Anschlag in Mali: Wagenburg durchbrochen
Im Verteidigungsausschuss des Bundestags wurden am Mittwoch Details zum Selbstmordanschlag auf Bundeswehrsoldaten in Mali bekannt. Doch was ist die Konsequenz?
Offiziell ist der Bundestag schon in der Sommerpause, die unmittelbar in die heiße Wahlkampfzeit übergehen wird. Sitzungen finden regulär bis zur Wahl am 26. September nicht mehr statt. Doch am gestrigen Mittwoch hatte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), auf Antrag des Obmanns der Linksfraktion, Alexander Neu, zu einer Sondersitzung geladen. Einziger Tagesordnungspunkt war der Bericht der Bundesregierung zum Anschlag auf Bundeswehrsoldaten in Mali.
Am 25. Juni waren dort bei einem Selbstmordanschlag ein belgischer sowie zwölf deutsche Soldaten verletzt worden - drei von ihnen schwer. Die Sondersitzung wurde vor allem anberaumt, weil Bundeswehr und Verteidigungsministerium zuvor nur spärliche oder widersprüchliche Informationen über die näheren Umstände des Anschlags an die gewählten Volksvertreter gegeben hatten.
In der Ausschusssitzung dann setzten Staatssekretär Thomas Silberhorn (CSU) und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, die Parlamentarier über Details des Angriffs in Kenntnis. Demnach sind 90 deutsche Soldaten im Rahmen einer Aufklärungsoperation der UN seit dem 22. Juni für einige Tage nicht im deutschen Lager in Gao, sondern etwa 200 Kilometer davon entfernt gewesen.
Unter anderem seien Militärkonvois der malischen Armee beobachtet worden. Erste Meldungen, nach denen die deutschen Soldaten malische Militärs begleitet hätten, seien falsch. Die deutschen Soldaten, die neben belgischen und irischen Soldaten an der Aufklärungsmission teilnahmen, hätten am Donnerstag vergangener Woche ein Wagenburg-Nachtlager nahe einer Hauptstraße außerhalb des Ortes Tarkint errichtet. Gepanzerte Fahrzeuge seien in zwei Sperrkreisen geparkt worden, um einen geschützten Innenraum zu bilden. Während einige Mitglieder der Mission schliefen, bewachten andere Soldaten das Lager.
Den Berichten nach soll am frühen Morgen ein weißer Pick-up, der mit Holz beladen war, plötzlich von der Hauptstraße abgebogen und schnell auf die Wagenburg zugerast sein. Warum das Fahrzeug von den Soldaten nicht mit Waffengewalt gestoppt werden konnte, bleibt unklar. Laut dem Generalinspekteur habe man dazu noch nicht alle Soldaten befragen können.
Reflexartige Forderung nach bewaffneten Drohnen
Als gesichert gilt, dass der Attentäter den ersten Fahrzeugkreis der Wagenburg durchbrach und eine Bombe zündete. Diese soll 100 bis 150 Kilogramm Sprengstoff enthalten haben. Die Explosion beschädigte etliche Fahrzeuge der Bundeswehr bis zur Unbrauchbarkeit. Durch Glück ist ein in der Wagenburg stehender Tankwagen rund 20 Meter entfernt trotz schwerer Beschädigungen nicht explodiert - sonst wäre der Anschlag noch erheblich verheerender ausgefallen. Doch auch so erlitten einige Soldaten schwere Brandwunden.
Als Reaktion auf den Angriff forderte die CDU/CSU im Ausschuss umgehend die Anschaffung bewaffneter Drohnen.
Ihr Koalitionspartner SPD zögert in dieser Frage noch. Die Grünen hatten sich kürzlich für bewaffnete Drohnen ausgesprochen, obwohl sich ihre Verteidigungspolitikerin Katja Keul in der Vergangenheit stets glaubwürdig gegen diese Waffen eingesetzt hatte.
Der Anschlag hat die handelnden Militärs und Abgeordneten offenbar kaum zum Nachdenken über Sinn und Zweck des Mali-Einsatzes bewegt. Dabei ist die UN-Mission Minusma, die die Umsetzung eines Friedensabkommens, die allgemeine "Stabilisierung Malis" und den "Schutz der Zivilbevölkerung" gewährleisten soll, selbst bei Beratern der Bundesregierung umstritten. Die Linksfraktion, die dem Einsatz in Mali auch zuvor nicht zugestimmt hatte, forderte den Abzug der Bundeswehr.
