importvolumen anzuregen zugunsten von Exportländern wie Deutschland, und dafür eine höhere öffentliche Verschuldung eingehen, also das tun, was der IWF bei den USA kritisiert?

Oder soll sich der chinesische Staatshaushalt zur Reduktion des weltweiten Schuldenberges stärker zurückhalten und damit einen Aufschwung auch anderswo in der Welt gefährden? Denn den Privaten kann selbst der IWF nirgendwo in der Welt vorschreiben, dass sie sich zu verschulden haben. Was also möchte uns der IWF sagen?

Die Auslassung Japans in den IWF-Warnungen

Dass der am höchsten verschuldete Staatshaushalt der Welt, der Japans nämlich, bei den Warnungen des IWF vor den Gefahren der öffentlichen Schuldenberge im Gegensatz zu denen der USA und Chinas nicht an prominenter Stelle vorkommt, ist für den Laien erstaunlich und bei der isolierten Betrachtung von Staatsdefiziten eigentlich erklärungsbedürftig.

Bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung hingegen liegt die Erklärung auf der Hand: Japan ist ausweislich seiner Leistungsbilanzüberschüsse ein international wettbewerbsfähiges Land. Die Kapitalmarktzinsen gehören u. a. deshalb zu den niedrigsten der Welt.

Die Risiken hoher öffentlicher Schuldenstände

Und das liefert den Schlüssel zur Beantwortung der Frage, wann hohe öffentliche Schuldenstände gefährlich für ein Land, für seine Handelspartner und die internationalen Finanzmärkte insgesamt werden können. Das ist dann der Fall, wenn die Verschuldung zwischen ganzen Ländern immer größer im Vergleich zu ihrer Wirtschaftskraft wird – übrigens ganz egal, welcher Sektor oder welche Sektoren eines Landes die Nettoschuldner gegenüber dem Ausland sind, ob es sich also um öffentliche oder private Schulden handelt, die ein Land im Ausland hat.

Schwindet die Aussicht, dass ein hoch im Ausland verschuldetes Land bzw. seine Wirtschaftsakteure in der Lage sind, ihrem Schuldendienst nachzukommen, dann steigt das Risiko für Turbulenzen an den Finanzmärkten, allen voran den Devisenmärkten, und für gravierende realwirtschaftliche Verwerfungen hauptsächlich in dem verschuldeten Land.

Die Notwendigkeit, Handelsungleichgewichte zu betrachten

Bevor deshalb das neoliberal gefärbte Hohelied gegen Staatsdefizite angestimmt und die Angst vor steigenden öffentlichen Schuldenständen geschürt wird, sollten daher die Ursachen von Handelsungleichgewichten in den Blick genommen werden. Sie sind gleichermaßen von unfairen Machtverhältnissen auf internationalen Gütermärkten wie auch von Rohstoffpreis- und Wechselkursentwicklungen geprägt, die durch spekulative Geschäfte von Investmentbankern dominiert werden.

Dass der IWF über diese Ursachen im Vorwort und in der Zusammenfassung seines Berichts kein Wort verliert, stellt entweder der Analysefähigkeit seiner Autoren oder der Neutralität ihres Standpunktes ein schlechtes Zeugnis aus.