Armutszeugnis: Viele Millionen Euro, die den Staat nicht interessieren

Seite 2: Bedenklicher Trend

Auf Anfrage von Telepolis bemerkt das Netzwerk Steuergerechtigkeit zu den aktuellen Zahlen:

Die Zahlen aus 2022 stellen die niedrigste Prüfquote, niedrigste Gesamtzahl der Prüfungen, niedrigste Mehreinnahmen – und vor allem die niedrigsten Mehreinnahmen pro Prüfung (vielleicht abgesehen von den nicht ganz beschriebenen 2021er-Zahlen) seit Beginn unserer Datenreihe (2008/2009) dar. Es gab in vielen Länderverwaltungen während der Corona-Jahre eine starke Beschleunigung der ohnehin negativen Trends, was Betriebs- und Fahndungsprüfungen betrifft. Unsere Forderung war und ist, dass jetzt nach der Pandemie schnell mindestens wieder der Stand vor den Pandemie-Jahren wiederhergestellt wird. Diese Zahlen deuten jedoch darauf hin, dass dies nicht erreicht werden konnte und die Bedingungen in wichtigen Bereichen der Steuerverwaltung immer katastrophaler werden.

Ein weiterer spannender Punkt: Der Fakt, dass auch die Mehreinnahmen pro Prüfung auf dem Tiefstand sind, deutet auf Verluste in der Effektivität hin. Ein Argument, das wir oft zu hören bekommen, ist, dass die Prüfquote bei Einkommensmillionären nicht so relevant sei. Stattdessen sei es zentral, bei den richtigen Leuten vertieft zu prüfen, wo das Risiko und somit die Mehreinnahmen besonders hoch seien. Dass heutzutage bei viel weniger Prüfungen auch weniger Mehreinnahmen pro Prüfung herauskommen, deutet auf ein Problem auch bei der Auswahl solcher Prioritätsfälle hin – jedenfalls solange nicht plötzlich die Steuerehrlichkeit ausgebrochen ist, wofür wir keine Hinweise sehen.

Der Trend einer laxen Prüfung von Einkommensmillionären steht in auffallendem Kontrast zur Prüfung von Hartz-IV-Empfängern in den vergangenen Jahren. Ein damit korrespondierender Trend: In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Steuerbelastung der Ärmsten zugenommen, während sich das oberste Prozent über eine geringere Besteuerung freuen kann.

Ein Vergleich des Jahres 1998 mit dem Jahr 2015, den die Hans-Böckler-Stiftung vorgenommen hat, offenbart, dass das ärmste Zehntel der Bevölkerung eine Erhöhung der Besteuerung von 5,4 Prozent erfahren hat, während das oberste Prozent 4,8 Prozent weniger zu den Staatseinnahmen beitragen musste.

Für die gut betuchten Deutschen birgt der Trend weitere erfreuliche Nachrichten. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit berechnet, dass ein Muster-Millionär aktuell in Deutschland lediglich einen Steuersatz von 21 Prozent hat. Die Schlussfolgerung des Netzwerks lautet daher: "Deutschland ist Niedrigsteuerland für Superreiche".

Es passt leider auch in das Bild, dass Deutschland bei den sogenannten Schattenfinanzplätzen in der Weltrangliste einen unrühmlichen Platz einnimmt. Das Netzwerk definiert dieses Phänomen:

Schattenfinanzzentren stellen die notwendige Infrastruktur bereit, mit der Personen und Unternehmen Steuergesetze und Transparenzregeln in einem anderen Gebiet unterlaufen können. Mit dem Index soll die Infrastruktur der Geheimhaltung öffentlich gemacht und entsprechend ihrer Schädlichkeit gewichtet werden.

Deutschland kletterte innerhalb von zwei Jahren vom vierzehnten auf den siebten Platz. Damit steht es vor verschiedenen Steueroasen wie den Britischen Jungferninseln und den Caymaninseln.

Diese Trends zeigen: Steuergerechtigkeit sieht anders aus.