Linke kritisiert rein militärische Strategie
"Mein Eindruck nach dieser Sondersitzung des Verteidigungsausschusses ist, dass die Bundesregierung diesen fragwürdigen Einsatz fortführen will", sagte die Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, gegenüber Telepolis. Sie gehe davon aus, dass die deutsche Beteiligung an der UN-Mission sogar noch verstärkt werden soll. Derzeit beteiligt sich Deutschland mit rund 1.500 Soldaten an dem Einsatz, die Truppenstärke ist nach dem Mandat auf 1.700 Militärs begrenzt.
Dagdelen kritisierte vor allem die rein militärische Strategie. Fordere man gegenüber den Verantwortlichen einen politischen Dialog zur Lösung der Krise in Mali ein, hieße es, dort sei die Terrormiliz Al-Qaida aktiv und mit der verhandele man nicht. "Dann frage ich mich aber, weshalb man diese Bedenken im Fall des syrischen Gouvernements Idlib nicht hat, das auch von Al-Qaida gehalten wird", so Dagdelen nach der Sitzung am Mittwoch.
Während nun die Feldjäger klären sollen, ob - oder warum nicht - auf das Fahrzeug des Selbstmordattentäters geschossen wurde und wie sein Auto zum Stehen kam, ist bei Minusma-Militärs, und daher auch im deutschen Verteidigungsministerium, deutliche Nervosität zu spüren. Nach internen Berichten war zuletzt ein professionellerer Einsatz von Bombenfallen zu beobachten, also unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen - im Nato-Jargon improvised explosive devices (IED). Französische Militärs, so hieß es bei der Unterrichtung im Verteidigungsausschuss, befürchteten zudem Angriffe mit einfach gebauten Drohnenbomben.
Proteste der Zivilbevölkerung
Wenn es in Konsequenz nun zur Aufrüstung der umstrittenen Minusma-Mission – etwa durch den Einsatz militärischer Drohnen – kommt, wird das die Gefahr durch Bombenfallen aber kaum mindern. Vor allem aber bleiben die zunehmend komplexen politischen Probleme in Mali ungelöst bestehen.
So ist das Verhältnis der Minusma und der beteiligten Bundeswehr zum malischen Militär unklar, das dem Auftrag nach Bündnispartner ist, unlängst aber zum zweiten Mal binnen eines Jahres geputscht hat. Unklar bleibt auch nach der Sondersitzung am Mittwoch, inwieweit die Bundesregierung ihr militärisches Engagement gegenüber dem Militärregime an politische Forderungen knüpft. Derzeit bilden Bundeswehrexperten im Rahmen der EU-Mission EUTM malische Soldaten des Putschregimes aus.
Bei der Bevölkerung scheinen dieses Engagement sowie der Einsatz von UNO-Staaten und EU für "Stabilisierung" und "Ausbildung" nicht sonderlich gut anzukommen. Zivilisten in dem westafrikanischen Land leiden - wie schon die Menschen in Afghanistan in den vergangenen Jahren - gleichsam unter dem Terror islamistischer Milizen wie unter der Gewalt ausländischer Militärs. Zwei Millionen Menschen sind in Mali im eigenen Land auf der Flucht.
International für Schlagzeilen sorgte ein französischer Luftangriff Anfang Januar, bei dem 19 Zivilisten getötet worden. Die Zahl bestätigte ein Bericht der Vereinten Nationen, der auf Ermittlungen von gut einem Dutzend Inspekteuren und zwei Kriminaltechnikern der UNO beruht.
Die ARD-Korrespondentin in Rabat, Dunja Sadaqi, verwies unlängst auf zunehmende Proteste gegen die ausländischen Militärs in Mali. Vor allem der französische Angriff hat den Unmut geschürt. Nach einer Umfrage der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung waren schon zuvor 78 Prozent der Einwohner des Landes mit der Arbeit der Minusma unzufrieden. Im Vergleich zur vorherigen Umfrage war das eine Zunahme von 32 Punkten.
Es gebe mittlerweile keine großen Hoffnungen mehr, die Probleme im Sahel rein militärisch zu lösen, zitiert ARD-Korrespondentin Sadqi Denis Tull von der regierungsnahen deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik: "Wir sehen ja auch in anderen Ländern und Krisengebieten – Stichwort Afghanistan –, dass man noch mit ungleich mehr Engagement nicht unbedingt mehr erreicht hat", fügte er an.
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